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2|2018
MARKT UND MANAGEMENT
Gay:
Das betrifft aber auch kleinere und mittlere
Unternehmen. Für sie ist es wichtig festzustellen,
welche Ansprüche die Kunden im Bereich Digita-
lisierung an das Unternehmen stellen. Es macht
betriebswirtschaftlich keinen Sinn, technische
Einrichtungen ggf. für viel Geld zu schaffen, die
dann von denMietern nicht angenommenwerden.
Für diese Fragen muss die Unternehmensleitung
das Ohr am Puls der Kundschaft haben.
Das klingt einfach und selbstverständlich.
Prof. Keller:
Genau das ist es aber nicht. Wir haben
die Erfahrung gemacht, dass die Unternehmenmit
einer Vielzahl von Angeboten zur Digitalisierung
konfrontiert werden und in Gefahr geraten, den
Überblick zu verlieren. Oftmals werden Maßnah-
men implementiert, die gar keinen Nutzen für das
Unternehmen oder seine Kunden bringen. Wichtig
und unternehmenspolitisch entscheidend ist es
in der Tat, die bestehenden Angebote in Ruhe zu
sondieren und die betriebswirtschaftlich sinnvol-
lenMöglichkeiten umzusetzen. Bei der Gestaltung
digitaler Angebote ist zudem auch die Innovati-
onskraft der Unternehmen gefragt.
Gay:
Es muss Vorständen und Geschäftsführern
zudem klar sein, dass es dabei nicht allein um die
Frage geht, ob eine bestimmte neue Möglichkeit
der Digitalisierung umgesetzt wird, sondern dass
auch das Wann und das Wieviel eine bedeutende
Rolle spielen kann. Da kann es durchaus sinnvoll
sein, erst einmal abzuwarten, ob ein bestimmtes
Angebot in anderen Unternehmen bei den Kun-
den tatsächlich ankommt, bevor man es umsetzt.
Ebenso kann es bei verschiedenen Angeboten auch
sinnvoll sein, zu fragen, wie viel davon das Unter-
nehmen umsetzen muss, um positive Effekte zu
erzielen oder zukunftsfähig zu bleiben.
Was heißt das konkret für die Unternehmen?
Haring:
In jedemUnternehmen – unabhängig von
der Zahl der Wohnungen oder Mitarbeiter – muss
ein Prozess implementiert werden, der den ver-
antwortlichen Vorständen und Geschäftsführern
die Entscheidungsgrundlagen liefert. Dafür muss
es im Unternehmen zunächst einmal jemanden
geben, der sich federführend um das Thema Di-
gitalisierung kümmert. D. h., dieser Mitarbeiter
muss entweder die Angebote amMarkt beobach-
ten und vorsondieren, welche neuen Möglichkei-
ten für das Unternehmen und die Mieter einen
Mehrwert darstellen können. Oder er muss für das
Unternehmen einen Prozess organisieren, in dem
dies durch Führungskräfte, ein Arbeitsteam oder
bestimmte Mitarbeitergruppen erfolgt. Dieser
Mitarbeiter muss ferner sicherstellen, dass alle
von Prozessveränderungen betroffenen Einheiten
imUnternehmen in die Erarbeitung der Entschei-
dungsvorlagen eingebunden werden. Und er muss
insbesondere auch die wechselseitigen Abhän-
gigkeiten im Unternehmen im Blick haben. Denn
wenn die Einführung digitaler Tools in einer Or-
ganisationseinheit nennenswerte Auswirkungen
auf Ablaufprozesse in anderen Einheiten hat, ist
dies in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.
Dieser für die Digitalisierungsthemen zuständige
Kollege muss über klar definierte Schnittstellen
Informationen an die Entscheidungsträger wei-
terleiten. Das kann in einem kleineren Unter-
nehmen unmittelbar die Geschäftsleitung sein.
In größeren Unternehmen ist dies häufig auch ein
Gremium, das diese Möglichkeiten noch einmal
sondiert und filtert. Letztlich müssen die rele-
vanten Informationen der Geschäftsleitung zur
Verfügung gestellt werden, die dann die notwen-
digen Entscheidungen trifft.
Dacol:
Ein weiterer Punkt darf in den Unterneh-
men nicht vergessen werden. Es sollte ein regel-
mäßiges Digitalisierungscontrolling geben. Das
sollte – wie im Papier erwähnt – die tatsächliche
Umsetzung, die Zielerreichung, die Kosten, die
Budgeteinhaltung und ggf. auch die Kosten-Nut-
zen-Relation jeder Maßnahme zum Gegenstand
haben. Durch ein solches Controlling wird für die
Unternehmensleiter auch das Fingerspitzengefühl
für das Notwendige geschärft.
Was ist in personalwirtschaftlicher Perspek-
tive noch zu beachten?
Prof. Keller:
Die Digitalisierung führt zu ständigen
Veränderungsprozessen in den Unternehmen. D. h.
für die Mitarbeiter, dass sie sich relativ häufig auf
neue Abläufe und neue Arbeitsinhalte einstellen
müssen. Wir wissen allerdings, dass es nicht we-
nige Mitarbeiter gibt, die damit Schwierigkeiten
haben. Das kann zu Unzufriedenheit bis hin zur
„inneren Kündigung“ führen. Letztlich kann ein
vom Mitarbeiter erlebter Druck zur Veränderung
auch ernsthaft krank machen.
In der Personalführung sind Vorstände und Ge-
schäftsführer daher gefordert, die Sorgen und
Ängste ihrer Mitarbeiter ernst zu nehmen und
eine anfängliche Zurückhaltung nicht gleich als
Ausdruck mangelnder Veränderungsbereitschaft
abzutun. Im Idealfall sind die Mitarbeiter in die
Implementierung neuer technischer Entwicklun-
gen unmittelbar einzubeziehen. Jedenfalls sind sie
so hinreichend aus- und weiterzubilden, dass sie
keine Angst vor den neuen technischen Gegeben-
heiten haben brauchen. Hierzu sollte in größeren
Unternehmen von den Personalverantwortlichen,
in kleineren Unternehmen unmittelbar von der
Geschäftsleitung, ein Change- bzw. Wissensma-
nagement installiert werden, das parallel zu den
technischen Fortentwicklungen läuft. Auch hier-
zu muss es ein ausreichendes Controlling geben.
D. h., die Unternehmensleitung bzw. die Personal-
verantwortlichen müssen regelmäßig prüfen, ob
die Aus- und Weiterbildungsanstrengungen mit
der technischen Entwicklung Schritt halten und
ihre Wirkung nicht verfehlen.
Wie sieht es mit den rechtlichen Rahmen-
bedingungen aus? Gibt es hier Handlungs-
bedarf? Dürfen wir denn das tun, was wir
technisch könnten?
Dacol:
Der Gesetzgeber hält mit der technischen
Entwicklung schon seit geraumer Zeit nicht mehr
Schritt. Das wird mittlerweile sehr augenfällig.
Das Arbeitszeitrecht ermöglicht nicht in hinrei-
chender Weise flexibles Arbeiten. So dürfen z. B.
Eltern, die nachmittags nach dem Kindergarten
Zeit für ihre Kinder haben wollen und diese dann
endlich um 20 Uhr ins Bett gebracht und um 21
Uhr zu Abend gegessen haben, nicht noch eine
Stunde oder zwei von zu Hause aus am Computer
arbeiten. Denn nach Beendigung dieser Tätigkeit
müssten sie eine elfstündige Ruhezeit einhalten,
sodass sie ihre Arbeit erst im Laufe des folgenden
Vormittages wieder aufnehmen dürften. Das ist nur
eines von vielen arbeitszeitrechtlichen Problemen.
Die neue Arbeitsstättenverordnung gibt praktisch
keine Antwort auf die drängende Frage, was bei
Einrichtung von Home-Office-Arbeitsplätzen zu
beachten ist. Der Gesetzgeber hat diesewichtigen
Fragen schlicht und ergreifend sehenden Auges
nicht geregelt.
Weitere offene Fragen enthält das Datenschutz-
recht. Statt vernünftige, flexible Regelungen zu
treffen, werden wir im Mai 2018 von der EU-Da-
tenschutzgrundverordnung und dem neuen Bun-
desdatenschutzgesetz diesbezüglich in Ketten ge-
legt werden. Modernes Arbeiten sieht anders aus.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Antworten notierte Olaf Berger.
Bestellung des Thesenpapiers inklusive
vieler Beispiele:
Neubau und Sanierung
Energie und Technik
Rechtssprechung
Haufe Gruppe
Markt undManagement
Stadtbauund Stadtentwicklung
„Jedes Unternehmen muss definieren, in welchem Umfang es Strukturen
und Prozesse verändern, neue Geschäftsmodelle aufgreifen und die Arbeits-
organisation neu gestalten will. Es gehört zu den unternehmerischen
Kernaufgaben, diese Entscheidungen zu treffen.“
Ruth Haring