Immobilienwirtschaft 3/2019 - page 64

„Die Wohnungswirtschaft
profitiert noch nicht hinreichend
von der Digitalisierung“
INTERVIEW
MIT NINA KLOSTER
Frau Kloster, wie lassen sich die Komponenten einer TGA
besonders gut digitalisieren?
Das mächtigste Werkzeug der
digitalisierten Gebäudeplanung stellt das Building Informati-
on Modeling, kurz BIM, dar. Damit lässt sich ein umfassender
digitaler Zwilling eines Bauwerks mit großer Informationstiefe
abbilden, welcher allen Baubeteiligten als Arbeitsplattform über
den gesamten Lebenszyklus dient – von der Planung, über die
Ausführung und Bewirtschaftung bis hin zum Rückbau. Sämt-
liche Bauteilinformationen liegen als alphanumerische Attribute
wie u. a. Qualitäten oder Typeninformationen und als Parameter
in der Datenbank vor. Zwar ist der Aufwand für die Einführung
von BIM-Modellen zeitintensiv, jedoch sorgt diese Methode
für Termin- und Kosteneinhaltung in der Baupraxis, wodurch
etwaige Planungsfehler wie beispielsweise am Flughafen Berlin
Brandenburg frühzeitig ersichtlich werden. 20 Hersteller bieten
bereits eine eigene BIM-Software an. Jedes Programmhat Stärken
und Schwächen. Wenige von ihnen können den gesamten Pla-
nungsprozess und insbesondere das komplexe Zusammenspiel
der Gewerke tadellos abbilden.
Welche Voraussetzungen müssen in einer Immobilie vorhan-
den sein, damit eine Digitalisierung der TGA überhaupt mög-
lich ist?
Generell ist das die 3D-Geometrie. Planungsprozesse
von Neubauprojekten sollten im besten Falle mit BIM umgesetzt
werden – trotz des höheren Zeitaufwandes. Bei Bestandsobjekten
liegen in der Praxis oft nicht alle Unterlagen vor, z. B. aufgrund
nachträglicher Baumaßnahmen. Hier gibt es mittlerweile gute
3D-Scanner und entsprechende Dienstleister, die Punktwolken
von bestehenden Gebäuden erfassen und eine 3D-Geometrie
recht präzise abbilden. CAD-Modelle sind Grundvoraussetzung
für eine digitalisierte TGA.
Welche Vorteile bietet die Digitalisierung dank BIM?
BIM
schafft in der frühen Planungsphase eine Arbeitsplattform zur
transparenten Kommunikation aller Gewerke. Planungsfehler
werden bereits im digitalen Abbild ersichtlich. Ein 3D-Modell
Nina Kloster, Professorin für
Gesundheit und Komfort im Ge-
bäude an der Fakultät für Anlagen,
Energie- und Maschinensysteme
der TH Köln
erleichtert die Dokumentation und kann über den gesamten Le-
benszyklus als Entscheidungshilfe dienen, die Betriebsprozesse
des Gebäudes zu optimieren. Aus dem BIM-Modell werden sich
Applikationen ableiten lassen, die vom Hersteller, Fachplaner,
Haustechniker bis zum Endgerät des Gebäudenutzers neue An-
wendungspotenziale eröffnen. So können sich beispielsweise
Nutzer über eine App Anweisungen zur Lüftung wie Feinstaub-
senkung oder CO
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-Reduktion, Bewertung der Schimmelrisiken,
Sicherheitsempfehlungen wie das Platzieren von Sicherheitska-
meras, Heizungs- und Bewässerungssteuerung durch Abgleich
mitWetterdaten oder Inhaltsstoffe von Baumaterialien darstellen
lassen.
Und welche Nachteile?
Zurzeit mangelt es an Prozess- und Da-
tenstandards, die alle Beteiligten berücksichtigen. Die Bauindus­
trie ist stark fragmentiert, etwa durch den hohen Anteil an Klein­
unternehmen, und besteht aus vielfältigsten Unternehmens
akteuren. Nur eineMinderheit nutzt die BIM-Methodik und kann
sich in den Planungsprozess aktiv einbringen. An zahlreichen
Schnittstellen sind Übergaben zu tätigen, die einen einheitlichen
und sicheren Datenaustausch voraussetzen. Die fehlenden Stan-
dards bergen Risiken des Scheiterns.
Gibt es Branchen, die aus Ihrer Sicht Vorreiter bei der Digi-
talisierung der TGA bei ihren eigenen Immobilien sind, und
solche, die das eher zögerlich handhaben?
Produzierende
Unternehmen nehmen eine Vorreiterrolle im digitalen Wandel
ein. Produktionsstätten können in Deutschland dem internati-
onalen Kostendruck nur standhalten, wenn sie ihre Fertigungs-
prozesse effizienter durch einen hohen Automatisierungsgrad
optimieren. Die Automobil- und Maschinenbaubranche hat in
den letzten Jahren die Industrie 4.0 stark vorangetrieben. Die
Wohnungswirtschaft profitiert nicht im gleichen Umfang von
der Digitalisierung, obwohl digitalisierte Gebäude effizienter zu
betreiben sind und automatisierte Wartungsprozesse ermögli-
chen.
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TECHNOLOGIE, IT & ENERGIE
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TECHNISCHE GEBÄUDEAUSRÜSTUNG
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