DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 1/2019 - page 32

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Dabei soll das Erscheinungsbild der Siedlung je-
doch erhalten bleiben: Zwar stehe die Margare-
tenau weder unter Ensemble- noch unter Denk-
malschutz, berichtet der Geschäftsführer: „Aber
wir gehen mit der Bausubstanz so um, als ob.“
Aus diesem Grund verzichtet die Genossenschaft
auf die heute üblichen WDVS, bei denen isolie-
rende Polystyrolplatten auf die Fassade geklebt,
verputzt und gestrichen werden. „Der dadurch
verringerte Dachüberstand verändert die gesamte
Außenansicht der Häuser“, erläutert Knauer seine
Bedenken. Stattdessen setzt er auf einen neuent-
wickelten Solarputz, der die Wärme der Sonnen-
strahlen besonders effizient ins Hausinnere trans-
portiert und dadurch Heizkosten spart.
Pilotprojekt mit intelligenter Steuerung
Anfang 2019 soll der Solarputz erprobt werden –
zunächst an der Fassade eines 24-Parteien-Hauses
aus den 1930er Jahren. Der Bau ist Bestandteil des
Projekts MAGGIE – energetische Modernisierung
des genossenschaftlichen Wohnquartiers Marga-
retenau in Regensburg, welches vom Bundesmi-
nisterium für Wirtschaft und Energie gefördert
wird (siehe Kasten und Interview). Die Energie
für dieses Wohnhaus liefert ein neuartiges Hybrid­
ystem, das ein Blockheizkraftwerk (BHKW) mit
innovativer Wärmepumpentechnologie und einer
Photovoltaikanlage (PVA) kombiniert. Der Löwen-
anteil des preisgünstigen Stroms, den BHKW und
PVA erzeugen, wird im Haus selbst verbraucht.
Für dieses komplexe Energiesystem haben die
Wissenschaftler der Ostbayerischen Technischen
Universität Regensburg eigens eine selbstler-
nende Steuerungssoftware entwickelt, die Nut-
zerprofile, Wetterprognosen und Energiepreise
miteinander verknüpft und damit Energieerzeu-
gung, -verteilung und -speicherung in Echtzeit
auf den Bedarf der Bewohner abstimmt. So sich
all die technischen Neuerungen bewähren, könnte
die bewahrende Erneuerung des Viertels zur Blau-
pause für den künftigen Umgang mit historischer
Bausubstanz werden, hofft Siegmund Knauer. Eine
Erneuerung, die die Margaretenau in jedem Fall
fit für die nächsten 100 Jahre macht, ohne ihren
besonderen Charme aufs Spiel zu setzen.
Im historischen Stadtquartier Margaretenau
sollen die Warmmieten trotz energetischer
Totalsanierung gleich bleiben. Wie wollen Sie
das erreichen?
Mit einem neuartigen Energiesystem, das höch­
ste Effizienz im Betrieb mit einem hohen Grad an
Selbstversorgung verbindet und dadurch Ener-
giekosten spart. Das System, das wir zunächst in
einem Haus mit 24 Wohnungen erproben und im
laufenden Betrieb optimieren, ist speziell auf die
Gegebenheiten historischer Wohnquartiere zuge-
schnitten. Es kombiniert Kraft-Wärme-Kopplung
(KWK) mit Wärmepumpentechnologie, einer
selbstlernenden Steuerung und einemneu entwi-
ckelten Solarputz. Die Erfahrungen daraus fließen
in die Sanierung der anderen Häuser ein.
KWK und Wärmepumpen sind per se keine
neuen Technologien. Was ist das Besondere
am Heizsystem der Margaretenau?
Die Kombination von KWK und Wärmepumpe
galt bislang als unwirtschaftlich, weil mit Strom
aus dem Netz betriebene Wärmepumpen einen
zu geringen Wirkungsgrad haben. Das ist in der
Margaretenau anders, denn dort setzen wir eine
spezielle Wärmepumpentechnologie ein, die
selbst vergleichsweise hohe Vorlauftemperatu-
ren aus der Abwärme eines BHKWs noch auf ein
höheres Niveau pumpen kann. Dadurch arbeitet
die Wärmepumpe wesentlich energieeffizienter.
Die Betriebsenergie kommt größtenteils von ei-
ner Photovoltaikanlage auf dem Dach. Gegen-
stand unserer Forschung ist es, dieses Hybrid-
Heizsystem energetisch und wirtschaftlich zu
optimieren.
Statt eines WDVS soll ein Solarputz auf
die Fassade aufgebracht werden. Welche
Funktion hat dieser Putz?
Das solaraktive Putzsystem hält die Wärmever-
luste nach außen gering und überträgt zugleich
Wärmegewinne durch Sonneneinstrahlung ins
Mauerwerk. Die gute Dämmwirkung des Mineral­
putzes wird durch Beimischungmikrofeiner Hohl-
glaskügelchen erreicht. Der Putz ist allerdings
noch in der Entwicklung. Die Herausforderung
besteht darin, ihn so zu optimieren, dass er ei-
nerseits Wärmeleitung von innen nach außen un-
terbindet, andererseits die Infrarotstrahlung der
Sonne aufnimmt und nach innen transportiert.
Dort reflektiert ein spezieller Innenanstrich mit
metallischen Zusätzen die Infrarotstrahlung in die
Wohnung und erhöht damit die von den Mietern
empfundene Behaglichkeit.
Das Putzsystem soll Mitte 2019 zum Einsatz
kommen. Wie weit ist die Entwicklung
gediehen?
Wir haben zwei Varianten des Solarputzes als
Prototypen entwickelt, die wir derzeit an einem
Wandprüfstand testen. Die Sonneneinstrahlung si-
mulierenwir dabei mithilfe eines Solargenerators,
dessen Lichtspektrum dem der Sonne entspricht.
Die beiden Prototypen sind vielversprechend.
Ich rechne mit solaren Gewinnen von deutlich
über 10%, die dem Wohnklima zugutekommen
und zugleich Energie sparen. Denn Wohnungen,
deren Wände warm sind, werden als besonders
behaglich empfunden. Dadurch kann die Raum-
temperatur ohne Komfortverlust um einige Grad
niedriger liegen.
Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Hartmut Netz.
Interview mit Prof. Dr. Oliver Steffens
„Solaraktive Putzsysteme halten
Wärmeverluste gering“
Seit 2017 besteht in der Margaretenau ein Forschungsprojekt zur Sanierung
mithilfe innovativer Energietechnik. Oliver Steffens, Dekan der Fakultät Allge-
meinwissenschaften und Mikrosystemtechnik der Ostbayerischen Technischen
Hochschule Regensburg (OTH) leitet es. Der Bauphysiker, der zudem das Kom-
petenzzentrum „Nachhaltiges Bauen“ an der OTH aufbaute, erklärt das Projekt.
NEUBAU UND SANIERUNG
Quelle: OTH, Foto: Florian Hammerich
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