Die Wohnungswirtschaft 12/2018 - page 60

MARKT UND MANAGEMENT
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12|2018
Fleck zu bewegen. Auf die Nachfrage der völlig
verausgabten Alice, warum sie sich trotz aller Be-
mühungen nicht von der Stelle bewegen, antwor-
tet die rote Königin, dass man eben dortzulande
so schnell rennenmuss, wieman kann, umdort zu
bleiben, wo man ist. Diese als „Rote-Königin-Ef-
fekt“ bezeichnete Metapher beschreibt die wenig
erfolgreichen, aber kräftezehrenden Bemühungen
von Unternehmen, ihrer Konkurrenz vorauszuei-
len. Im Vergleich mit der Konkurrenz festgestell-
te Lücken im eigenen Leistungsangebot nehmen
Unternehmen zum Anlass, ihr Leistungsportfolio
an das des Marktführers (Benchmark) anzupassen.
Damit ist das Wettrennen in der Umsetzung von
Produkten und Dienstleistungen, die wenig Dif-
ferenzierung zwischen den Konkurrenten bieten,
eröffnet. Als Beispiel lässt sich die Versanddauer
im Onlinehandel anführen: Hier ist mittlerweile
der taggleiche Versand zur Benchmark gewor-
den. Weil jedoch alle Händler ihre Versanddauer
an diese Benchmark anpassen, ändert sich an de-
ren Positionierung im Wettbewerb nichts. Jeder
erfüllt lediglich einen neuen Standard. In der
Wohnungswirtschaft ist in ähnlicher Weise z. B.
das digitale Mieterportal zum Standard in der
Wohnungsverwaltung geworden.
First-Mover-Vorteile durch Innovationen
Der „Rote-Königin-Effekt“ veranschaulicht, dass
sich durch die Orientierung am jeweils anderen
nur schwerlich Wettbewerbsvorteile erschließen
lassen. Bestenfalls gelingt es, die eigeneMarktpo-
sition zu verteidigen, d. h. dort zu bleiben, woman
ist. ImSinne einer dritten Strategie ist dagegen zu
empfehlen, gelegentlich von gewohnheitsmäßi-
gen Pfaden auszuscheren. Anders gesagt, geht
es darum, Innovationen der Konkurrenz nicht
hinterherzulaufen, sondern diese selbst zu ent-
wickeln und sich als First-Mover neue Geschäfts-
möglichkeiten zu erschließen. So kann eine klare
Abgrenzung der eigenen Leistungen von denen der
Wettbewerber gelingen, wohl wissentlich, dass
dies Nachahmer finden wird.
Unternehmen trauen sich den Sprung als Innova-
tionspionier in unerschlossenes Terrain oftmals
nicht zu. Man mag dies zum einen auf die hohen
Innovationsinvestitionen und zumanderen auf die
unsicheren Innovationsrenditen zurückführen.
Dem Vorsichtprinzip verhaftet, ist es Wohnungs-
unternehmen nicht zu verdenken, wenn diese auf-
grund des Risikos des Scheiterns auf unsichere
Innovationsgewinne verzichten. Die damit einher-
gehende konservative Fokussierung auf das ihnen
bekannte Kerngeschäft wird zusätzlich durch die
Scheinstabilität des Produktes „Wohnen“ ge-
trieben. Mag an der zukünftigen Nachfrage nach
Wohnraum auch kein Zweifel bestehen, dürfte
doch in den veränderten Wohnbedürfnissen die
eine oder andere lukrative Geschäftsidee schlum-
mern, mit der sich Wohnungsunternehmen von
Wettbewerbern abheben könnten.
Entwicklung von Innovationspfaden
Zumeist haben sich in etablierten Unternehmen
Pfade derart verfestigt, dass diese keinen Raumfür
die Entwicklung neuer Ideen zulassen. Die Organi-
sationsforschung schlägt hier die Herstellung einer
Art Beidhändigkeit (sprich: Ambidextrie) vor. Für
Wohnungsunternehmen bedeutet dies, kleine und
eher flach organisierte Innovationseinheiten von
größeren und stärker hierarchisch organisierten
Kerngeschäftsabteilungen zu trennen.
Während Letztere den gegenwärtigen Erfolg der
Standardleistungen sichern, beschäftigen sich die
Innovationseinheiten mit der Entwicklung neuer,
zukunftsfähiger Produkte und Dienstleistungen.
Die Gründung eigener „Innovation Hubs“ ist eine
Spielart dieser Beidhändigkeit, die auch bereits
in der Wohnungsbranche Anklang gefunden hat.
Kleineren Unternehmen dürfte es dagegen schon
allein aus Gründen begrenzter Personalressourcen
schwer fallen, separate Einheiten für das Kernge-
schäft und Innovationsgeschäft zu unterhalten. Sie
profitieren in der Entwicklung neuer Innovationen
jedoch häufig von ihrer informelleren Unterneh-
menskultur und den offenen Kommunikations- und
Informationswegen. Letzteres hilft dabei, Ideen
im Unternehmen schnell zu kommunizieren und
anschließend unbürokratisch umzusetzen.
Trotz erhöhter Technisierung von Geschäftspro-
zessen bleibt das kreative Potenzial der Mitar-
beiter entscheidend für die Entwicklung von In-
novationen. Letztere sind nicht auf Knopfdruck
abrufbar, sondern benötigen Unterstützung durch
entsprechendeTools (z. B. Brainstorming, Work-
shops). Immer vorausgesetzt, die Unternehmens-
führung zeigt sich offen gegenüber neuen Ideen
und ist bereit, das Alte ein Stück weit durch das
Neue zu ersetzen.
Warum nicht Flatrate-
Mietmodelle auspro-
bieren? Möglich ist das
z. B., wenn die Gebäude
energieautark sind, sich
selbst mit Wärme und
Strom aus der Sonne
versorgen – wie bei den
Sonnenhäusern der
Cottbusser eG Wohnen
1902, die im September
2018 mit dem Deutschen
Solarpreis 2018 ausge-
zeichnet wurden
Das kreative Potenzial der Mitarbeiter ist entscheidend für die Entwicklung von Innovationen,
sofern die Unternehmensführung ein offenes Klima und entsprechenden Freiräume geschaffen hat
Quelle: eG Wohnen 1902
Quelle: alengeo/gettyimages.com
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