Immobilienwirtschaft 3/2019 - page 70

70 KOLUMNE
S
chon seit dem frühen Mittelalter hatte Europa gemeinsame
Werte. Diese wurden weitgehend vom Vatikan definiert,
auf der Grundlage von Bibelexegese, Machtpolitik und den
Partikularinteressen des Papstes. Vom Kirchenstaat abgesehen,
beruhte die große Macht des Papstes über Europa nicht auf
Waffen, sondern auf Glaubwürdigkeit.
Im ausgehenden 15. Jahrhundert begannen viele Menschen, sich
von den damals verfügbaren Informationsquellen zu lösen. Es
wurden Lehrmeinungen in Frage gestellt. Wenn aber dem Papst
gelehrte Dispute zu gefährlichwurden, gab es denwirkungsvollen
Weg, den Überbringer der neuen Erkenntnisse persönlich so
unglaubwürdig zu machen, dass man ihm per se nichts mehr
glaubte. Man machte die Öffentlichkeit glauben, dass es sich um
Häretiker, sogar Sodomiten handele. Die Verfahren gegen Koper-
nikus, Galileo und andere bieten unzählige Beispiele.
Und hier liegt die Gefahr für die EU: Gestützt auf die Autorität
ihres Amtes haben Politiker und Wissenschaftler seit langer
Zeit die Öffentlichkeit davon überzeugt, dass die gegenwär-
tige EU die beste aller möglichen Welten ist. Die rechtlich
eigenwillige Politik der EZB zu Lasten deutscher Sparer wird
damit verteidigt, dass Deutschland Exportnation ist und der
Großteil deutscher Exporte in die Länder des Euroraumes geht.
Ergo: Der deutsche Steuerzahler profitiert seit der Einführung
des Euro. Wenn Menschen einer Lehrmeinung nicht folgen,
Reitzenstein denkt an ...
sondern eigenständig Zahlen prüfen, könnten sie die deutschen
Außenhandelsbilanzen betrachten: jene von heute und jene von
vor der Einführung des Euro – und nachrechnen, um wie viel
Prozent der Export in die Länder des Euroraumes in den ver-
gangenen fast 20 Jahren gestiegen ist. Es nimmt nicht wunder,
dass diese Menschen dann weiter offizielle Statistiken, Gesetze
und deren Umsetzung betrachten und feststellen: Vieles von
dem, was dem Bürger als beste aller möglichen Welten verkauft
wird, ist eine Mogelpackung. Und vieles ist schlicht Glauben.
Verhindert die Existenz der EU, dass sich europäische Staaten
mit Krieg überziehen? Oder verhindert das die NATO, deren
Mitglied die meisten europäischen Staaten sind? Was immer
man glauben mag, glaubt man, weil man die eine bestimmte
Meinung vertretenden Autoritäten für glaubwürdig hält. Oder
man glaubt aufgrund abweichender Beobachtungen nicht mehr
ganz so viel. Es ist eben dieser Glaubwürdigkeitsverlust, der
Europa an den Rand der größten Krise der letzten Jahrzehnte
gebracht hat.
Einige europapolitische Exponenten riefen nach dem Brexit-
Referendum nach Bestrafung der Briten. Wie soll der Wäh-
ler einen Politiker für einen Demokraten halten, wenn der
eine demokratische Entscheidung zum Anlass nimmt, nach
Strafe zu rufen? Erstaunlicherweise blieben die (Immobilien-)
Unternehmer recht still in dieser Frage. Möglicherweise hätte
... Glaubwürdigkeit
und Brexit
Quelle: one line man/shutterstock.com
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