DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 1/2019 - page 29

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Holzhybridbau kann auch im größer dimensionierten
Mietwohnbau und im Rahmen der Nachverdichtung
schnelle und qualitativ hochwertige Lösungen bieten.
Hier wurden Fundament, Lift und die Tiefgarage aus
Beton, die tragenden Außenwände aus Holz gebaut
Bezahlbarer Wohnraum ist besonders in Großstädten knapp. Doch wie lässt sich das ändern?
Wie können wir schneller und kostengünstiger bauen – und vor allem wo? Muss es wieder
verdichtete Großsiedlungen wie in den 1970er Jahren geben? Oder kann man das Bauen auch
anders denken, wie beispielsweise in Singapur, wo Straßen und Bahnen überbaut werden und
die Appartements mit kleineren Grundflächen auskommen?
Prof. Dr. Thomas Jocher von der Universität Stuttgart sieht vor allem im stark gestiegenen
Flächenanspruch einen großen Hebel. Waren es 1972 noch 20 bis 25 m
2
Wohnfläche pro
Person, so sind es heute schon über 45 m
2
. Kombiniert mit immer noch steigenden Boden-
preisen und hohen gesetzlichen Vorgaben könne das nur zu steigenden Mieten führen. Einen
weiteren Problemkreis sieht er in der zunehmenden Technik in den Gebäuden. Das sei zwar
spannend im Sinne der Digitalisierung, aber eben auch kostenintensiv. Man müsse daher
vieles wieder minimalistischer und pragmatischer umsetzen, so seine Forderung. Indem
man kleinere Wohnungen (tiny) baut, Räume gemeinsam (shared) nutzt und auch Themen
wie Nachverdichtung und Aufstockung (tall) nicht außen vor lässt, könnte man die Spirale
durchbrechen.
Umgesetzt hat Jocher das schon mit einem Entwurf für die B&O Gruppe. Dr. Ernst Böhm,
B&O-Aufsichtsratsvorsitzender, setzt wie Jocher ebenfalls auf weitsichtige, solide und
bezahlbare Bauprojekte. Und so entstand in dem neuen „Mixed-Use-Wohngebiet“ in Nord-
Schwabing auf dem Gelände der alten Funkkaserne am Domagkpark ein Gebäude, das dem
Prinzip Tiny-Tall-Shared entspricht. Die Stadt München will mit dem Pilotprojekt das Thema
Werkswohnungen neu beleben. Entstanden ist ein ungewöhnliches Holzhybridhaus, das sich
nahtlos in die Umgebung einpasst. Interessant dabei sind hier die sog. Clusterwohnungen,
eine Art „WG de luxe“, bei der sich sechs bis sieben Bewohner Küche, Balkon und ein großes
Wohnzimmer teilen, selbst aber einen eigenen Wohnraum mit Nasszelle haben. „Es ist an der
Zeit, die Rahmenbedingungen für die Schaffung von neuem Wohnraum offen und mit der
notwendigen Konsequenz zu diskutieren“, unterstreichen Böhm und Jocher. Nur so könne der
Aufbruch zu mehr bezahlbaren Wohnungen gelingen. Ihr Credo: Es muss eine neue Beschei-
denheit beim Wohnen und Bauen in den Ballungsgebieten einziehen. Es gelte, sich auf das We-
sentliche besinnen. Zudem müsse der Wohnungsbau wieder als das sozial- und stadtpolitische
Instrument genutzt werden, das er einst war.
Holzhybridbauten und serieller Wohnungsbau der neuen Generation können dazu bautech-
nische Hilfestellungen bieten, denn das Bauen geht hier schnell voran. Das spart Kosten und
macht eine schnellere Vermietung möglich. Ein weiterer Vorteil: Durch die schlankeren Wän-
de benötigt man weniger Fläche. Parallel dazu ist die Qualität höher, da die Fertigung in der
Fabrik erfolgt. Besonders bei Fertigbädern wirke sich dies sehr positiv aus. Die Möglichkeiten
der Digitalisierung, der Individualisierung durch Industrie 4.0, von Robotik bieten dabei für
die Zukunft noch viel Potenzial.
EXKURS „NEUES WOHNEN“: DAS TINY-TALL-SHARED PRINZIP
le spielen, erläutert Antje Durach, Prokuristin
bei der LBG. Stehe die Außenwand, sei man im
Innenausbau deutlich flexibler. Für sie ist auch
die Gewährleistung in der seriellen Bauweise
leichter sicherzustellen als z. B. bei klassischen
Einzelbauten.
Die Fassade: individuell und 3-dimensional
Gute Architektur braucht Zeit, um entwickelt
zu werden. Und bei der heutigen angespannten
Wohnungsmarktsituation ist diese Zeit rar. Antje
Durach beschäftigt sich umfassend sowohl mit
der funktionalen Gestaltung der Innenräume
als auch mit dem städtebaulichen Kontext. Dass
sich ein neues Gebäude gut in die bestehende
Umgebung einfügt, ist ihr wichtig. Vielleicht
deshalb fallen bei dem Projekt viele Details ins
Auge, die das seriell gefertigte Gebäude beson-
ders machen. Man habe aber auch durch einfa-
che, qualitativ hochwertige Gestaltungselemen-
te die Baukosten niedrig gehalten. Hier konnte
man an die Erfahrungen aus Vorgängerprojekten
anknüpfen, bei denen ebenfalls kostengünstig
Wohnraum entstanden sei.
Vor allem die Holzfassade mit den angehängten
Balkonen ist sehr anspruchsvoll. Sie wertet das
Gebäude nochmal auf und verleiht ihm eine in-
dividuelle Note. Entstanden ist sie als System
aus vertikal verlegten Holzfassadenteilen, das
Design und Gebäudeschutz verbindet, denn die
dahinter liegende Außenwand wird durch den
ökologischen Baustoff gut geschützt und ge-
dämmt. Parallel dazu strecken die vertikalen
Elemente das Gebäude optisch und lassen es
höher erscheinen. Das Relief bringt zusätzliche
Dynamik, indem es durch das Spiel von Licht und
Schatten den 3-D-Effekt der Fassade betont.
Soziale Mischung
Vogel, Friko und ihr Team denken aber weiter.
Ihnen ist neben Wirtschaftlichkeit und zukunfts-
fähiger Bauweise auch eine ausgewogene soziale
Mischung bei einemMietobjekt wichtig. Das wir-
ke sich letztlich immer auch für die Genossen-
schaft positiv aus.
unterstreicht auch Wissenschaftler Lutz. So sei
die Nachbarschaft und der Durchgangsverkehr
deutlich weniger belastet worden als bei einer
klassischen Bauweise.
Das Thema Witterungsunabhängigkeit werde
zukünftig ebenfalls eine immer größere Rol-
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