Die Wohnungswirtschaft 1/2018 - page 51

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1|2018
Kommunikation in der Wohnungswirtschaft
Zwischen Chatbot und Hausbesuch –
Kundenkommunikation im digitalen Zeitalter
Die Aufgaben von Wohnungsunternehmen werden komplexer und vielfältiger. Der Strauß an Themen
könnte bunter nicht sein: Neubau- und Sanierungsvorhaben, Quartierserneuerung, Flüchtlingsunter-
bringung, die Gestaltung der Energiewende, neue Services oder die Chancen der Digitalisierung.
Zudem verändert sich auch die Mieterschaft, wird anspruchsvoller, jünger, differenzierter. Dies erfordert
u. a. eine Anpassung von Kommunikationswegen, -kanälen und -prozessen. Was ist zu tun – und warum?
Ohne professionelle Kommunikation und ziel-
gerichtetes Marketing kommt heute kein Un-
ternehmen aus, das Wohnungen baut, vermietet
oder verkauft. Und doch sind beide Disziplinen
in der klassisch kaufmännisch und technisch ge-
prägten Wohnungswirtschaft eher neu. Größere
Unternehmen setzen speziell ausgebildetes Per-
sonal in Stabsstellen dafür ein. Für die meisten
Branchenakteure aber sind Kommunikation und
Marketing Querschnittsaufgaben, die in die Un-
ternehmensprozesse integriert werden müssen.
Und es sind originäre Führungsaufgaben. Sie er-
fordern strategische Zielsetzungen sowie Klarheit
bei Entscheidungen und in der Sprache – auch in
der internen Kommunikation. Die Lust auf den
Kontakt mit Menschen und die Aufgeschlossen-
heit für digitale Techniken und Plattformen sind
unerlässlich.
Viele Unternehmen probieren sich aktuell in der
Kommunikation mit ihren Kunden aus. Ob mit
einer Mieter-App, wie z. B. Volkswagen Immo-
bilien oder die BUWOG Group, ob per Live-Chat,
wie die Genossenschaft Neue Lübecker oder durch
die Nutzung des verbreitetenMessenger-Dienstes
WhatsApp, wie es Deutschlands größter Vermieter
Vonovia seit kurzem erprobt. All das sind noch
junge und vereinzelte Angebote – zumindest in
der deutschen Wohnungswirtschaft. Nur zur Er-
innerung: Mobile Apps sind seit rund zehn Jahren
verbreitet, die weltweit erfolgreiche WhatsApp
Inc. wurde 2009 gegründet.
In den nächsten Jahren werden digitale Optionen
hinzutreten, die wir heute noch nicht erahnen.
Eines aber scheint den neuen Kommunikations-
kanälen gemein. Sie treten hinzu und ersetzen
nur im Ausnahmefall andere, meist ebenso digi-
tale Kommunikationsformen. So wurden Face-
book (2004), YouTube (2005) und Twitter (2006)
auch erst relativ spät und längst nicht von allen
Wohnungsunternehmen bespielt; die Nutzung ist
sogar wieder rückläufig. Was aber bleibt, ist der
menschliche Kontakt, der letztlich hinter fast allen
Formen der digitalen Kommunikation steht. Noch
haben selbständig agierende Chatbots oder gar
künstliche Intelligenz in der Wohnungswirtschaft
nicht wirklich Einzug gehalten. Andererseits sinkt
die Zahl der persönlichen Kundenbesuche in den
Geschäftsstellen spürbar und vor dem Filialster-
ben der Banken und Sparkassen bewahrt uns nur
die Tatsache, dass in der Branche traditionell nur
wenige Geschäftsstellen betrieben werden.
Mieterbefragung mit einemUnentschieden
Wie soll man seine Kommunikation künftig aus-
richten? ImSommer dieses Jahres wollte die TRA-
VE im Rahmen einer umfangreichen Befragung
aller unserer ca. 8.000 Mieter u. a. wissen, ob
diese bei der Kommunikation mit uns persönli-
che Ansprechpartner oder Teamlösungen für ihre
Fragen rund ums Wohnen bevorzugen. Wir hofften
auf klare Hinweise für die künftige Organisation
unseres Unternehmens. Statt einer eindeutigen
Antwort erhielten wir ein fast exaktes Unent-
schieden. Dabei ging es noch nicht einmal um
die Frage Mensch oder Maschine. Die aber wäre
vermutlich genauso ausgegangen. Kundenwollen
für bestimmte Anliegen, wie z. B. eine Schaden-
meldung, bequem nutzbare Kanäle, die für einen
reibungslosen Ablauf in der Abarbeitung bis zur
Lösung sorgen. Da tritt der einzelneMensch in den
Hintergrund und es sind digitale Prozesse mit au-
tomatisierten Formularen und systemgenerierten
Zwischeninformationen hilfreich. Genauso aber
werden das persönliche Gespräch bei der Woh-
nungsbesichtigung oder beimHausbesuch älterer
Mieter, die analoge gedruckte Mieterzeitung und
das personalintensiveMieterfest Bestandteile der
Kommunikations- und Marketingarbeit der Woh-
nungswirtschaft bleiben. Sie bieten die Chance zur
Differenzierung des Angebots, zur Vermittlung der
Unternehmenswerte, schaffen Vorbilder und im
Erfolgsfall Vertrauen – die wertvollste Belohnung
der Kunden für unsere Anstrengungen.
Nur Zusatznutzen macht Sinn
Egal wie digital Kommunikation und Marketing
sind, siemüssen sinnstiftend, zielführend und ver-
ständlich sein. Eine virtuelleWohnungspräsentati-
on hat erst dann einen Zusatznutzen, wenn siemehr
vermittelt als leere weiße Zimmer mit Standard-
grundrissen in 3D. Eine App, die nur das Angebot
der klassischen Internetseite umfasst, wird auf dem
Smartphone zum ungeliebten Ballast – und bald
wieder gelöscht. EinChatangebot nurwährend der
Öffnungs- und Arbeitszeiten nutzt sein Potenzial,
genau diese zu überwinden, nicht aus.
Und doch gilt: Ausprobieren und anbieten ist bes-
ser, als nichts tun und abwarten, es ist vielmehr
Pflicht. Das erste Axiom menschlicher Kommu-
nikation des 2007 gestorbenen Psychotherapeu-
ten und Kommunikationswissenschaftlers Paul
Watzlawick lautet: „Man kann nicht nicht kom-
munizieren.“ Imdigitalen Zeitalter gilt dieser Satz
nicht mehr nur für Menschen, sondern auch für
Wohnungsunternehmen.
Dr. Matthias Rasch
Geschäftsführer
Grundstücks-Gesellschaft TRAVE mbH, Lübeck
Vorsitzender des GdW-Fachausschusses
Marketing und Kommunikation
THEMA DES MONATS
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