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Deckert kompakt
ganz h. M. einen positiven Beschluss nur
verkünden, wenn die für den Beschluss er-
forderliche Stimmenmehrheit erreicht ist. Die
Verkündung eines positiven Beschlusses trotz
Fehlens der erforderlichen Mehrheit kann
ohne Weiteres die Kostenfolge des § 49 Abs.
2 WEG auslösen.
Es ist unerheblich, dass die Missachtung des
Mehrheitserfordernisses wohl nur die An-
fechtbarkeit des Beschlusses und nicht dessen
Nichtigkeit nach sich gezogen hat.
Das bedeutet für Sie:
1. Zitterbeschlussfassung auch bei
baulichen Veränderungen?
Wissentlich und willentlich werden in Gemein-
schaften nach wie vor vielfach Mehrheitsbe-
schlüsse als sog. Zitterbeschlüsse gefasst, die
im Falle form- und fristgemäßer Anfechtung
formal- und/oder inhaltsrechtlich für ungültig
erklärt werden müssten. Solche risikobehafte-
ten Beschlüsse werden vor allem dann prak-
tiziert, wenn in einer beschlussfähigen Ver-
sammlung die Eigentümermehrheit nicht mit
einer gerichtlichen Anfechtung überstimmter
oder in der Versammlung nicht anwesender
Eigentümer rechnet. Es handelt sich hier meist
um Beschlussergebnisse, die inhaltlich ganz
allgemein gegen dispositives Gesetzesrecht
oder getroffene Vereinbarungen verstoßen,
häufig insoweit Grundsätzen ordnungsgemä-
ßer Verwaltung oder dem gebotenen Gebrauch
des Gemeinschaftseigentums widersprechen.
Grundsätzliche Beschlusskompetenz der Ge-
meinschaft besteht nun insbesondere auch im
Falle erwünschter Zustimmungen/Genehmi-
gungen für beabsichtigte bauliche Veränderun-
gen am Gemeinschaftseigentum durch einzelne
Eigentümer bzw. eine Mehrheitsgruppe gemäß
§ 22 Abs. 1 Satz 1 WEG. Ausdrücklich geregelt
ist in der Vorschrift aber auch, dass solche Maß-
nahmen nur zulässig sind, wenn sämtliche Ei-
gentümer, deren Rechte über das in § 14 Nr.
1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt
werden, der Maßnahme zustimmen.
Überstimmten Eigentümern bietet in kosten-
rechtlicher Hinsicht im Übrigen § 16 Abs. 6
WEG einen gewissen Schutz. Was die Beein-
trächtigungs- und Zustimmungsfrage nach §
22 Abs. 1 Satz 1 WEG in Abwägung zu Dul-
dungspflichten nach § 14 Nr. 1 WEG betrifft,
kann hierüber im Eigentümerkreis je nach Ein-
zelfall heftig diskutiert und gestritten werden.
Die grundsätzliche Beschlusskompetenz ist al-
lerdings auch hier nicht in Frage zu stellen.
2. Korrekte Verkündung eines
Abstimmungsergebnisses
Dass der Versammlungsleiter Abstimmungs-
ergebnisse in Form eines positiven oder auch
negativen Beschlusses grundsätzlich eigen-
ständig zu verkünden hat, ist Folge einer
Grundsatzentscheidung des BGH von 2001
unter seinerzeitigem Vorsitz von Wenzel. Erst
eine solche Verkündung komplettiert einen
WEG-Beschluss, führt also überhaupt zu des-
sen „rechtlicher Geburt“.
Eine bisher höchst umstrittene Frage ist nun
insoweit, ob bereits der Versammlungsleiter
bei Beschlussfassungen zu § 22 Abs. 1 WEG
und verlautbarten Gegenmeinungen einzelner
Eigentümer trotz einer sich abzeichnenden
positiv zustimmenden/genehmigenden Ei-
gentümermehrheit im Rahmen seiner Ergeb-
nisverkündung die inhaltliche Kernfrage einer
Beeinträchtigung oder Duldungspflicht eigen-
ständig entscheiden kann, sollte er hierüber
überhaupt mangels vorhandener Allstimmig-
keit abstimmen lassen. Muss er hier die oft-
mals schwierige rechtliche Bewertung einer
Duldungspflicht nach § 14 Nr. 1 WEG bzw. be-
hauptete „Übermaß-Beeinträchtigungen“ nach
seinem eigenen Rechtsverständnis wertend
und zunächst verbindlich entscheiden? Kann
er gegen einen Mehrheitswillen selbst bei ei-
nem einzelnen Widerspruch zur Genehmigung
einer baulichen Veränderung sogar einen Ne-
gativbeschluss verkünden – oder muss er dies
sogar? Hiervon geht offensichtlich das Landge-
richt Bamberg aus, wie auch das Amtsgericht
Würzburg in der Vorinstanz.
Dem Verwalter eine solche Kompetenz zuzu-
schreiben, erscheint mir nach wie vor nicht
vertretbar, und kann selbst einen berufserfah-
renen Verwalter in solchen Abwägungsfragen
überfordern. Insoweit kann der Verwalter auch
in Konflikt zum Rechtsdienstleistungsgesetz
(RDG) geraten.
Ist also von mehrheitlicher Beschlussgenehmi-
gung auszugehen, hat der Verwalter grundsätz-
lich insoweit auch einen Mehrheitsbeschluss zu
verkünden. Überstimmte Eigentümer besitzen
kraft Gesetzes entsprechende Anfechtungs-
rechte und damit auch eine Anfechtungslast.
Ohne Anfechtung werden allerdings auch
solche Gestattungs-Mehrheitsbeschlüsse be-
standskräftig und allgemeinverbindlich.
Ein problembewusster und fachkundiger Ver-
walter hat vor einer Abstimmung allein auf
mögliche Beschlussanfechtungs- und auch
Kostenrisiken hinzuweisen. Er kann allerdings
eine gewollte Abstimmung nicht verhindern
oder gar gegen den Mehrheitswillen seine
eigene Rechtsansicht durchsetzen und in sol-
chen Fällen tatsachenwidrig etwa einen Nega-
tivbeschluss verkünden.
Dass das Gericht den Verwalter überdies trotz
erfolgter Hinweise auf Anfechtungsrisiken
nach § 49 Abs. 2 WEG in die Verfahrenskos-
tentragung „bestrafend“ verurteilte, ist nicht
zu akzeptieren. Dies umso mehr, als die Ver-
kündungsproblematik bereits in DWE 2005
zur Diskussion gestellt und nachfolgend wis-
senschaftlich vertiefend insbesondere von J.-
H. Schmidt in der Festschrift für Merle 2010,
Seite 329 im auch diesseits vertretenen Sinne
belegt wurde.
3. Gemeinschaft kann auch rechtswidrige
Mehrheitsbeschlüsse fassen
Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass eine
Gemeinschaft auch zu baulichen Veränderungen
im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG rechtswid-
rige (anfechtungsbehaftete) Zitterbeschlüsse
mehrheitlich fassen kann, die nach entsprechen-
den Risikohinweisen des Versammlungsleiters
auch im Sinne solcher (nur) Mehrheitsbeschlüs-
se dann wahrheitsgemäß zu verkünden sind.
Insoweit ist selbst bei erkennbarer/vermut-
barer Rechtswidrigkeit nach entsprechenden
Risikohinweisen des Versammlungsleiters das
Entscheidungsergebnis der Gemeinschaft von
diesem auch zu respektieren.
Über Gültigkeit oder Ungültigkeit entschei-
det allein das Gericht im Anfechtungsfalle.
Dass der Versammlungsleiter seine rechtzei-
tigen Hinweise vor der Abstimmung auch zu
Beweiszwecken im Versammlungsprotokoll
festhalten sollte, liegt in seinem ureigensten
Interesse.
Alleinige richterliche Entscheidungskompetenz
ist umso mehr angezeigt, als eine jüngere Ent-
scheidung des Landgerichts München I sogar
davon ausging, dass einer Gemeinschaft nicht
in Beschlusskompetenz das Recht zustehe,
eine auslegungsbedürftige Gemeinschaftsord-
nungs-Vereinbarung in bestimmtem Sinne auf
Dauer eigenständig interpretieren zu dürfen.
Auch dies stehe nur dem Gericht zu!
4. Erkennbar nichtige Beschlüsse nicht
zur Abstimmung stellen
Geht der Verwalter/Versammlungsleiter er-
kannter maßen von evidenter Nichtigkeit ei-
ner möglichen Beschlussfassung aus, sollte er
in solchen eindeutigen Fällen erst gar nicht
abstimmen lassen. Entsprechende Tagesord-
nungs-Wünsche sollte er sogar mit Erläute-
rungen seinerseits gar nicht erst in ein Einla-
dungsschreiben aufnehmen.
Fingerzeig (Zeigefinger!) an die Gerichte:
„Finger weg“ von § 49 Abs. 2 WEG gerade in
diesen noch nicht endgültig geklärten Verkün-
dungsfragen zu § 22 Abs. 1 WEG! Insbeson-
dere dann, wenn der Verwalter pflichtgemäß
und rechtzeitig auf das Anfechtungsrisiko bei
nur mehrheitlichen Beschlussfassungen hinge-
wiesen hat.
!
Weiterführende Informationen:
Beschluss
636307
Abstimmung in der Eigentümerversammlung
636138