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MARKT & POLITIK
I
FLÜCHTLINGSKRISE
hen knapp 70 Prozent des Wohnraums in
Deutschland völlig zerstört wordenwaren.
Diese Beispiele zeigen, dass der private
Wohnraumauch ein Sozialgut ist, das sich
„sui generis“ unterscheidet von allen an-
deren Wirtschaftsgütern. Staatliche Ein-
griffe in die Wohnungswirtschaft sind
daher unter bestimmten Bedingungen
gerechtfertigt. Voraussetzung dafür ist
aber immer das Vorhandensein einer das
Gemeinwesen bedrohenden Notlage wie
Krieg, Hungersnot, Epidemie usw.
Es muss also eine Situation vorherr-
schen, die die staatliche Ordnung in ihren
Grundfesten bedroht. Vor diesemHinter-
grund ist die Frage, ob die nur punktuell
auftretende starke Wohnraumverknap-
pung überwiegend in den 18 großen Uni-
versitätsstädten bereits eine Notlage für
den staatlichen Eingriff in den privaten
Wohn- oder Gewerberaum begründet,
momentan zu verneinen. Hierbei handelt
es sich nur umeine punktuelle Fehlalloka-
tion des Marktes und nicht um ein Groß-
ereignis von historischem Ausmaß.
GEBOT: RATIONALE WOHNUNGSPOLITIK IN
KONZERTIERTER AKTION
Man muss kein
Prophet sein, um vorherzusehen, dass all
diese staatlichen Eingriffe ins Leere gehen
und wirklich noch nicht einmal imAnsatz
zur Problemlösung beitragen. Dies lässt
sich sehr einfach begründen:
Als Begründung für die staatlichen
Eingriffe werden leer stehende Woh-
nungen angeführt, die etwa aus reinem
Luxusdenken gehalten werden, während
auf der anderen Seite Menschen in kalten
Jahreszeiten in Zelten notuntergebracht
sind. Eine Politik, die Gesellschaftsgrup-
pen so gegeneinander ausspielt, ist an die-
ser Stelle nicht zu kommentieren.
Aus rein ökonomischer Sicht führen
nach der Markttheorie restriktive, in das
Marktgeschehen eingreifende staatliche
Maßnahmen immer zu Ausweichreakti-
onen, die darauf abzielen, den staatlichen
Eingriff ökonomisch zu neutralisieren.
Das heißt: Wie die Preisbremse vom
Markt antizipiert wurde, würde auch im
Falle, dass die Kommunen Ernst machen
und tatsächlichmit der „Jagd“ auf leer ste-
hende Wohnungen beginnen, der Markt
sehr schnell reagieren, indemdie Eigentü-
mer der leer stehenden Wohnungen diese
in eine Verwendung bringen würden, was
rechtlich wohl nicht zu beanstanden wäre.
Der Staat müsste dann wiederum zu dras-
tischeren Maßnahmen greifen, an deren
Ende es nur „Verlierer“ geben kann.
ANTWORTEN
Es stellt sich die Frage, was die
wirklichen Antworten auf die angespro-
chenen Probleme sind:
1.
Staatliche Eingriffe sollten grundsätz-
lich marktkonform sein. Statt also di-
rigistisch via Gesetz oder Verordnung
in den Wohnungsleerstand einseitig
einzugreifen, sollten die Kommunen
versuchen, leer stehende Wohnungen
oder Gewerberäume anzumieten.
2.
Die jetzige Spitze an Asylsuchenden
sollte nach einem anderen Schlüssel
verteilt werden, die Ansiedlung von
Asylsuchenden sollte als Chance für
strukturschwächere Gebiete gesehen
und die Verteilung in den ohnehin
schon überhitzten Gemeinden ten-
denziell vermieden werden. Es ist da-
mit nicht gewollt, dass Asylsuchende
in unbesiedelten Gebieten quasi getto
isiert werden sollen, vielmehr sollten
die Hauptzentren hier durch eine ge-
zielte polyzentrische Aufteilung und
Integration entlastet werden.
3.
Strukturell kann der Wohnungsmarkt
in den nächsten Jahren nur durch einen
massiven Neubau im zweistelligen Be-
reich entlastet werden; dazu ist es drin-
gend notwendig, dass Bund, Länder
und Kommunen in einer konzertierten
Aktion einenMasterplan erstellen, etwa
durch ein neues Wohnungsbauför-
dergesetz. Auch eine neoklassische
Fiskalpolitik – wie sie die derzeitige
Bundesregierung betreibt – ermög
licht eine keynesianische „Lücke“ für
eine einmalige Neuverschuldung, um
diese Mammutaufgabe zu lösen. Zu-
dem besteht die Gefahr, dass sich das
Wohnungsmarktproblem mittelfristig
zu einem Konjunkturdämpfer entwi-
ckeln kann.
4.
Konzertierte Aktionen der Kommunen
mit der lokalen Immobilienwirtschaft,
wie Unternehmen, Interessensgruppen
oder Verbänden (Zusammenarbeit
statt Konfrontation, wie sie vielfach
in den Städten zu beobachten ist, ist
gefordert). Kommunalverwaltungen
müssen endlich die lokale Immobili-
enwirtschaft in die Stadtentwicklung
kooperativ einbeziehen.
5.
Städte müssen den Urbanisierungs-
prozess als Chance begreifen, indem
sie hinsichtlich des Baurechts und der
Bürgernähe in der konzeptionellen
Stadtplanung eine Dienstleistungs-
mentalität entwickeln. Das noch in
deutschen Kommunen vorherrschende
hoheitliche Verwaltungsdenken ist ein
Relikt aus dem frühen 20. Jahrhundert
und entspricht nicht mehr dem heu-
tigen Demokratieverständnis.
FAZIT:
Als Fazit lässt sich ziehen, dass
die strukturellen Herausforderungen des
Wohnungsmarktes kein bundesweit ein-
heitliches Problem sind, sondern nur in
regionalen und lokalen Teilmärkten auf-
treten. Kommunen und Länder können
jedoch diese Probleme alleine nicht lösen,
hier bedarf es einer konzertierten Aktion
mit dem Bund, der sich in dieser Hinsicht
deutlich mehr bewegen muss als in den
letzten Jahren.
«
Prof. Dr. Hanspeter Gondring, Suttgart
Prof. Dr. Hans-
peter Gondring
FRICS, ist Studi-
engangsleiter
Immobilienwirt-
schaft/Versiche-
rung sowie
Studiendekan
des Studienzentrums Finanzwirt-
schaft an der Dualen Hochschule
Baden-Württemberg Stuttgart.
AUTOR