Immobilienwirtschaft 7/2018 - page 14

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POLITIK, WIRTSCHAFT & PERSONAL
I
„OFFLINE-HANDEL“
„Multifunktionaler denken!“
Foto: Christian Mueller/shutterstock.com
geber ist, wenn er eine Beziehung zu seiner
Kundschaft aufbaut, dann kann es funk-
tionieren. Ich habe das in Bocholt erlebt,
da arbeiten Stilberater, Kosmetiker und
Modehändler eng zusammen. Wer dort
einkauft, erhält eine individuelle Bera-
tung. Das geht nur im echten Kontakt …
Das klingt einwenig nach den Kaufhaus-
konzepten des 20. Jahrhunderts – müs-
sen wir dahin zurück?
In den 1920ern bis
1960ern gab es in vielen Städten bekannte
Familienunternehmen, die ein Modehaus
oder Schuhhaus besaßen. Das waren die
Champions ihrer jeweiligen Stadt. In den
1970ern sind dann die ersten Filialisten
entstanden, die die inhabergeführten Ge-
schäfte nach und nach verdrängt haben.
Jetzt werden die Filialisten, weil sie als uni-
formwahrgenommenwerden, von den in-
novativeren Onlineportalen angegriffen.
Gibt es Lösungen?
Durchaus. Inhaber-
geführte Häuser besinnen sich wieder
darauf, die Menschen abzuholen. Das
geht nicht nur über Beratung, sondern
auch über eine Treffpunktstrategie. Ver-
abredet man sich etwa inOsnabrück, dann
meist im Modehaus L&T Lengermann &
Trieschmann. Das kennt dort jeder.
Herr Neufeld, denken wir uns ins Jahr
2050: Die Bequemlichkeit hat gesiegt,
Menschen bestellen nur noch im Netz,
Drohnen werfen die Ware direkt auf
demBalkon ab. Klingt doch super, oder?
Nein, das ist ein tristes Szenario. Es steckt
in den menschlichen Genen, dass wir uns
persönlich und physisch begegnen wol-
len. Meine Wunschvorstellung wäre, dass
Menschen auch in 30 Jahren noch Lust
haben, sich im öffentlichen Raum aufzu-
halten. Bis 2050 könnten wir grüne Städte
haben, sogar vertikal begrünt.
In den letzten zehn bis 15 Jahren hat es
in vielen Städten ein Sterben der Ein-
kaufsstraßen gegeben. Ist nur das Inter-
net schuld oder gibt es weitere Gründe?
Deutsche Innenstädte sind über viele Jahr-
zehnte monofunktional überformt wor-
den. Wir haben es mit Fußgängerzonen
zu tun, in denen Einzelhandelsgeschäfte
vorrangig sind.
Und andere Dienstleistungen?
Gastro-
nomie, Gesundheits- oder Sozialzentren
– konnten sich die Mieten in den A-Lagen
nicht mehr leisten. Im Westen Deutsch-
lands merkte man mit dem Wirtschafts-
wunder, dass bestimmte Standorte so in-
tensiv frequentiert werden, dass man dort
sehr hohe Umsätze erzielen kann. Da-
durch sind die Gewerbemieten explodiert.
Das hat wiederum dazu geführt, dass die
Investmentbranche sich die Filetstücke
rausgepickt und die Mieten dort immer
weiter nach oben getrieben hat. Mehrere
Jahrzehnte lang hat das funktioniert.
Es sieht mittlerweile in jeder deutschen
Innenstadt gleich aus. Ist das Teil des
Problems?
Auch das wurde durch das In-
vestitionsverhalten der letzten Jahrzehnte
ausgelöst. Häufig wurden die inhaber­
geführten Läden verdrängt. Vor 20 Jah-
ren hat man den Onlinehandel belächelt.
Dann aber haben die Onlinehändler sich
überlegt, wie man besser und kunden-
freundlicher werden kann …
Haben sich die Innenstädte ein Stück
weit auf ihren A-Lagen ausgeruht?
Ja,
da war sicher auch Arroganz dabei. Plötz-
lich hatte jedenfalls das Internet die Nase
vorn, mit schnellen Lieferzeiten, kosten-
loser Rückgabe und so weiter.
Und wie erobert man nun als statio-
närer Einzelhändler seine Kunden zu-
rück?
Wenn der Händler eine Art Gast-
Trotz Onlinehandel:
Dass Innenstädte
immer unifor-
mer werden oder
vielleicht ganz
verschwinden, ist
kein Naturgesetz.
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