Immobilienwirtschaft 7/2018 - page 15

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-8.2018
In vielen Städten gähnen die Besucher
leere Schaufenster an. Das wirkt depri-
mierend. Warum gehen die Vermieter
nicht mit den Preisen runter – um zum
Beispiel coole Pop-up-Stores zu ermög-
lichen?
Es ist kurzsichtig, wenn Eigentü-
mer Gewerbe leer stehen lassen. Wir ha-
ben aktuell die Situation, dass viele Nut-
zungen aus den Innenstädten verdrängt
wurden, weil sie nicht wettbewerbsfähig
waren. Aber jetzt gibt es immerhin einen
positiven Effekt.
Nämlich?
Die Krise wird als solche wahr-
genommen. In den Nebenlagen sinkt das
Mietniveau derzeit stark. Die Schilder-
gasse in Köln, die Mönkebergstraße in
Hamburg, die Neuhauser Straße in Mün-
chen – das sind Toplagen, in denen auch
in Zukunft sehr hohe Gewerbemieten
erwirtschaftet werden können. Zwei, drei
Straßen weiter sieht das jedoch ganz an-
ders aus …
Das heißt, es kommt zuMietsenkungen?
Ich habe das in Remscheid erlebt. Da be-
fanden sich die Immobilienbesitzer meh-
rere Jahre lang imTal der Tränen. Mittler-
weile sind die Eigentümer dort bereit, erst
einmal wenigMiete zu nehmen, damit ein
neuer Laden überhaupt Fuß fassen kann.
Neue Läden alleine machen eine Stadt
nicht bunter. Was braucht es noch?
Bei-
spielsweise Kindertagesstätten, Sozialzen-
tren oder Ärztehäuser – auch die bringen
Laufkundschaft. Wir müssen insgesamt
wieder viel multifunktionaler denken!
Das geht aber nur, wenn bei den Vermie-
tern eine wirtschaftliche Offenheit da ist.
In der Vergangenheit hat man auf H&M,
C&A und Saturn gesetzt. Wenn man In-
nenstädte revitalisieren will, muss man
lokaler und detailorientierter vorgehen.
Dafür muss das Rad nicht neu erfunden
werden ...
Nein, es geht eher um Rück-
besinnung: Der Handel war nicht zuerst
in der Innenstadt, zuerst waren die Men-
schen da. Daraus hat sich ein Universum
unterschiedlichster Nutzungen gebildet.
Erst im20. Jahrhundert hat der Einzelhan-
del alles andere verdrängt. Jetzt verändern
sich die Spielregeln erneut …
Was ist mit den mittleren Städten, den
kleinen? Werden auch deren Innenstäd-
te revitalisierbar sein?
Es wird Konzen-
trationen und Reduktionen geben. In allen
Seitenstraßen den Einzelhandel aufrecht-
erhalten zu wollen, ist nicht realistisch.
Aber dadurch, dass Schulen, Museen und
andere Akteure wieder Einzug halten kön-
nen, werden auch Städte mit 70.000 oder
7.000 Einwohnern eine Chance haben.
Gibt es weitere Beispiele für Verände-
rungen?
Ein tolles Beispiel ist die Vino-
thek in Iphofen, das ist eine kleine Ge-
meinde in der Nähe von Würzburg. Dort
wurde historische Bausubstanz zu einem
modernen Veranstaltungsort umgebaut.
Dazu das lokaleWeinthema. Die Vinothek
hat unglaublichen Zuspruch. Es ist keine
Frage der Größe, sich imeigenen Einzugs-
gebiet spannend zu präsentieren.
Braucht gerade die alternde Gesell-
schaft solche analogen Treffpunkte?
Ja,
aber auch die Jungen schätzen das inner-
städtische Lebensgefühl.Wohnen imZen-
trum ist schon seit vielen Jahren wieder
en vogue. Ich denke, in 20 Jahren werden
wir volle Innenstädte mit jüngeren und äl-
teren Bewohnern haben. Leben, Arbeiten,
Freizeit werden mehr und mehr zusam-
menfallen. Das wird architektonisch in die
städtischen Strukturen einsickern.
Aus der Asche kann ein Phönix entstei-
gen?
Ja, aber es darf keine neue Unifor-
mität geben.
Die Innenstadt ist tot, es lebe die Innenstadt! Nachdem das Internet den deutschen
Fußgängerzonen heftig zugesetzt hat, wollen Stadtplaner das Ruder jetzt rumreißen.
Nur wie? Fragen an Standortentwickler
Edgar Neufeld
aus Bochum.
„Inhabergeführte Häuser
besinnen sich wieder da-
rauf, die Menschen abzu-
holen. Das geht über
Beratung oder über eine
Treffpunktstrategie.“
«
Dr. Astrid Herbold, Berlin
Edgar Neufeld
ist Projektentwickler
bei der Standortentwicklung Neufeld.
Diese ist Service-Developer, Stand-
ort- und Unternehmensberater für
öffentliche und private Auftraggeber. Zu
den Tätigkeitsschwerpunkten zählen:
Handelsimmobilien, Standortanalyse
und Standortentwicklung, Expansions-
betreuung, Innenstadt-Revitalisierung,
Wirtschaftlichkeitsberechnungen,
Kaufkraftbindungskonzepte.
ZUR PERSON
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