Region Report Hamburg - page 19

19
INTERVIEW
Was ist es stattdessen?
Es sollte bei der
Entwicklung neuer Gebiete viel öfter nach
den Strukturen einer nachhaltigen und re-
silienten Stadt gefragt werden. Den Mög-
lichkeitsraum einer Stadt auszuschöpfen,
ökonomisch in Bezug auf die Schaffung
von Arbeitsplätzen, sozial in Bezug auf
die Begegnungsfähigkeit der Menschen
und ökologisch im Sinne nachhaltiger
Lösungen – das ist eine zentrale Aufgabe
von Stadtentwicklung.
Wird Technologie überbewertet?
Natürlich ist es nicht unwesentlich, wel-
che technischen Rahmenbedingungen,
welche Informationssysteme man hat, um
eine Stadt intelligent zumachen. Aber viel
wichtiger ist die Frage, wie langfristig in-
telligente Stadtstrukturen aussehen, in die
sich dann technische Lösungen einbetten.
Und das Thema Mobilität
… ist unter
demGesichtspunkt von nachhaltiger Stadt
hoch bedeutsam. Das Straßenkonzept in
der HafenCity ist so ausgelegt, dass wir
trotz Durchgangsverkehr nur 24 Prozent
der gesamten Fläche für Straßen vorge-
sehen haben. Wir gehen davon aus, dass
sich die Nutzungsintensität der Straßen
durch motorisierten Individualverkehr in
den nächsten Jahrzehnten weiter reduzie-
ren könnte und sich dadurch in wenigen
Jahren durch Carsharing und E-Mobilität
auch die Emissionssituation deutlich ver-
bessert.
Menschen fühlen sich durch diese Mög-
lichkeit ermutigt, eigene Ideen und Pro-
jekte umzusetzen.
Welche Rolle spielen karitative The-
men?
Eine große. Je weiter sich die Ha-
fenCity in Richtung Osten entwickelt,
desto stärker ist das Engagement sozialer
Institutionen. So wird im Quartier Baa-
kenhafen zum Beispiel ein Wohnprojekt
für junge unheilbar kranke Menschen
realisiert. Wichtig ist Vernetzung. Stich-
wort Altenbetreuung: Hier brauchen wir
nicht nur seniorengerechte Wohnungen,
sondern auch institutionelle Träger, die
ein Netzwerk garantieren und Service-
leistungen für Senioren gewährleisten
können. Wir arbeiten mit Halteverpflich-
tungen imKaufvertrag, die die Bauherren
schon mal 20 oder 30 Jahre an das Projekt
binden. Wir nennen das soziale Resilienz.
Das ist etwas, was über reine Stadtplanung
hinausgeht. Ich würde das, was hier ge-
schieht, als „soziale Stadtkomposition“
bezeichnen.
Warum Komposition?
Das hat damit zu
tun, dass wir uns seit 2003 davon verab-
schiedet haben, Grundstücke rein nach
Höchstpreis auszuloben. Damals haben
wir imWestteil der HafenCity denGrund-
stückspreis für Wohnbaugrundstücke in
einer Höhe festgelegt, die auch für Ge-
nossenschaften darstellbar war. Auf die-
ser Festpreisbasis haben wir dann nach
Konzepten ausgesucht. Ausschlaggebend
ist seither nicht der höchste erzielbare
Verkaufspreis, sondern die Qualität der
Nutzungskonzepte. Seit 2010 bieten wir
die Grundstücke gemäß 70 Prozent Kon-
zept und 30 Prozent Preis an. So kannman
Differenzierung von Stadt produzieren.
Wie haben die Marktakteure darauf re-
agiert?
Sie haben sehr schnell verstanden,
dass es gut für die Wettbewerbsfähigkeit
sein kann, wenn man sich auf diesen
Entwicklungsprozess einlässt. Wir haben
mit Bauherren und Baugemeinschaften
kommuniziert, dass sie nur zum Zuge
kommen, wenn sie Ideen entwickeln.
Gleichzeitig haben wir uns Konzepte so-
zialer Einrichtungen erklären lassen und
zugleich Genossenschaften und andere
Bauherren gefragt, wie sie sich eine Ein-
bindung solcher Träger vorstellen kön-
nen. Wir haben Bauprofis und soziale
Träger zusammengebracht …
Ist das nicht gängig?
Nein. Häufig wer-
den Angebote so angenommen, wie sie
sind. Wir produzieren die Qualität der
Angebote als Lernprozess und Anreiz-
setzung bereits im Vorfeld! Danach gibt
es eine lange Anhandgabephase, die
durchaus mal eineinhalb Jahre dauern
kann. In dieser Phase wird detailliert mit
Unternehmen über die Umsetzung ihrer
Projekte gesprochen, auch über die Ar-
chitekturwettbewerbe. Und so entsteht
auch unter den Beteiligten selbst eine gute
Verbindung. Wir entwickeln durch diese
Prozesssteuerung eine Stadtqualität, die es
vorher so überhaupt nicht geben konnte.
Wie hat denn der Markt reagiert?
Eswird
immer gesagt, er wolle das so und so, aber
das stimmt so nicht. „Der Markt“ ist ein
Lernfeld.Man kann demMarkt und seinen
Teilnehmern in einem so großen Projekt
ein völlig neues Potenzial einprägen. Das
ist eine der wichtigen Legitimationen für
große Stadtentwicklungsvorhaben.
Wie kann man Stadtentwicklung in
zehn bis 15 Jahren denken?
Auch in den
letzten Jahrzehnten herrschte die Tendenz
vor, Städte bei Innovationsthemen viel zu
eng vorzudefinieren. BeimThema Smart
City etwa geht es häufig um rein techno-
logische Lösungen. Das greift viel zu kurz.
«
Dirk Labusch
Fotos: : ELBE&FLUT; HafenCity Hamburg GmbH
Trotz Kostensteigerung um ein Vielfaches:
Es bleibt Hamburgs beeindruckendes
Wahrzeichen – die Elbphilharmonie.
1...,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18 20,21,22,23,24,25,26,27,28,29,...36
Powered by FlippingBook