DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 10/2017 - page 59

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10|2017
Daten – Digitalisierung – Agilität
Sind wir die Guten?
Die Venture-Capital-Szene hat die Wohnungswirtschaft entdeckt. Weltweit fließen jährlich mehrere
Milliarden in sog. Proptechs und Start-ups, die Technologien und digitale Konzepte rund um Immobilien
entwickeln. Die traditionellen Anbieter von ERP-Systemen erschaffen eigene „smarte Welten“. Globale
Internetfirmen dringen in Wohnungen und Gebäude ein. Die Veränderungsgeschwindigkeit ist hoch wie nie
zuvor, die Komplexität nimmt ebenso stark zu. Es ist gar nicht so einfach, einen Überblick zu behalten.
Digitalisierung heißt das neue Zauberwort,
manchmal auchWohnungswirtschaft 3.0 oder gar
4.0. – Synonyme für den Aufbruch in ein neues
Zeitalter: Optimisten versprechen eine großartige
neue Welt hinter all dem Nebel: Überall smarte
Prozesse, Kunden, Gebäude, Quartiere. Schade,
dass sich die Kunden nicht auch noch digitalisieren
lassen, wird mancher heimlich denken. Pessimis-
ten sehen entweder die Angriffe übermächtiger,
global agierender Internetkonzerne oder einen
rigiden Datenschutz, der vieles sehr schwierig
oder gar unmöglich macht.
Eine Portion Realismus
Es geht kein Weg daran vorbei. Jedes Unterneh-
men muss sich der Digitalisierung stellen, seine
eigene Strategie entwickeln. Sonst wird es die
Anforderungen der Kunden, der Shareholder, der
Gesellschaft irgendwann nicht mehr erfüllen. Ob
es uns passt oder nicht, die Kunden werden in na-
her Zukunft eine Prozessqualität wie bei Amazon
erwarten. Und unsere Gebäude werden unglaub-
liche Datenmengen erzeugen. ImForschungspro-
jekt „Allianz für einen klimaneutralenWohnungs-
bestand“ haben wir innerhalb von drei Monaten
13 Mrd. Datensätze generiert – mit gerade mal
700 Wohnungen und Gebäuden.
Die Strukturierung digitaler Prozesse, die Ent-
wicklung neuer, digitaler Geschäftsmodelle,
aber vor allem der Umgang mit großen, sensib-
len Datenmengen – dies alles sind Kompetenzen,
die nun jedes Wohnungsunternehmen aufbauen
muss. Selbst sehr kleine Unternehmen werden
zumindest über Grundwissen verfügen müssen.
Hand aufs Herz: Das dafür notwendige Know-how
in den Unternehmen ist überschaubar.
Akzeptanz und Schutz
Und dann sind da noch die Kunden – ein sicherlich
entscheidender Faktor in jeder Digitalisierungs-
strategie. Wenn sie einen konkreten Nutzen sehen
und das notwendige Vertrauen entwickeln, wer-
den siemitmachen, vomKunden zum„Prosumer“
werden, sich an der Weiterentwicklung beteiligen,
den Nutzen durch ihr Feedback ausbauen. Und die
Datenschutzerklärungen akzeptieren. Zum souve-
ränen Umgangmit Daten gehört nunmal auch ihr
Schutz. Er wird zukünftig deutlich aufwendiger
werden, denn die neue EU-Datenschutz-Grund-
verordnung erhöht die Anforderungen erheblich.
Wir müssen verstehen, was „Privacy and Data Pro-
tection by Design“ bedeutet. Wir müssen höhere
Anforderungen nach mehr Datensicherheit und
Schutz der Privatsphäre erfüllen.
Wir müssen? Ja, auch hier führt kein Weg dar-
an vorbei. Aber wie wäre es mit einem Wechsel
der Perspektive? Wie wäre es mit: Wir wollen!
Schließlich geht es im Geschäftsmodell der
Wohnungswirtschaft um ein besonderes Gut.
Die Wohnung wird explizit geschützt durch § 13
des Grundgesetzes, durch § 8 der Europäischen
Menschrechtskonventionen und durch § 12 der
UN-Menschenrechtscharta. Wie wäre es, wenn
die Wohnungswirtschaft Hüter dieses besonde-
ren Raumes wird? Wenn wir gemeinsam mit Ver-
braucherschutz, Mieterbund, Datenschützern und
unseren Kunden tragfähige Lösungen entwickeln?
Sicherlich, der Aufwand wäre höher. Aber viel-
leicht nicht so sehr viel höher, denn dieWohnungs-
wirtschaft kann sich einen auch nur ansatzweise
fahrlässigen Umgang mit Daten ohnehin nicht
leisten. Aber so kann ein deutliches Unterschei-
dungsmerkmal zu allenWettbewerbern, die in die
Wohnung drängen, geschaffen werden. So ent-
steht eine offensive Strategie, so kann notwen-
diges Vertrauen aufgebaut werden. Wenn klar ist,
dass die Daten bei uns sicher sind, wir mit ihnen
verantwortungsvoll umgehen, spätestens dann
wird klar: Wir sind die Guten!
Der Weg dorthin: Personalentwicklung
Die Ausbildung von ein paar Spezialisten wird
nicht reichen, Digitalisierung betrifft fast alle
Beschäftigtengruppen. Der souveräne Umgang
mit Daten, mit Komplexität und Geschwindigkeit
in einer immer digitaler werdenden Welt gehört
in Aus- und Weiterbildungsprogramme, in die
Breite – ein digitaler Führerschein als Grundaus-
bildung, als Mindeststandard. Innovation, Kreati-
vität, nichtlineares Denken, Neugierde, Offenheit
werden Schlüsselkompetenzen der Zukunft. Es
wird nicht reichen, diese Kompetenzen nur über
Ausbildung zu vermitteln. Denn über 90%der Be-
legschaften sind schon länger im Unternehmen,
wir brauchen ihr Erfahrungswissen und ihre Be-
reitschaft, sich auf die neuen Themen einzulassen.
Und wir brauchen Führungskonzepte, die Agilität
fördern, nicht blockieren.
Der Aufbau digitaler Kompetenzen, eine zielge-
richtete Personalentwicklung, ist der Schlüssel
zum Erfolg. Lassen Sie uns gemeinsam daran ar-
beiten, mit den Daten der Menschen verantwor-
tungsvoll umzugehen und sie gewinnbringend für
lebenswerte, smarte Quartiere einzusetzen.
Klaus Leuchtmann
Vorstandsvorsitzender der EBZ
Bochum
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