Der Verwalter-Brief 3/2015 - page 10

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Deckert kompakt
Wenn die Gemeinschaft den Beschluss nicht
umsetzt, kann ein einzelner Wohnungseigen-
tümer im Innenverhältnis verlangen, dass sie
Klage einreicht. Eine eigene Klage kann er nur
erheben, wenn die Störung sein Sondereigen-
tum unmittelbar beeinträchtigt.
Danach hat der Beschluss die alleinige Zustän-
digkeit der Gemeinschaft begründet. Die Klage
wird nur auf Störungen des Gemeinschaftsei-
gentums gestützt, während das Sondereigen-
tum des klagenden Eigentümers durch nega-
tive Auswirkungen auf den Verkehrswert und
die Vermietbarkeit nur indirekt betroffen wird.
Da auch nicht festgestellt wurde, dass die
Gemeinschaft die Verfolgung der Ansprüche
rechtsmissbräuchlich verzögert hat, ist die Kla-
ge unzulässig. Somit muss nicht in der Sache
selbst verhandelt werden. Ob die Wohnungs-
eigentümergemeinschaft die Unterlassung der
Prostitution verlangen kann, ist nicht Gegen-
stand dieses Verfahrens.
Das bedeutet für Sie:
1. Klärung bisher umstrittener
Klagebefugnisfragen
Im entschiedenen Fall ging es allein um Fragen
der Aktivlegitimation, d. h. der Klagebefugnis,
Abwehransprüche gegen einen Störer in der
Gemeinschaft geltend machen zu können. In
Fällen, in denen wie vorliegend die wider-
rechtliche Nutzung eines Wohnungseigentums
zur Prostitution in Rede steht, können Individu-
alansprüche einzelner Eigentümer mit solchen
der Gesamtgemeinschaft in Konkurrenz treten.
Ähnlich ist die Rechtslage zu anfänglichen Ge-
währleistungsansprüchen bei Mängeln am Ge-
meinschaftseigentum, die zunächst sämtlich
aus den individuellen Erstkaufverträgen ableit-
bar sind. Auch hier hat der BGH wiederholt zur
Klage- und Wahlbefugnis modifizierend ent-
schieden, dass wegen Gemeinschaftsbezogen-
heit bestimmte alternative Gewährleistungs-
rechte vorrangig von der Gemeinschaft nach
entsprechender Beschlussfassung geltend zu
machen sind, allerdings die sekundären Rech-
te Vertragsrücktritt, großer Schadenersatz und
möglicherweise Minderung bei sog. Ausstrah-
lungsmängeln in der Klageberechtigung der
einzelnen Eigentümer verbleiben müssen.
Geht es um widerrechtliche Nutzung eines
Wohnungseigentums, hat nun der BGH der
Gemeinschaft ebenfalls grundsätzlich vorran-
gige Klagebefugnis eingeräumt und damit die
Geltendmachung solcher Abwehrrechte als ge-
meinschaftsbezogene Maßnahme ordnungs-
gemäßer Verwaltung des Gemeinschaftseigen-
tums mit entsprechend bestätigter, insoweit
„gekorener“ Ausübungs- und Beschlusskompe-
tenz festgeschrieben. Von diesem prozessualen
Grundsatz ist insbesondere dann auszugehen,
wenn sich solche Störungen nicht ausschließ-
lich auf einzelnes Wohnungseigentum (etwa
das eines Nachbarn) auswirken, vielmehr auch
auf andere Einheiten und insbesondere auf ge-
meinschaftliche Räumlichkeiten. Dann geht es
nicht allein um Schutzrechte eines einzelnen Ei-
gentümers, sondern um Abwehrrechte aller Ei-
gentümer in verbundener Solidargemeinschaft
im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung und
Werterhaltung der Gesamtanlage.
Mitentscheidend war im vorliegenden Fall
auch bei der Klageeinleitung des „ungeduldi-
gen“ Eigentümers nach Beschlussfassung und
Vergemeinschaftung der Ansprüche, dass die-
ser in seiner Klage – für mich überraschend
– offensichtlich nur Störungen im Bereich des
Gemeinschaftseigentums mit nur indirekten
Auswirkungen auf sein Wohnungseigentum
behauptete. Insbesondere dann hat sich ein
einzelner Eigentümer grundsätzlich einer Ge-
meinschaftsentscheidung auf Klageführung zu
unterwerfen, wie dies der BGH zu Recht fest-
stellte und deshalb diese individuelle Klagefüh-
rung „im Nachhinein“ als unzulässig ablehnte.
2. Vorgehen bei Störungen
Eigentümer, die sich gestört fühlen, sollten sich
zunächst an den Verwalter wenden. Dieser
sollte die Störmeldungen in objektiv-neutraler
und zunächst wertungsfreier Amtsführung ver-
meintlichen Störern weiterleiten mit der Bitte
um Stellungnahme und ggf. Beachtung/Unter-
lassung zur Vermeidung prozessualer Ausein-
andersetzungen.
Geht beim Verwalter eine Antwort ein, sollte
diese dem Störmelder übermittelt werden.
Dann kann der einzelne Eigentümer bei fortbe-
stehender Störung nach erfolgloser Abmahnung
entweder eigenständig Klage auf Unterlassung
widerrechtlicher Nutzung und Störung erheben
oder – empfehlenswerter – die Verwaltung
auffordern, umgehend einen Beschluss der
Gemeinschaft über die Geltendmachung der
Unterlassungsansprüche herbeizuführen, ggf.
in einer kurzfristig anzusetzenden außerordent-
lichen Eigentümerversammlung.
Bleibt der Wunsch auf baldige Herbeiführung
eines gemeinschaftlichen Beschlusses ver-
walterseits (haftungsrelevant!) ungehört oder
lehnt die Gemeinschaft mehrheitlich eigenes
Vorgehen ab, muss der gestörte Eigentümer
m. E. nicht in einem ggf. aufwändigen und
zeitraubenden Vorschaltverfahren Verwaltung
bzw. Gemeinschaft zum Handeln zwingen, da
er seine Rechte unstreitig auch individuell gel-
tend machen kann. In eigener Klage sollte er
dann auch konkrete Beeinträchtigungen und
Wertminderungen seines Eigentums unter Be-
weis stellen, also nicht nur negative Auswir-
kungen auf das Gemeinschaftseigentum.
Kommt es hingegen zu einem positiven be-
standskräftigen Beschluss der Gemeinschaft,
ist eigene Klageführung im Nachhinein nicht
mehr notwendig und – wie zu Recht entschie-
den – nicht mehr zulässig. Der gestörte Eigen-
tümer kann und sollte hier allein die klagen-
de Gemeinschaft argumentativ unterstützen.
Einen mehrheitlichen Klageführungsbeschluss
der Gemeinschaft sollte der Verwalter auch
rasch vollziehen, also insbesondere den meist
mitbeschlossenen Anwaltsauftrag erteilen.
Mitzubeschließen wäre u. U. auch die Vorfi-
nanzierung der gemeinschaftlichen Prozess-
führung gegen einen Störer, der zunächst aus
gemeinschaftlicher Verwaltungsgebundenheit
solche gemeinschaftlichen Vorfinanzierungen
anteilig mitzutragen hat.
Verschuldetes Verzögern einer Beschluss-
durchführung kann den Verwalter durchaus
in eine Haftungssituation gegenüber einzel-
nen Eigentümern bringen, wenn diese etwa
mit berechtigten Minderungsansprüchen ihrer
Mieter konfrontiert werden. Auch schuldhaf-
tes Verschleppen der Angelegenheit seitens
der Gemeinschaft (Achtung: ggf. namentliche
Abstimmung!) kann im Verhältnis zu einem
direkt sehr nachteilig betroffenen Eigentümer
im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich angese-
hen werden. Dass der BGH im vorliegenden
Fall schuldhaftes Verzögern einer Beschluss-
ausführung deshalb verneinte, weil die Ge-
meinschaft bereits gegen andere störende
Miteigentümer zur Unterbindung der Prostitu-
tion in deren Wohnungen Klagen eingeleitet
hatte, überzeugt mich allerdings nicht.
Hat nun ein einzelner Eigentümer berechtigter-
maßen unter Behauptung unmittelbarer Nach-
teilswirkungen auf sein Eigentum (anders als
im entschiedenen Fall) vor Vergemeinschaf-
tung der Klageführung Störabwehrklage erho-
ben, sollte er Gemeinschaft und Verwaltung in
der Diskussion vor beabsichtigter Beschluss-
fassung auf seine bereits rechtshängige Indivi-
dualklage hinweisen. Die Gemeinschaft könn-
te durch Mehrheitsbeschluss den Einzelkläger
ermächtigen, fortan die Klage auch auftrags
der Gemeinschaft in Prozessstandschaft für
diese weiterzuführen. Will die Gemeinschaft
allerdings beschlussgemäß in Bündelung al-
ler Einzelansprüche und gemeinschaftlicher
Willensbildung sowie weitgehend gleicher
Zielrichtung erneut eigenständig Klage führen
und geschieht dies auch, entsteht zwangsläu-
fig zunächst doppelte Rechtshängigkeit bei
gleichem Unterlassungs-Streitgegenstand vor
gleichem Gericht gegen den gleichen Beklag-
ten. Um widersprüchliche Entscheidungen und
unzulässige Doppelbelastungen eines Beklag-
ten zu vermeiden, müsste hier m. E. das Ge-
richt das Individualklageverfahren aussetzen.
Die Möglichkeit, die Verfahren zu verbinden,
besteht insoweit – anders als bei Beschlussan-
fechtungsverfahren – nicht.
Hat die gemeinschaftliche Klage Erfolg, müss-
te von Amts wegen Hauptsacheerledigung der
vorausgegangenen Individualklage festgestellt
1,2,3,4,5,6,7,8,9 11,12
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