Der Verwalter-Brief 5/2016 - page 10

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Deckert kompakt
hoher Anteil von 85 Prozent vorgesehen ist.
Es ist zwar eine Gratwanderung zwischen dem
gerade noch vertretbaren Erstattungsmodus und
der nicht mehr ordnungsgemäßer Verwaltung
entsprechenden Erstattung. Aber die Globalität
und die Großzügigkeit in der Quote, mit der hier
für alle Fälle eines Fensteraustausches Erstat-
tung gewährt werden soll, gehen zu weit.
Das bedeutet für Sie:
1. Nachwirkungen der „Jahrhundertent-
scheidung“ des BGH aus dem Jahr 2000
Hier ging es erneut um den Versuch, im An-
schluss an die Zäsur durch das sog. Jahrhun-
derturteil des BGH vom 20.9.2000 und die Än-
derung der bis dahin gültigen bzw. praktizierten
Rechtslage heute noch in vermeintlichem
Solidarverständnis unter den Eigentümern für
„ausgleichende Gerechtigkeit“ zu sorgen.
Im Streit standen Fensterinstandsetzungen und
hier insbesondere die Gültigkeit einer speziel-
len Beschlussfassung über sehr pauschaliert
und weit in die Vergangenheit reichende Er-
stattungen zugunsten der Eigentümer, die sei-
nerzeit – nichts Böses ahnend – im Vertrauen
auf eine Beschlussfassung von 1984 Fensterin-
standhaltungen bis hin zu vollständigen Erneu-
erungen eigenständig und auf eigene Kosten
durchführen ließen.
Mit der seinerzeit allseits überraschenden
BGH-Entscheidung wurden „Zitterbeschlüs-
se“, durch die gesetzliche oder vereinbarte
Auftragsverantwortung und die Kostenver-
teilung geändert werden sollten, mangels
Beschlusskompetenz rückwirkend für nichtig
erklärt. Das Vertrauen auf eine bisher in einer
Gemeinschaft entgegenstehend geübte Praxis
unter Berufung auf die frühere Beschlussfas-
sung musste mit Kenntnisnahme dieser BGH-
Grundsatzentscheidung eigentlich sehr rasch
nach 2000 entfallen sein. Nichtige Beschlüsse
können und konnten auch hier keinerlei be-
achtenswertes Gewohnheitsrecht erzeugen.
2. Frühere Einzelfall-Rechtsprechung
bestätigt Erstattung
Zumindest im ersten 2000er-Jahrzehnt be-
stätigten einige Gerichte die grundsätzliche
Gültigkeit solcher Erstattungsbeschlüsse dem
Grunde und auch in pauschalierter Diffe-
renzierung der Höhe nach, je nach Einzelfall
und Beschlussauslegung. Anerkannt wurden
auch schon bestimmte Prozent-Staffelungen
je nachdem, wie lange die Fenstersanierung
durch die Eigentümer zurückgelegen hat.
Verwiesen wurde bei Überprüfung solcher
Beschlüsse auf eingehaltene Grundsätze ord-
nungsgemäßer Verwaltung und Treu und
Glauben sowie bestehende Rücksichtnahme-
pflichten unter Eigentümern und Gerechtig-
keitsgebote. Verjährungseinreden und Ver-
wirkungseinwänden wurde jedenfalls damals
vielfach keine anspruchsverneinende bzw.
eine Beschlussungültigkeit erzeugende Be-
deutung beigemessen. Anspruchsberechtigun-
gen für Erstattungsausgleiche wurden aus Ge-
schäftsführung ohne Auftrag im mutmaßlichen
Interesse der Gemeinschaft und auch dem Be-
reicherungsrecht abgeleitet und weitgehend
anerkannt.
3. Pauschalerstattungen sind heute
generell abzulehnen
Heute noch wie das AG Offenbach von „Schwie-
rigkeit einer Grenzziehung“ und vorzunehmen-
der „Gratwanderung“ im Falle einer solchen
streitgegenständlichen Beschlussfassung zu
sprechen, erscheint mir nicht mehr notwendig.
Musste sich das Gericht hier wirklich im Jahr
2015 ohne Not noch solche abwägenden Ge-
danken machen? Über Verjährung und Verwir-
kung (Zeitmoment) hätte der Anfechtungskla-
ge bereits ohne Wenn und Aber stattgegeben
werden können. Bei den hier beschlossenen
hohen, wenig differenzierten und so lange Zeit
zurückwirkenden Pauschalerstattungen sind
auch Zweifel an der Bestimmtheit und Trans-
parenz eines solchen Beschlusses angezeigt
(mit möglicher Beschlussnichtigkeitsfolge).
Gerechtigkeit auch im Sinne eines Solidarver-
ständnisses unter allen gegenwärtigen Eigen-
tümern kann ich jedenfalls heute bei einer sol-
chen Beschlussfassung nicht mehr erkennen.
Abgesehen von zwischenzeitlichen Eigentü-
merwechseln (fehlende Personenidentität)
und kaum berechenbaren Belastungen etwai-
ger Rechtsnachfolger – wenn überhaupt – dürf-
te auch früheren Eigentümern kaum mehr der
Beweis gelingen, dass sie seinerzeit notwendi-
gerweise eigene Fensterreparaturen oder gar
gänzliche Erneuerungen im zu unterstellenden
Ersparnis-Interesse der Gemeinschaft zu an-
gemessenen Kosten fachmännisch ausführen
ließen. Auch Fragen möglicher Schadensmit-
verursachung und eventueller Mithaftung, ver-
ursacht durch mangelhafte oder unterlassener
Fensterpflege zur Vermeidung vorzeitiger Al-
terung und Austauschnotwendigkeit, lassen
sich nicht mehr abklären und rechtfertigen
auch nicht solch hohe Ausgleichspauschalen.
Unnötige, wenn vielleicht auch wohnwerter-
höhende Luxussanierungen in eigenem oder
verkaufsmotiviertem Interesse hätten u. U.
schon seinerzeit Einwände der Gemeinschaft
im Sinne einer aufgedrängten Bereicherung
hervorrufen können. Wurden Fenster als Be-
standteil des Gemeinschaftseigentums durch
frühere Eigentümer erneuert, führt dies auch
zu wirtschaftlichen Vorteilen aller heutigen Ei-
gentümer einer Gemeinschaft im Hinblick auf
zeitlich hinausgeschobene notwendige neu-
erliche Instandsetzungsmaßnahmen zulasten
der Gemeinschaft. Kostenfreistellungen ein-
zelner Eigentümer gibt es insoweit nicht.
4. Fazit und Empfehlungen für die
Zukunft
Auch die überzeugenden weiteren Begrün-
dungspassagen dieser AG-Entscheidung
sollten jede Gemeinschaft warnen, heute
noch mit vermeintlichen Gerechtigkeitsar-
gumenten überhaupt solche oder ähnliche
pauschalierte Ausgleichsbeschlüsse zu fas-
sen. Alle Eigentümer müssen seit Langem
die Änderung der Rechtslage ab 2000 ken-
nen und sich diesen neuen Rechtserkennt-
nissen unterwerfen.
Sind Fensterelemente als Gemeinschafts-
eigentum reparatur- oder – fachtechnisch
bestätigt – erneuerungsbedürftig, ist grund-
sätzlich kraft Gesetzes allein die Gesamtge-
meinschaft durch Beschlussfassungen zum
Handeln verpflichtet, vertreten durch den
Verwalter. Jeder Eigentümer muss insoweit
dann auch anteilig die entsprechenden Kos-
ten solcher beschlossenen Maßnahmen ge-
mäß § 16 Abs. 2 WEG tragen.
Vorrangig zu beachten sind stets auch
möglicherweise getroffene Sonderverein-
barungen in einer Teilungserklärung mit
Gemeinschaftsordnung zu Auftragsverant-
wortlichkeiten und auch gesetzesabwei-
chender Kostenverteilung.
Auch zwischen den Begriffen „Instandhal-
tung“ und „Instandsetzung“ sollte m. E.
gerade bei Fensterelementen stets diffe-
renziert werden. Die Instandsetzung als
Großreparatur, Erneuerung, Austausch oder
erstmalige ordnungsgemäße Herstellung
geht erheblich weiter als alleinige übliche
Pflegemaßnahmen im Sinne einer Instand-
haltung. Zumindest bei Verwendung beider
gesetzlicher Begriffe in notariellen Urkunden
sollte dieses Begriffspaar nicht auslegungs-
weise undifferenziert etwa unter Hinweis
auf redaktionelles Versehen sinngemäß zu-
sammengefasst werden.
Oft existieren auch gesonderte Vereinba-
rungen zu „Glasbruch“ bzw. – weitergehend
– zu „Glasschäden“ und entsprechender
Reparaturverantwortlichkeit der betreffen-
den einzelnen Eigentümer, unabhängig von
der Verursachung des Schadens. Bei fach-
technisch bestätigten Erneuerungen ge-
samter Fensterelemente kann eine solche
Sonderregelung allerdings keine rechtliche
Bedeutung im Sinne einer Kostentrennung
zwischen Gemeinschaft und einzelnen Ei-
gentümern erlangen.
Verwalter sollten die Eigentümer stets von
neuem auf eigene Pflichten wohnungsin-
nenseitiger Fensterpflege nach § 14 Nr. 1
und 2 WEG hinweisen, insbesondere bei
Holzfenstern. Es geht hier um gebotene
kontinuierliche Anstriche, damit diese Be-
standteile des Gemeinschaftseigentums im
Interesse aller Eigentümer möglichst lange
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