DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 4/2016 - page 63

an pflegebedürftigenMenschen, deren Betreuung
durch konventionelle stationäre Betreuung in Zu-
kunft nicht mehr darstellbar sein wird. Da auch
die familiäre Betreuung aufgrund desWegzugs der
Kinder und Enkel oft nichtmehr als Alternative her-
angezogenwerden kann, bedarf es neuer Konzepte
nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“.
Bedarfsgerechte Versorgung
Wichtig ist es, den zukünftigen Anforderungen der
bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung bis
2030 und 2050 mit einer optimalen und nach-
haltigen Verteilung der notwendigen ambulanten
und stationären Wohn- und Versorgungsformen
im Rahmen effektiver Städtebau- und Stadtent-
wicklungsstrategien entgegenzutreten. Der VSWG
veröffentlichte deshalb zusammen mit Partnern
2015 die Studie „Städtebau der Zukunft – eine
volkswirtschaftliche Analyse“ (im Auftrag des
Sächsischen Staatsministeriums des Innern, siehe
DW8/2015, S. 69), die fachlich durch den Barmer
GEK Sachsen unterstützt wurde. Dabei beziffert
sich der heutige Mindestgesamtbedarf an barrie-
rearmen Wohnungen in Sachsen – allein aus den
Zahlen für pflegebedürftige Personen – auf rund
93.000 Wohnungen. Die Forderung nach einem
weiteren Sofortausbau zur Schaffung von etwa
insgesamt 100.000 barrierearmen Wohnun-
schließlich gilt der Grundsatz „ambulant vor sta-
tionär“. Fällt die Entscheidung zur Pflege imhäus-
lichen Umfeld, ist das oft eine Entscheidung für
viele Jahre. Auch die Anpassungen der konkreten
Wohnumgebung an die Bedürfnisse des pflegebe-
dürftigen Menschen oder der Umzug in eine be-
darfsgerechte Wohnung können das Führen eines
selbstbestimmten Lebens trotz Pflegebedürftigkeit
fördern und das Wohlbefinden deutlich erhöhen.
Was erschwert die Schaffung barrierearmer
Wohnungen?
Viehweger:
Die Möglichkeiten, die barriereredu-
zierende bauliche Maßnahmen sowie der Einsatz
technischer Assistenzsysteme bieten, insbesonde-
rewenn sie in quartiersbezogenen Betreuungskon-
zepte derWohnungswirtschaft eingebunden sind,
liegen auf der Hand. Leider sind die Zuschüsse, die
betroffene Haushalte für individuelleMaßnahmen
inWohnung undWohnumfeld erhalten können, je-
doch kaumbekannt und werden zu wenig abgeru-
fen. DieWohnungswirtschaft kann dies – trotz ihrer
Anstregungen bei Bau- und Umbau barrierearmer
Wohnungen – nicht auffangen. Deshalb begrüßen
wir, dass die Pflegekassen subsidiär finanzielle Zu-
schüsse für Maßnahmen – wie z. B. Umbaumaß-
nahmen oder technische Hilfen im Haushalt – zur
Verbesserung des individuellenWohnumfeldes von
Pflegebedürftigen gewähren.
Warum werden die Leistungen der Pflegever-
sicherung nicht abgerufen?
Loose:
Trotz bestehender Beratungsangebote der
Pflegekassen, Pflegedienste oder -netze sowie der
Beratung imRahmen der Begutachtung durch den
Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK)
stellen wir leider immer noch erhebliche Informa-
tionsdefizite bei denBetroffenen fest. Nur etwa die
Hälfte der von uns befragten eigenenVersicherten,
die eine entsprechende Maßnahme zur Verbesse-
rung des Wohnumfeldes durchgeführt haben, er-
hielt einen diesbezüglichen Hinweis von offizieller
Seite (Pflegekasse, MDK, Pflegedienste etc.). Ein
Drittel derjenigen, die bisher noch keine dieser
Leistungen genutzt haben, wussten nicht, dass die
Pflegeversicherung Zuschüsse für Umbaumaßnah-
men bezahlt. Diese Informationslücke müssen wir
schließen. Dies wäre ein Beitrag zur Verbesserung
der Versorgung und hilft den Betroffenen, länger
in ihrer häuslichen Umgebung zu bleiben. Es kann
jedoch nicht alleinige Aufgabe der Pflegedienste
und -kassen sein. Es gilt, auch Städte, Gemeinden
oderWohnungsunternehmenmit ins Boot zu holen.
Welchen Beitrag kann der VSWG leisten, um
Informationslücken zu schließen?
Viehweger:
Es ist immens wichtig, dass vorhande-
ne finanzielle Möglichkeiten auch Eingang bei der
Bevölkerung finden. Hierzu ist es notwendig, dass
wir die Vorstände derWohnungsgenossenschaften
und diese ihre Mitglieder über die Möglichkeit der
wohnumfeldverbesserndenMaßnahmen informie-
ren. Dies ist ein weiterer Schritt, der zur Umset-
zung barrierearmen Wohnraums beitragen kann.
Denn Sensibilisierung ist ein Erfolgsfaktor.
In Sachsen gehen wir zudem mit gutem Beispiel
voran – z. B. imRahmen unseres Projekts Gesund-
heitsregion Chemnitz+.
Meine Herren, vielen Dank für das Interview!
Die Fragen stellte Olaf Berger.
Für den barrierereduzierenden Umbau
sowie für die Austattung des individuellen
Wohnraums mit technischen Assistenz-
systemen stehen den Nutzern finanzielle
Zuschüsse aus der Pflegeversicherung zur
Verfügung
Quelle: VSWG
61
4|2016
1...,53,54,55,56,57,58,59,60,61,62 64,65,66,67,68,69,70,71,72,73,...92
Powered by FlippingBook