MARKT UND MANAGEMENT
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12|2018
Risikomanagement
Stresstests für die Wohnungswirtschaft
Stresstests stellen nach aktuellem Erkenntnisstand in Ergänzung des etablierten Risikomanagements ein
geeignetes Werkzeug für die frühzeitige Erkennung von Entwicklungen dar, die den Unternehmensbestand
gefährden können. Wie kann dies für die Wohnungswirtschaft umgesetzt werden?
Die quantitative Analyse von Stressfaktoren und
Szenarien mit Hilfe eines unternehmensspezifi-
schen Planungs- und Simulationsmodells schafft
die notwendige Grundlage für eine nachhaltige,
zielkonforme Geschäftsführung. U.a. bietet sie
eine Plausibilisierung umstrittener Größen, wie
z.B. für angemessene Beträge für Ausschüttungen
oder Investitionen, deren Höhe nachhaltig die Ri-
sikolage des Unternehmens beeinflussen.
Qualitatives und quantitatives
Risikomanagement
Das bisher verbreitete qualitative Risikomanage-
ment bleibt insofern unbefriedigend, als es keine
Informationen über die Relevanz der analysierten
Risiken in Bezug auf eine Bestandsgefährdung des
Unternehmens und damit eine Rechtfertigung
für den Einsatz knapper Ressourcen für deren
Kontrolle bietet. Auch die Berücksichtigung von
Erwartungswerten ist kritisch zu sehen: Erstens
beruhen Eintrittswahrscheinlichkeiten auf nicht
objektivierten Einschätzungen. Zweitens werden
die Schadenshöhen i. d. R. geschätzt und zwar ohne
Beachtung der Endogenität von Risiken, d. h. die
aufgrund eingetretener negativer Parameterver-
änderungen angepassten Verhaltensweisen der
Betroffenen und Rückkopplungen mit anderen
Einflussfaktoren bleiben unberücksichtigt. Drittens
scheint es nahezu ausgeschlossen, dass innerhalb
dermöglichenBandbreiten Schadensereignisse ge-
nau in Höhe des Erwartungswertes eintreten. Eine
Ausnahme besteht nur hinsichtlich vonRisiken, die
sich aus einer Vielzahl voneinander unabhängiger
Einzelrisiken zusammensetzen, deren Eintritts-
Dr. Horst Marschner
Inhaber
Intermentor Consulting
Essen
NORMALVERTEILUNG UND UNTERSUCHUNGSBEREICH BEIM STRESSTEST
μ+3
σ
X
μ-3
σ
μ+2
σ
μ-2
σ
f
68,27%
95,45%
99,73%
μ+
σ
μ-
σ
μ
Quelle: Campus Uni Münster, bearbeitet
wahrscheinlichkeiten der angenommenen Wahr-
scheinlichkeitsverteilung entsprechen.
An diesen Voraussetzungen mangelt es regelmä-
ßig. Daher bietet sich an, das Risikomanagement
durch quantitative Werkzeuge zu ergänzen, die
den Eintritt der ungewichteten Risiken in Formvon
extremen negativen Ereignissen, sowohl einzeln,
als auch in Formvon Szenarien auf die Solvenz des
Unternehmens und die Einhaltung der strategi-
schen Ziele untersuchen. Ein geeignetes Werkzeug
hierfür ist der Stresstest. Mit ihm können, wie im
Finanzsektor, quantitative Analysen von Auswir-
kungen extremer und seltener, jedoch plausibler
krisenhafter Ereignisse – imSinne von „was wäre,
wenn“ – durchgeführt werden.
Stresstests in einer risikoresistenten Branche?
Allerdings gilt die Wohnungswirtschaft mit ihren
stabilenMieteinnahmen als risikoresistente Bran-
che. Warum sollten sich also gerade Unternehmen
dieser Branche einem Stresstest unterwerfen?
Generell gilt, dass das Risikomanagement eines
Unternehmens die spezifischen und damit auch
die positiven Gegebenheiten der Branche berück-
sichtigen sollte. Dies stellt aber keinen Freibrief
für das Unterlassen der Auseinandersetzung mit
den allgemeinen gesamtwirtschaftlichen und
branchenspezifischen Risiken dar. Auch sind die
Rahmenbedingungen nicht für alleWohnungsun-
ternehmen ideal. Ein Beispiel wären Unterneh-
men, die in schrumpfenden Regionen tätig sind.
Angesichts des zunehmenden Veränderungstem-
pos dieser Rahmenbedingungen bestehen subs-
tanzielle Gefahren bei einer Verschlechterung der
Bedingungen auf ein Normalmaß, insbesondere,
wenn Ertrags- und Finanzkraft schon derzeit nur
gerade ausreichend sind. Insofern haben Stress-
tests auch für Wohnungsunternehmen Bedeutung
im Rahmen zeitgemäßer Compliance.
Es ist gerade Sinn des Stresstests, unternehmens-
spezifisch relevante Risikofaktoren zu identifizie-
ren und die Widerstandskraft bei extremen Ver-
änderungen in Form von Szenarien zu testen. Das
Instrumentarium erlaubt die frühzeitige Prüfung
möglicher Gegenmaßnahmen auf Wirksamkeit,
verbessert das Rating gegenüber den Kreditge-
bern und kann die Risikokomponente strategischer
Restrukturierungen analysieren. Zusätzlich erlaubt
es festzustellen, wie sich die Risikosensitivität bei
unterschiedlichen Niveaus substanzieller Ausga-
ben, wie z.B. für Ausschüttungen oder Investiti-
onen, verändert, und schafft damit eine rationale
Grundlage für eine sachgerechte Lösung bei unter-
schiedlichen Zielgrößen der Stakeholder.
Stressereignisse