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kontinuierlich neuen Gegebenheiten anpas-
sen. Fehlen solche Regularien, erstarren die
Siedlungen. Später müssen dann manchmal
Unsummen investiert werden, um sie wieder
gegenwartstauglich zu machen. Die statisch-
geplanten Großsiedlungen aus den 1960er und
1970er Jahren sind ein beredtes Beispiel: In
manchen Großsiedlungen war und ist es mit-
unter ein großes Problem, alle Eigentümer an
einen Tisch zu bekommen, um z.B. ein veralte-
tes Freiraumkonzept zu modernisieren oder gar
durch Grundstücksumlegungen Bedingungen für
ergänzenden Neubau zu schaffen. In der Phase
der Großsiedlungserneuerung hat sich aber
insbesondere die Wohnungswirtschaft hier ein
großes Know-how angeeignet.
Als neuer Akteur tritt inzwischen auch die Bevöl-
kerung auf, die Forderungen aufstellt und Ent-
wicklungen hemmen kann. So hatten die 6.000
Bewohner der Potsdamer Großsiedlung Drewitz,
entstanden zwischen 1986 und 1990, anfangs
kein Verständnis, dass ihre Siedlung nach dem
städtebaulichen Vorbild der Gartenstadt neuge-
staltet werden sollte (siehe DW 4/2017, S. 12).
„Parkplätze zu Parks“ – diese Idee wurde erst po-
pulär, als die Betroffenen zu Workshops eingela-
den und an der Planung beteiligt wurden.
In einer als „working model“ konzipierten Gar-
tensiedlung, wie sie das Howardsche Garden-
City-Konzept vorsieht, wären die Bewohner
selbst für Änderungsprozesse mitverantwortlich,
sagt Bastian Wahler-Żak, Referent im BBSR. Er
verweist auf die ökologische Münchner Mus-
tersiedlung Prinz-Eugen-Park. „Hier wurde ein
Konsortium gebildet, das sich aus Einzahlungen
der Eigentümer finanziert und sämtliche gemein-
schaftliche Infrastruktureinrichtungen wie Kitas,
Pflegeeinrichtungen usw. koordiniert“, erklärt
er. „So kann man Synergien herstellen und die
Finanzierung besser organisieren.“ Es gehe da-
rum, die Wertigkeit einer Siedlung zu erhöhen.
Und das beinhaltet auch, sie so zu planen, dass
sie besser mit dem Umfeld verzahnt wird und
beide voneinander profitieren.
Freiraumgestaltung
Von den vielen Denkansätzen und Angeboten des
o.g. Zukunftslabors haben Politik, Stadtplaner und
Investoren zunächst einmal das städtebauliche
Konzept, zu demauch der Geschosswohnungsbau
gehört, sowie die Überlegungen zur Freiraumge-
staltung übernommen und nicht zuletzt den Be-
griff „Gartenstadt“ adaptiert. „Die Qualitäten,
die in einer Gartenstadt entstehen, sehen wir von
der Bauträgerseite durchaus als verkaufsfördernd
an“, sagt z.B. Uwe Schierloh, Geschäftsführer der
Projektgesellschaft Werdersee GmbH & Co KG in
Bremen.
In der „Gartenstadt Werdersee“ sollen 560Wohn-
einheiten entstehen – 200 öffentlich geförderte
Mietwohnungen, 70 Eigentumswohnungen und
260 Reihenhäuser –, u. a. von der Bremer GEWO-
BA Aktiengesellschaft Wohnen und Bauen. Au-
ßerdem sollen Bau- und Mietergemeinschaften
zum Zuge kommen.
Diese Qualitäten, zu der ein großer Park und
insgesamt ein Grünanteil von 40% gehören,
kosteten Geld, betont Schierloh. Deshalb könne
man preisgünstigen Wohnraum für die junge Ein-
steigerfamilie in solch einer Gartenstadt schwer-
lich bauen, meint er. Es gebe zudem zahlreiche
planerische Regularien, die die Kosten in die
Höhe trieben. So sei z. B. in Pflanzlisten genau
vorgeschrieben, welche Büsche und Bäume dort
stehen müssen. Zum Wohle des Ganzen werde
der individuelle Spielraum bei der Gestaltung
eingeschränkt.
Neue Qualitäten?
Der Begriff „Gartenstadt 21“ soll für Qualität ste-
hen – mit welchen Inhalten dieser Begriff auch
immer ausgefüllt wird. An qualitätsvollen neuen
Stadtteilen seien auch die Investoren interessiert,
weiß Karen Pein, die Geschaftsfuhrerin der IBA
Hamburg GmbH, die zurzeit eine 70 ha große
Grünfläche am südlichen Stadtrand Hamburgs
entwickelt. Damit ist dieses Gartenstadtprojekt
namens „Fischbeker Reethen“ deutlich größer
als das Projekt „Werdersee“. Hier soll neben rund
Die „Gartenstadt Werdersee“ soll 560 Miet- und Eigentumswohnungen aufweisen
Einer der Diskussionsstränge im aktuellen Diskurs um neue Gartenstädte verfolgt die Frage,
wie der Mehrgewinn, der sich durch die Entwicklung der Gartenstadt ergibt, zu ihrem Nutzen
in die Gartenstadt zurückfließen kann – eine Forderung, die schon Ebenezer Howard aufstellte.
Dazu Bastian Wahler-Żak, Referent im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
BBSR: „Unabhängig von der Frage, wie man den Mehrgewinn organisatorisch für die Entwick-
lung der Gartenstadt nutzen kann, stellt sich zunächst die Frage, wie die Kommune mit den
Flächen umgeht. Will sie sie zu einem Marktpreis zu einem Punkt X verkaufen oder will sie sie
in Erbpacht abgeben und sich so langfristig die Möglichkeit einer weiteren Gestaltung offen-
halten?“ In der Realität werde dieser Nachhaltigkeitsaspekt i.d.R. zugunsten einer kurzfristi-
gen Renditeüberlegung vernachlässigt.
Im „Zukunftslabor Gartenstadt 21“, organisiert vom BBSR, wird u.a. die Möglichkeit kontro-
vers diskutiert, einen bundesweiten sog. Gardenstadt-Fonds aufzulegen, aus dessen Mitteln
dann neue Grundstücke erworben werden könnten, die nach diesen Forderungen organisiert
werden könnten. „Projektentwickler sind i. d. R. nicht an der Neuorganisation von Boden
interessiert“, sagt Wahler-Żak. Vorbild für eine bodenreformerische Gartenstadt-Organisation
könne die von Howard gegründete „Garden City Welwyn“ sein, wo es einen Garden City He-
ritage Funds gebe, in den der Mehrgewinn fließe, der sich aus der jährlichen Wertsteigerung
dieser Flächen im Speckgürtel Londons ergebe, so der BBSR-Experte. „Dieser Mehrgewinn wird
genutzt, um beispielsweise zusätzliche Kita-Stellen oder Ähnliches zu finanzieren, wodurch die
Gartenstadt wiederum eine viel höhere Wertigkeit erhält und ein nachhaltiger Qualitätsgewinn
erzielt wird.“
DIE GARTENSTADT UND DIE BODENFRAGE
STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
Quelle: Projektgesellschaft Gartenstadt Werdersee