Immobilienwirtschaft 11/2015 - page 13

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wird festgestellt, wenn die Versorgung
mit ausreichendem Wohnraum zu an-
gemessenen Bedingungen besonders
gefährdet ist, wobei noch andere Bedin-
gungen dazukommen müssen.
Zwangsvermietung:
Es gibt erste kon-
krete Überlegungen, leer stehendeWoh-
nungen vor dem Winter zu beschlag-
nahmen und an Asylsuchende gegen
Kostenerstattung zu vermieten.
HISTORIE DER STAATLICHEN EINGRIFFE
Der
bekannte Satz: „Not kennt kein Gesetz“
von Gratian (Vater des Kirchenrechts) so-
wie die Maxime im römisch-kanonischen
Recht: „Wenn etwas aus Not geschieht,
geschieht es in legitimer Weise, da Not,
was nach dem Gesetz nicht legitim ist,
legitimiert“, bildeten die Grundlagen für
staatliche Eingriffe. Diese Grundsätze ha-
ben in der Geschichte immer wieder die
Rechtfertigung für den Ausruf des Not-
stands begründet.
In diesem Sinne gibt es im 20. Jahr-
hundert sehr gute Beispiele für staatliche
Eingriffe in das private Wohnungseigen-
tum. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg
wurde die „gesetzliche Miete“ eingeführt,
die in den einzelnen Gebieten zwischen
10 und 25 Prozent über der Friedensmiete
vom 1. Juli 1914 festschrieb. Der Druck
des Wohnungsmangels machte diesen
staatlichen Eingriff notwendig, umden so-
zialen Frieden in den instabilen Zeiten der
Weimarer Republik aufrechtzuerhalten.
Einige Jahre später wurde die
„Hauszinssteuer“ eingeführt, die intelli-
genter war als die heutige Mietpreisbrem-
se. Das war eine Sondersteuer auf den
Altbaubesitz, wonach Mieterhöhungen
teilweise „weggesteuert“ wurden und der
Staat sich auf diesem Wege „Mittel“ für
den sozialen Wohnungsbau beschaffte.
Nachdem die Weltwirtschaftskrise
1929 zusätzlich die wirtschaftliche Situ-
ation verschärfte, erließ Reichskanzler
Brüning 1931 ein Programm zum Bau
von Erwerbslosensiedlungen unter Selbst-
beteiligung (Nachbarschaftshilfe) an den
Stadträndern, was besser bekannt ist als
der Kleinsiedlungsbau in Stadtrandlage
mit dem Ziel der Selbstversorgung. Es
entstanden einfache Häuser mit größe-
ren Gärten, auf denen die Bewohner ihre
Grundnahrungsmittel anbauen konnten
und damit ein Stück weit autark wurden.
Auch die Wohnungszwangsbewirt-
schaftung nach dem Zweiten Weltkrieg
rechtfertigte eine Notlage angesichts der
Tatsache, dass durch das Kriegsgesche-
SUMMARY
»
Sozialer Wohnungsbau
Es gibt ein großes Defizit, ein Problem ist aber auch die Fehlbelegung.
»
Umstrittene staatliche
Eingriffe
Der OB einer südwestdeutschen Stadt droht, leer stehende Wohnungen mit bis zu 50.000 Euro Strafe zu ahnden. Die Stadt lässt selbst
938 Wohnungen leer stehen. Alle staatlichen Eingriffe werden ins Leere gehen.
»
Foto: Everett Historical/shutterstock.com
Obwohl es bald Winter wird, sind die Voraussetzungen für eine
Zwangsbelegung wie nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben.
4. Fehlbelegung
von Sozialwohnungen
Einige empirische Erhebungen
deuten darauf hin, dass bis zu 80
Prozent der Bewohner in Sozial-
wohnungen Besserverdienende
sind und dem Markt preiswerten
Wohnraum entziehen. Unter-
suchungen zeigen, dass bereits
drei Jahre nach Einzug etwa 40
Prozent der Haushalte ein höheres
Einkommen erzielen, als sie für
den Bezug von Sozialwohnungen
erzielen dürften. Dieser Anteil
steigt mit der Dauer des Miet-
vertrages, sodass nach mehreren
Jahren tatsächlich bis zu 80 Prozent
erreicht werden.
5. Re-Urbanisierung
Durch die Veränderung der Lebens-
stile wird das „urbane Wohnen“
bestimmend für das 21. Jahrhun-
dert sein. Bis 2030 werden 80 Pro-
zent der deutschen Bevölkerung
(derzeit 74 Prozent) in urbanen
Strukturen leben. Weltweit leben
seit 2007 mehr als 50 Prozent der
Weltbevölkerung urban. Damit ist
die Frage beantwortet, wo wir im
21. Jahrhundert leben wollen. Die-
se Entwicklung wird bestärkt durch
die steigende Zahl an Studierwil-
ligen. Lag die Studierendenzahl
(deutsche und ausländische) 2005
bei 1,9 Millionen, beträgt die Zahl
für 2014 bereits 2,7 Millionen, ein
Anstieg von 800.000 Ein-Personen-
Haushalten innerhalb von neun
Jahren, die zusätzlich in größeren
Städten Wohnraum absorbieren.
Die Zahl könnte bis 2020 mit
dann drei Millionen Studierenden
nochmals um weitere 300.000
Studierende und damit auch Ein-
Personen-Haushalte steigen.
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