DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 2/2017 - page 35

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2|2017
Zinsniveauentwicklungen
Was lehrt der Zinsanstieg seit November 2016?
Als im Herbst 2008 die Zentralbanken der großen Industriestaaten
erstmalig in der Historie kollektiv das Leitzinsniveau massiv absenkten,
hatten wahrscheinlich die wenigsten Marktteilnehmer damit gerechnet,
dass sich dieses Niedrigzinsniveau bis ins Jahr 2017 fortschreiben wird.
Ein niedriges Marktzinsniveau beeinflusst makroökonomisch betrachtet
das Wirtschaftswachstum kurzfristig positiv. Im Monatsbericht Sep-
tember 2016 (S. 63) spricht die Deutsche Bundesbank allerdings von
einem „rückläufigen Nettoertrag aus dem klassischen zinsbezogenen
Geschäft“. Insbesondere für Sparkassen und Kreditgenossenschaften
wirkt das dauerhafte Niedrigzinsniveau zunehmend negativ auf die
Ertragssituation ein.
Im Dezember des Jahres 2016 erhöhte die Fed zum zweiten Mal seit
dem Jahr 2008 ihr Leitzinsniveau (marginal). Finanzkapital wurde
dadurch zurück in die USA gezogen, so dass z. B. die Kurse deutscher
Anleihen sanken und die Renditen sowie nachfolgend das Marktzins­
niveau anstiegen. Für deutsche Wohnungsbaukreditgeschäfte bedeutet
diese Markentwicklung ein Anziehen der Konditionen.
Zinserhöhungen als Stresstest
Wenn Wohnungsunternehmen in Deutschland die aktuellen Zinser-
höhungen kritisch aufstoßen, dann ist das ein Zeichen für zuvor zu
eng kalkulierte Kapitalkosten in ihren Investitionsplänen. Vor diesem
Hintergrund sind aktuelle Zinsentwicklungen ein sehr wichtiger und
effizienter Stresstest für Wohnungsunternehmen. Denn das historisch
weiterhin niedrige, weil politisch determinierte Marktzinsniveau
erfährt gerade eine relativ drastische, absolut jedoch nur marginale
Korrektur.
Ein nachhaltiges Finanzmanagement in Wohnungsunternehmen, das
den politisch bedingten Kapitalkostenvorteil nutzte, aber auch als
solchen erkannte, wird für den Fall der Entlassung der Zinsmärkte aus
den Klauen der politisch nicht legitimiert geldpolitischen Institutionen
risikotechnisch vorgesorgt haben. Übersteigen die aktuellen Korrektu-
ren jedoch die Spielräume möglicher Kapitaldienstfähigkeiten einzelner
Immobilieninvestitionen, wurde das aktuelle Marktzinsniveau nicht
strategisch erfasst und liefert Hinweise für mögliche und durchaus
immense finanzwirtschaftliche Risiken für Zeiten nach der expansiven
Geldpolitik des Eurosystems.
Worauf sollten sich Kreditnehmer gefasst machen?
Sollten die Korrekturen um den Jahreswechsel 2016/17 an den
Zinsmärkten nur die dritte Möglichkeit einer Zinswende seit dem
Jahr 2008 sein und aufgrund weiterer, gar noch verstärkter expan-
siver Geldpolitik im Eurosystem erneut verpuffen, dann empfiehlt
sich zwingend, aus den Entwicklungen die richtigen, risikobasierten
Lehren zu ziehen. Werden aber US-Wahl, Brexit, italienische Banken-
krise, die deutschen und französischen Wahlen die Welt, Europa, die
Euro-Staaten und Deutschland nachhaltig negativ beeinflussen, könnte
sich dieser dritte Ansatz einer Zinswende nach jenen der Jahre 2010
und 2012 vollenden. Vor diesem Hintergrund sollten Kreditnehmer im
Jahr 2017 wachsam bleiben und daran denken: Das niedrige Zinsni-
veau ist nicht ökonomisch bedingt, sondern politisch und der Bestand
des Niveaus hängt vom Goodwill politischer Entscheider ab. Derartige
Marktgegebenheiten machen Prognosen von Marktentwicklungen
nahezu unmöglich.
Zur strategischen Voraussicht unternehmerisch Verantwortlicher bleibt
daher allein die Notwendigkeit, selbst makroökonomische Entwicklun-
gen zu verfolgen, antizipieren – und zwar im Vertrauen darauf, dass sich
die Politik daran ausrichten wird.
KOMMENTAR
Prof. Dr. Markus Knüfermann
Professur für Volkswirtschaftslehre, Mikro- und
Makroökonomie und
internationale Wirtschaftsbeziehungen
EBZ Business School – University of Applied Sciences
Eine Langfassung dieses Beitrags ist auf
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2008 haben die Zentralbanken der großen Industriestaaten – auch die
EZB – erstmalig kollektiv das Leitzinsniveau abgesenkt
Quelle: MEV Verlag GmbH
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