DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 4/2016 - page 23

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4|2016
Das Bestandsmanagement erfordert heute deut-
lich mehr Aufmerksamkeit als bisher. Gewohnte
Neubau-Planungsstandards werden imWust neuer
Anforderungen schnell zur Treibsandwanderung.
Der wunde Punkt dabei ist die Betrachtung des
Lebenszyklus und dessen Kosten. Was heute kurz-
sichtig renoviert oder errichtet wird, kannmorgen
zur dreifachen Belastung werden: Der Unterhalt
wird teurer, es schadet demNutzer und ein Ersatz
ist aufwändiger.
Energieeffizienz versus
Sozialverträglichkeit?
Schon vor der Pariser Klimakonferenz 2015
standen Energieeffizienzthemen oben auf der
Agenda. Damit verbunden ist die Frage, wie die
gesetzlichen Vorgaben in der gebauten Praxis zu
ökonomisch vertretbaren Lösungen führen. Insbe-
sondere in Stadtquartieren, die vielerlei sozialen
Spannungen ausgesetzt sind, tritt die Herausfor-
derung eines energieeffizienten und sozialver-
träglichen Quartiersmanagements zutage.
Die Kosten des Neubaus oder der energetischen
Sanierung im Bestand sind von manchen Mie-
tergruppen kaum mehr zu verkraften. Und dies,
obwohl der möglichen Umlage seitens der Woh-
nungswirtschaft enge Grenzen gesetzt sind. Die
erhoffte Einsparung bei den Energiekosten kann
dieMieterhöhung durch dieModernisierungsum-
lage oft nicht kompensieren.
In diesem „energiegeladenen“ Umfeld kann ein
wichtiger Aspekt der Produktverantwortung un-
terschätzt werden: die Gesundheit der Mieter.
Neben vielen Themen, wie z. B. demaltersgerech-
ten Wohnen kommen auf den Vermieter in seiner
Fürsorgepflicht neue Herausforderungen zu. Diese
ergeben sich aus zwangsläufig abgedichteten Ge-
bäudehüllen und dem dadurch deutlich reduzier-
ten Luftwechsel. So ist die Schimmelthematik so
alt wie die rabiate bautechnische Veränderung am
Bestandsgebäude und stellt die „Bedienung“ des
Gebäudes durch den Mieter auf eine harte Probe.
Wohngesundheit als Wert
Zunehmend wird deutlich, dass ungezählte neue
Bestandteile in Baumaterialien bei dichten Gebäu-
dehüllen zu einer Verschlechterung der Innen-
raumluftqualität führen können. Das Umweltbun-
desamt hatmit der Kommission Innenraumhygiene
hierzu Empfehlungen ausgearbeitet. Diese stellen
zwar kein geltendes Recht dar, dienen imStreitfall
und vor Gericht aber als Richtschnur.
Die im Dezember 2014 vom Helmholtz-Zentrum
für Umweltforschung veröffentlichten Ergebnisse
über die Auswirkungen flüchtiger organischer Ver-
bindungen auf Atemprobleme bei Babys und Klein-
kindern sprechen eine deutliche Sprache. Laut der
Studie ließen sich allein in Deutschland pro Jahr
ca. 20.000 Fälle von pfeifender Atmung bei Klein-
kindern, die eine ärztliche Behandlung erfordern,
vermeiden, wenn während der Schwangerschaft
oder imersten Jahr nicht renoviert werdenwürde!
Lösungen sind verfügbar
Die Wohnungswirtschaft ist an dieser Stelle ak-
tuell eher zurückhaltend, da einfache Lösungen
im Zusammenhang mit energieeffizientem oder
nachhaltigem Bauen vermeintlich fehlen. Die
Meinung, die Bemühungen des Vermieters um
schadstoffarme Baumaterialien würden in der
Praxis oft genug durch hoch schadstoffbelaste-
te Möbel und Alltagsgegenstände ad absurdum
geführt, greift dennoch zu kurz. Denn hier - wie
beimThema Energieeffizienz - geht es imKern um
das Zusammenspiel verschiedener Aspekte und
Akteure im legitimen Interesse von Gesundheit
und Wohlbefinden des Mieters.
Und tatsächlich ist das Thema kein weißer Fleck
auf der Landkarte des Bauens. Einerseits bietet
die Baustoffindustrie eine steigende Zahl geprüft
schadstoffreduzierter Baustoffe und kompletter
Bauteilsysteme an. Diese weisen ihre Eignung
nicht nur in der Messkammer, sondern auch
im gebauten Objekt nach. Andererseits bieten
ausgearbeitete und erprobte Qualitätsmanage-
mentsysteme die für den Bauherrn erforderliche
Prozesssicherheit.
So hat z. B. das Freiburger Sentinel Haus Insti-
tut ein praxisorientiertes QM-System in einer
Online-Datenbank verdichtet. Die Gesundheits-
und Nachhaltigkeitsaspekte sind so miteinander
verknüpft, dass Baubeteiligten und der Baustoff-
industrie ein transparenter Informationsaustausch
zur Verfügung steht. Weiterhin kann über geschul-
te Baubeteiligte vom Planer bis zum Fachhand-
werksbetrieb mit dem Bauherrn vor Baubeginn
eine definierte Innenraumluftqualität vertraglich
festgelegt werden.
In zahlreichen gebauten Referenz- und in Mo-
dellprojekten werden solche strukturierten Vor-
gehensweisen als zielführend für alle Beteiligte
bestätigt. Bemerkenswert ist die annähernd kos-
tenneutrale Realisierung wohngesunder Aspek-
te, die in einem Forschungsprojekt mit achtzehn
Baustoffherstellern und dem TÜV Rheinland in
Köln (mit zwei imPaarvergleich gemessenen Klas-
senräumen) bestätigt wurde.
Fazit
Nachhaltiges und gesundes Bauen sind heute
untrennbar miteinander verknüpft. Die Heraus-
forderungen, die sich mit der aktuellen, energie-
effizienten Bauweise ergeben, sind relevant und
müssen stärker in die Planungs- undManagement-
systematik wohnungswirtschaftlicher Unterneh-
men einfließen.
Diese Entwicklung scheint unter demAspekt stei-
gender Erwartungen an Transparenz und Produkt-
sicherheit unumgänglich zu sein. Es gibt prakti-
sche Lösungen im Markt, die eine konsequente
Berücksichtigung der Gesundheitsaspekte beim
nachhaltigen Bauen gewährleisten und zumin-
dest nicht verteuern. Im Wettbewerb stellt diese
Differenzierung bereits heute einenwesentlichen
Vorteil dar.
Dr. Sebastian Reich, Franz Knecht,
Christian Donath und Ingo Schwarz
(v. l.)
RKDS & Partners
Essen
Quelle: seventi, Oliver Ackers
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