Immobilienwirtschaft 11/2015 - page 12

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MARKT & POLITIK
I
FLÜCHTLINGSKRISE
derungssalden, die starke Preisrückgänge
und Leerstände aufweisen. Eine Umkeh-
rung dieser negativen Entwicklung ist auf
längere Sicht nicht erkennbar.
STAATLICHE EINGRIFFE ALS REAKTION
An-
gesichts dieser prekären Situation greifen
Kommunen in ihrer zum Teil verzwei-
felten Lage zu dirigistischen Maßnahmen
als „Notwehr“. Im Einzelnen:
Zweckentfremdungsverbot:
Beispiels-
weise in Baden-Württemberg regelt das
Gesetz über das Verbot der Zweckent-
fremdung von Wohnraum, dass Ge-
meinden mit Wohnraummangel für
höchstens fünf Jahre bestimmen kön-
nen, dassWohnraumnur mit Genehmi-
gung überwiegendNicht-Wohnzwecken
zugeführt werden darf. Ein Notstand
D
ie Immobilienwirtschaft, aber auch
die privaten Haus- und Wohnungs-
besitzer werden zunehmend verunsi-
chert. Die folgendenAusführungen zeigen
„Schein“ und „Sein“ dieser Debatte.
Die bedrückende Analyse zumWohn-
immobilienmarkt in den Städten (siehe
unten) zeigt, dass wir bereits vor dem
Ansturm an Asylsuchenden vor einem
Wohnraum-Kollaps standen, der jetzt nur
noch heftiger auf den deutschenWohnim-
mobilienmarkt zukommt. Nach Berech-
nungen der Forschungsinstitute sind in
Deutschland insgesamt 18 Brennpunkte
extrem betroffen. Das sind Regionen mit
in der Spitze explodierenden Preisent-
wicklungen, die wiederum eine negative
Sogwirkung auf dasMiet-Preis-Gefüge im
Wohnungsmarkt haben. Dagegen gibt es
sehr viele Regionen mit negativen Wan-
Zwangsbelegung: Die falsche Rechtfertigung
Die Schreckgespenster
der Zwangsbelegung und
Zweckentfremdung geraten
zunehmend in den Fokus
der öffentlichen Wahrneh-
mung. Sie zeigen sogleich
ihre „politische Sprengkraft“.
Unkenntnis, einseitige Dar-
stellung und starke Emotio-
nalisierung befeuern diese
zusätzlich.
1. Positiver Wanderungssaldo
seit 2010
Seit 2010 hält der Trend des
positiven Wanderungssaldos an:
128.000 Zuwanderungen in 2010,
279.000 in 2011, 369.000 in 2012,
428.000 in 2013 und 550.000 in
2014. In 2015 werden vermutlich
zwischen 800.000 und 1,2 Millio-
nen Zuwanderungen erwartet.
2. Sondereinfluss 2015:
Flüchtlingsstrom
Es ist derzeit nicht möglich, die
genaue Zahl derer, die aus Krisen-
gebieten über die Balkanstaaten
in Deutschland um Asyl ersuchen,
zu beziffern, aber im Mittel ist rea-
listisch, mit rund einer Million Asyl-
suchender zu rechnen. Experten
gehen davon aus, dass nur circa
40 Prozent der Asylsuchenden als
Asylbewerber anerkannt werden,
das wären am Ende dann etwa
400.000, was wiederum für die
drei großen Flächenstaaten NRW,
Bayern und Baden-Württemberg
jeweils durchschnittlich 16 Prozent
zusätzlich (ca. 65.000) anerkannte
Asylbewerber bedeuten würde.
Hinzu kommen evtl. 150.000 bis
250.000 Zuwanderer aus dem eu-
ropäischen Ausland, sodass unter
realistischen Annahmen für die
großen Flächenstaaten 2015 von
einem positiven Wanderungssaldo
mit durchschnittlich circa 100.000
Zuwanderungen auszugehen ist.
3. Nachfrageüberhang
an Wohnraum – Defizit im
sozialen Wohnungsbau
Allgemein ist die Wohnungsbau-
tätigkeit in Deutschland in den
letzten 20 Jahren kontinuierlich
zurückgegangen. 1995 war ein
Rekordjahr mit einem Spitzenwert
von 6,3 fertiggestellten Sozial-
wohnungen, bezogen auf 1.000
Fertigstellungen im Wohnungsbau,
während in 2009 der Wert bei 1,7
Einheiten lag. Zwischen 2002 und
2010 wurden unterdurchschnittlich
wenig Wohnungen an den Markt
abgegeben, was heute dazu führt,
dass es in Deutschland einen sehr
hohen Nachfrageüberhang nach
Wohnungen gibt. Besonders hart
trifft es die finanzschwachen deut-
schen Haushalte, die in den Hot
Spots (Großstädte, Wirtschaftsre-
gionen) kaum mehr auf bezahl-
baren Wohnraum treffen und in
Randlagen ausweichen müssen.
Wie dem Statistischen Bundesamt
und den Berechnungen des Pestel
Instituts zu entnehmen ist, liegt
der Bedarf in Deutschland bei rund
5,6 Millionen Sozialwohnungen
bzw. bezahlbaren Wohnungen für
finanziell schwache Haushalte.
Dem stehen lediglich 1,6 Millionen
verfügbare Wohnungen entspre-
chend gegenüber, sodass sich ein
Netto-Bedarf von vier Millionen
sozialen Wohnungen errechnet.
Hinzu kommt, dass in den letzten
zehn Jahren rund 100.000 Sozial-
wohnungen durch Aufhebung der
Preis- oder Belegungsbindung dem
Markt entzogen wurden. Um den
Status quo überhaupt halten zu
können, müssten dem Markt jähr-
lich mindestens knapp 150.000 So-
zialwohnungen zugeführt werden.
Davon sind wir in Deutschland
weit entfernt. Das Pestel Institut
errechnet bis 2017 einen Bedarf
von 825.000 neuen Wohnungen,
z.B. errechnet das Institut allein für
Frankfurt a. M. 17.500, für Stuttgart
8.000 fehlende Wohnungen.
EINGRIFFE IN DAS EIGENTUMSRECHT
Der Wohnimmobilienmarkt in den Städten – Faktencheck
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