Der Verwalter-Brief 12-1/2016-2017 - page 10

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Deckert/Elzer kompakt
Das Problem:
Zentrales Problem der Entscheidung ist die
Frage, ob – und wenn ja – nach Abwägung
welcher Prüfsteine der Verwalter eine Ver-
sammlung unterbrechen darf.
So hat der Bundesgerichtshof entschieden:
1. Keine Nichtigkeit
Der Beschluss sei nicht nichtig. K und die bei-
den anderen Wohnungseigentümer seien nicht
von der Versammlung ausgeschlossen worden.
Denn die während der Unterbrechung geführte
Unterredung der Wohnungseigentümer mit P
als ihrem Prozessbevollmächtigten sei nicht als
Teil der Versammlung zu qualifizieren. Durch den
Ausschluss des K und zweier weiterer Wohnungs-
eigentümer von diesem Gespräch seien diese
daher auch nicht in ihrem Recht auf Teilnahme
an der Versammlung beschnitten worden.
2. Verstoß gegen die Grundsätze
ordnungsmäßiger Verwaltung
Der Beschluss, V als Verwalter wieder zu be-
stellen, entspreche allerdings keiner ordnungs-
mäßigen Verwaltung. V‘s Entscheidung, die
Versammlung für das Mandantengespräch zu
unterbrechen, sei ermessensfehlerhaft gewesen.
Die Unterbrechung einer Versammlung zu dem
Zweck, den von einer Anfechtungsklage betrof-
fenen Wohnungseigentümern ein Informations-
gespräch mit ihrem Prozessbevollmächtigten zu
ermöglichen, entspreche regelmäßig keiner ord-
nungsmäßigen Durchführung der Versammlung.
Zwar liege es im Interesse der Wohnungseigen-
tümer, sich durch ihren Prozessbevollmächtig-
ten über einen laufenden Anfechtungsprozess,
dessen Ausgang, mögliche Konsequenzen und
die weitere Vorgehensweise zu informieren
und rechtlich beraten zu lassen. Eine sachge-
rechte Beratung erfordere es aber nicht, das
Mandantengespräch auf den Zeitpunkt einer
bereits laufenden Versammlung zu legen. Viel-
mehr sei es den Wohnungseigentümern zumut-
bar, Informationsgespräche mit ihrem Prozess-
bevollmächtigten zeitlich so zu legen, dass die
Versammlung hiervon unberührt bleibe. Nur bei
Vorliegen besonderer Umstände, etwa wenn
ein Beratungsbedarf erst aufgrund der in der
Versammlung geführten Diskussion zu einem
bestimmten Tagesordnungspunkt entstehe,
könne eine Unterbrechung zum Zwecke eines
Mandantengespräches in Betracht kommen.
Solche besonderen Umstände, die eine Un-
terbrechung für ein Gespräch der beklagten
Wohnungseigentümer mit P sachlich gebo-
ten hätten, lägen nicht vor. Die Niederschrift
enthalte keinen Hinweis darauf, dass sich ein
Gesprächsbedarf während einer Diskussion zu
einem Tagesordnungspunkt ergeben hatte und
deshalb aus den Reihen der Wohnungseigen-
tümer der Wunsch nach einem Beratungsge-
spräch mit ihrem Rechtsanwalt geäußert wor-
den sei. Vielmehr habe V ohne erkennbaren
Anlass P in den Versammlungsraum gebeten
und sodann die Versammlung zum Zwecke ei-
nes Mandantengesprächs unterbrochen. Hinzu
komme, dass V die Unterbrechung, die sich auf
eine Stunde erstreckt habe, nicht auf einen vor-
her bestimmten Zeitraum begrenzt hatte. Eine
Unterbrechung ohne eine zumindest ungefäh-
re vorhergehende Festlegung der Unterbre-
chungsdauer sei mit einer ordnungsmäßigen
Versammlungsführung aber nicht vereinbar.
3. Anfechtbarkeit
Ob eine ermessensfehlerhafte Unterbrechung
die Anfechtbarkeit des im Anschluss an die
Unterbrechung gefassten Beschlusses zur Fol-
ge habe, müsse allerdings nicht geklärt wer-
den. K habe diesen Fehler nicht innerhalb der
Anfechtungsbegründungsfrist des § 46 Abs. 1
Satz 2 WEG gerügt.
Das bedeutet für Sie:
1. Überblick zur Versammlungsleitung
Nach § 24 Abs. 5 WEG führt den Vorsitz in der
Versammlung der Verwalter, sofern die Woh-
nungseigentümer nichts anderes beschließen.
Denn die Versammlungsleitung ist keine dem
„Amt“ Verwalter zugewiesene Organfunktion.
Sie ist vielmehr als eine bloße Ersatzkompe-
tenz zu verstehen. Der Verwalter als Versamm-
lungsleiter ist nach überwiegender Ansicht
nur „Funktionsgehilfe“ der Versammlung. Die
Befugnis des Verwalters zur Versammlungslei-
tung stellt also weder eine originäre noch eine
unentziehbare Kompetenz dar. Das Gesetz
sieht die Ersatzzuständigkeit des Verwalters
nur für den Fall vor, dass die Wohnungseigen-
tümer von ihrem autonomen Gestaltungsrecht
keinen Gebrauch machen, einem anderen den
Vorsitz in der Versammlung anzutragen und
dieser dazu bereit ist.
2. Grundsätze der Versammlungsleitung
Die Versammlung ist vom Verwalter als Ver-
sammlungsleiter fair, unparteilich nach rechts-
staatlichen und demokratischen Prinzipien zu
moderieren und zu leiten, insbesondere unter
Beachtung des Grundrechts auf rechtliches
Gehör, des Gleichbehandlungsgrundsatzes
sowie des Erforderlichkeits- und Verhältnis-
mäßigkeitsprinzips. Der Verwalter hat die
Versammlung ferner so zu leiten, wie es den
Vereinbarungen und Beschlüssen und, soweit
solche nicht bestehen, dem Interesse der Ge-
samtheit der Wohnungseigentümer nach bil-
ligem Ermessen entspricht. Primäre Aufgabe
des Verwalters als Versammlungsleiters ist es,
auf diese Weise für einen geordneten, gesetz-
mäßigen, reibungslosen sowie zügigen Ver-
sammlungsablauf und für eine sachgerechte
Erledigung sämtlicher Versammlungsgegen-
stände zu sorgen.
Wie der Versammlungsleiter diesen Aufgaben
im Einzelnen gerecht wird, ist dabei grund-
sätzlich seine Sache. Der Verwalter hat also
– ebenso wie es die Wohnungseigentümer
haben – ein Ermessen. Eben dies stellt die Ent-
scheidung heraus.
3. Unterbrechung der Versammlung
Der BGH hat jetzt das Recht und die Möglich-
keit des Verwalters, eine Versammlung zu un-
terbrechen, bestätigt. Ferner hat er bestätigt,
dass der Verwalter bei der Versammlungslei-
tung ein Ermessen hat und dieses fehlerfrei
ausüben muss. Für die Unterbrechung schlägt
der BGH Pflöcke ein, die jedem Verwalter be-
kannt sein müssen:
Der Verwalter kann nach seinem Ermessen
eine Versammlung unterbrechen.
Eine Unterbrechung ist ermessensfehlerfrei,
wenn es dafür einen sachgerechten Grund
gibt. Ein solcher liegt in der Regel nicht da-
rin, dass ein Teil der Wohnungseigentümer
mit einem Dritten (im Fall der Rechtsanwalt)
ein Gespräch führen will. Es kann hingegen
darin liegen, dass ein Beratungsbedarf erst
aufgrund einer in der Versammlung geführ-
ten Diskussion entsteht.
Unterbricht der Verwalter die Versammlung,
muss er den Wohnungseigentümern mittei-
len, wann die Versammlung wieder beginnt.
Eine Unterbrechung ohne eine zumindest un-
gefähre vorhergehende Festlegung der Unter-
brechungsdauer ist mit einer ordnungsmäßi-
gen Versammlungsführung nicht vereinbar.
Der Verwalter sollte die Gründe, die nach
seinem Ermessen für eine Unterbrechung
gesprochen haben, vorsichtshalber in der
Niederschrift dokumentieren.
4. Haus- und Organisationsrecht
Dem Verwalter als Versammlungsleiter stehen
– subsidiär – das Haus- und das Organisations-
recht zu, soweit die Wohnungseigentümer
diese originär ihnen zustehenden Rechte nicht
ausüben und dem Verwalter keine Weisung
erteilen. Bei vom Verwalter anstelle der Woh-
nungseigentümer auszuübenden Haus- und
Ordnungsmaßnahmen muss er den Gleichbe-
handlungsgrundsatz und den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit beachten.
Ob etwa ein Störenfried nach einer „Läute-
rungsphase“ vor der Tür („cooling-off“) wie-
derum zur Versammlung zugelassen werden
kann, ist nach den Umständen des Einzelfalls,
aber in jedem Fall unter Beachtung der zentra-
len Bedeutung des Teilhaberechts, zu klären.
5. Fehlerhafte Versammlungsleitung
Entschließungen oder Maßnahmen der Ver-
sammlungsleitung sind ebenso wie Verstöße
gegen eine vereinbarte oder beschlossene
Geschäftsordnung nicht selbstständig anfecht-
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