DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 1/2017 - page 10

STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
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Preis Soziale Stadt 2016
Unterstützung für Menschen auf der
Schattenseite des Lebens
Wenn Mieter dauerhaft ihre Miete schuldig bleiben oder das friedliche Zusammenleben stören,
haben Wohnungsunternehmen zwei Möglichkeiten: Sie können dem Störenfried kündigen oder aber ihm
Unterstützung anbieten, um seine Probleme in den Griff zu bekommen. Für den zweiten Weg hat sich die
NEUWOGES in Neubrandenburg entschieden – mit bemerkenswertem Erfolg und ausgezeichnet mit
einem Preis Soziale Stadt.
Lautes Lachen ertönt im Bewohnertreff in der
Neustrelitzer Straße in Neubrandenburg. Eine
der regelmäßigen Besucherinnen des Treffs hat
ein neues Spiel mitgebracht, das hörbar für gute
Laune sorgt. Etwas später wird es ruhiger: ImMal-
kreis bringen die Teilnehmerinnen konzentriert
ihre Motive zu Papier. Für die kommende Woche
ist die gemeinsame Zubereitung einer Kürbissuppe
angekündigt. Und immer ist jemand ansprechbar,
wenn einMieter über seine Sorgenmit Ämtern, mit
Ärzten oder mit Nachbarn reden möchte. „Ich bin
gern hier“, sagt eine ältere Mieterin. „Was soll ich
den ganzen Tag in der Wohnung machen?“
Der Bewohnertreff in der Neustrelitzer Straße
103-109 ist das zentrale Element des Projekts
„Wohnsozialisierungshilfe im Quartier“, mit dem
die Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft
mbH (NEUWOGES) beimPreis Soziale Stadt 2016
in der Kategorie „Wohnen, Wohnumfeld, Natur“
ausgezeichnet worden ist (siehe auch DW8/2016,
S. 8). Das Projekt richtet sich anMieter, die imNor-
malfall akut vom Verlust ihrer Wohnung bedroht
wären – sei es, weil sie mit den Mietzahlungen in
Rückstand geraten sind, sei es, weil sie durch ihr
Verhalten die Lebensqualität ihrer Nachbarn in
unzumutbarer Weise beeinträchtigen. In solchen
Fällen beschreitet die NEUWOGES nicht den sonst
üblichen Gerichtsweg, sagt Unternehmensspre-
cher Matthias Trenn. „Stattdessen bietenwir dem
Christian Hunziker
freier Immobilienjournalist
Berlin
betroffenenMieter als Alternative zur Kündigung
des Mietverhältnisses aufgrund seines nicht ver-
tragsgerechten Verhaltens eine Wohnung mit
sozialpädagogischer Betreuung in einem dafür
vorgesehenen Wohnhaus an.“
Schwierige Ausgangslage
Das Projekt geht auf das Jahr 2001 zurück. Damals
begann das kommunale Wohnungsunternehmen
der heute 63.000 Einwohner zählenden Stadt in
Mecklenburg-Vorpommern, in einem Haus mit
45 Wohnungen Problemmieter anzusiedeln und
sie intensiv zu betreuen. 2010 kam ein zweiter
Standort in einemanderenWohngebiet hinzu. Weil
sich der Bedarf damit immer noch nicht decken
ließ, wechselte das Pilotprojekt im Dezember
2013 in die Neubrandenburger Südstadt. Die da-
für ausgewählte 11- bis 14-geschossige Zeile in
der Neustrelitzer Straße 103-109 mit ihren 200
1- bis 4-Raum-Wohnungen hatte einen denkbar
schlechten Ruf. Das Wohnklima war geprägt von
Lärm- und Geruchsbelästigungen, verbaler und
körperlicher Gewalt unter den Nachbarn und da-
mit einhergehenden regelmäßigen Polizei- und
Notarzteinsätzen sowie umfangreichen Vanda-
lismusschäden.
Die Klientel, die das Projekt anspricht, war also in
Teilen bereits hier ansässig. Doch ist es nicht prob-
lematisch, Störmieter an einemohnehin belasteten
Ort zu konzentrieren? Tatsächlich widerspreche
Der Malkreis ist eines der Angebote des Bewohnertreffs, die gern angenommen werden
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