DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 12/2016 - page 70

MARKT UND MANAGEMENT
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12|2016
Herr Seibt, Herr Lorenz, in den deutschen
Ballungsräumen sind Wohnungen knapp, und
Mietinteressenten stehen Schlange. Braucht
es in dieser Situation wirklich eine neue Mar-
ketingkampagne für Genossenschaften?
Michael Seibt:
Sicher, momentan lassen sich
Wohnungen gut vermieten – aber wissen wir, ob
der Wohnungsmarkt in zehn Jahren immer noch
so eng ist? Deshalb finden wir, dass mit Blick auf
die Zukunft eine solche Kampagne sehr sinnvoll
ist. Mit ihr richten wir uns an junge Menschen
zwischen 18 und 30 Jahren, weil wir festgestellt
haben, dass für jungeWohnungssuchende Genos-
senschaften eine große Unbekannte sind.
Siegfried Lorenz:
Die Mitglieder der Wohnungs-
genossenschaften haben ein relativ hohes Durch-
schnittsalter. Bei der GWF eG sind es 54 Jahre,
und die demografische Entwicklungwird sich noch
stärker auswirken. Eine Imagekampagne bei jun-
genMenschen trägt dazu bei, dass Genossenschaf-
ten auch künftig nachgefragt sein werden – also
auch dann, wenn dieWohnungsmärkte eines Tages
wieder entspannter sein werden.
Michael Seibt:
Außerdem sind die genossen-
schaftlichen Werte gerade für junge Menschen
durchaus relevant. Untersuchungen zeigen, dass
– anders als oft vermutet – das Thema der Nach-
barschaft Jugendlichen und jungen Erwachsenen
nicht gleichgültig ist. Auch die Sicherheit der Woh-
nung spielt wieder eine große Rolle, vor allem in
Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt.
Deshalb sollten wir uns mit dieser Zielgruppe
auseinandersetzen und ihr zeigen, was wir ihr zu
bieten haben.
Menschen zwischen 18 und 30 Jahren sind
aber keine einheitliche Zielgruppe. Dazu
gehören Auszubildende und Studienanfänger
genauso wie junge Paare, die bereits voll im
Berufsleben stehen, und Familien mit kleinen
Kindern. Wie gehen Genossenschaften mit
dieser Vielfalt um?
Michael Seibt:
Sie haben recht: Die Jugend von
heute ist keine einheitliche Gruppe, sondern gibt
ein vielschichtiges, buntes und heterogenes Bild
ab. Das berücksichtigen wir mit unserer Kampa-
gne, da sich diese an junge Leute in unterschied-
lichen Lebensphasen richtet. Grundsätzlich aber
sind die Alleinstellungsmerkmale der Wohnungs-
baugenossenschaften – die Wohnsicherheit, der
zielgenaue Service, die gelebte Solidarität und die
Möglichkeit zur Mitbestimmung – gerade für junge
Menschen aktuell.
Siegfried Lorenz:
Außerdempunkten die Genos-
senschaften, weil sie passende Wohnungen für
unterschiedliche Ansprüche bieten. Junge Men-
schen können also innerhalb der Genossenschaft
die Wohnung wechseln, wenn sich ihre Lebenssi-
tuation ändert.
Warum wird die Kampagne nicht bundesweit
gefahren?
Michael Seibt:
Innerhalb der bundesweitenMar-
ketinginitiative konntenwir uns nicht auf eine ge-
meinsame Kampagne einigen. Wir entschlossen
uns deshalb, in Nordrhein-Westfalen und Baden-
Württemberg voranzugehen.
Siegfried Lorenz:
Die Kampagne ist offen für wei-
tere Genossenschaftsverbünde. Wir haben gewis-
sermaßen die Initiative ergriffen, um von unten
nach oben eine bundesweite Kampagne zu starten.
Viele Genossenschaften haben kaum freie
Wohnungen. Wecken Sie mit der Kampagne
nicht Erwartungen, welche die Genossen-
schaften dann gar nicht erfüllen können?
Michael Seibt:
Zu sagen, wir machen keine
Werbung, weil es jetzt keine freien Wohnungen
gibt, wäre falsch. Denn es geht darum, die jun-
gen Menschen als künftige Mieter anzusprechen.
Außerdem gibt es in Nordrhein-Westfalen auch
Regionen, in denen die Nachfrage nach Wohnun-
gen keineswegs riesig ist und wo die Genossen-
schaften auch heute schon froh um zusätzliche
Nachfrager sind.
Siegfried Lorenz:
Sicher stellt sich die Frage, ob
wir die Nachfrage nachWohnungen durch eine sol-
che Kampagne nicht noch weiter anheizen. Aber
selbst in Stuttgart hat ein Starterhaushalt eine
realistische Chance, eine Wohnung bei einer Ge-
nossenschaft zu bekommen. Denn wir haben eine
jährliche Fluktuation von sieben Prozent, womit
bei 20.000 Stuttgarter Genossenschaftswohnun-
gen jedes Jahr 1.400 Einheiten frei werden. Vor
allem aber betrachten wir die Marketingkampa-
gne als langfristige Imagekampagnemit Blick auf
die Zeit, in der die Wohnungsmärkte nicht mehr
überhitzt sein werden.
Herr Seibt, Herr Lorenz, vielen Dank für das
Gespräch.
Das Interview führte Christian Hunziker.
Interview mit Michael Seibt und
Siegfried Lorenz
An die Zukunft denken
In deutschen Ballungsräumen lassen sich Wohnungen
derzeit ohne Probleme vermieten. Warum trotzdem
eine Marketingkampagne benötigt wird, die sich an
junge Leute richtet, erläutern Michael Seibt (l.), Leiter
Öffentlichkeitsarbeit bei der Baugenossenschaft Freie
Scholle eG in Bielefeld, und Siegfried Lorenz, Vorstand
der GWF Wohnungsgenossenschaft eG in Stuttgart.
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