DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 10/2016 - page 27

In den Schwarm- und Großstädten haben wir einen Sog produziert, der
so groß ist, dass wir die Nachfrage nicht mehr bedienen können. Gleich-
zeitig gibt es viele Bereiche im Umkreis dieser Städte, in denen durchaus
günstiger Wohnraum zur Verfügung steht. Ich beobachte im Moment
eine Art self-fulfilling prophecy: Wir ziehen Menschen immer mehr in
die Großstädte und beschweren uns gleichzeitig, dass wir ihnen keine
Wohnungen mehr anbieten können. Stattdessen sollten wir die Randbe-
reiche der Großstädte stärken. Und wir sollten die Frage aufwerfen, ob es
wirklich sinnvoll ist, die Schwarmstädte immer größer und verdichteter
werden zu lassen und den Eindruck zu erwecken, alle Menschen hätten
ein Recht auf Wohnen in der Innenstadt.
Was aber passiert im Moment? Die Menschen flüchten nicht nur aus dem
Ausland zu uns, sondern gewissermaßen auch von den umliegenden
Gemeinden in die Ballungsgebiete. Damit haben wir volkswirtschaftlich
ein Riesenproblem vor der Brust. Wir müssen Kindergärten und Wohnun-
gen dort bauen, wo kein Platz ist und die Preise hoch sind, während in den
Randbereichen die teuer aufgebaute Infrastruktur nicht genutzt wird.
Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Menschen dazu
bewegen können, auch an der Peripherie zu wohnen, wo die Infrastruktur
gar nicht schlecht ist. Wir müssen uns vom Glauben verabschieden, dass
wir den Wohnungsbedarf allein in den Großstädten decken können. Wenn
wir das nicht schaffen, bringen wir uns noch mehr in die Bredouille.
(Oder) gibt es sehr schöne Wohnlagen, die man gut mit anspruchsvollen
Wohnungen bebauen könnte. Wenn man die Attraktivität solcher Lagen stei-
gert, trägt man dazu bei, dass nicht alle Leute in die Metropolen strömen.
Hinzu kommt eine Überzeichnung der Entwicklung in der Presse, weil diese
fast immer über die Angebotsmieten berichtet. Dabei sind die durchschnitt-
lichen Mieten deutlich geringer als die Angebotsmieten. Nicht jeder, der in
Hamburg eine Wohnung mietet, zahlt dafür eine Miete von 13 €/m
2
. Wer bei
der SAGA GWG oder einer Genossenschaft wohnt, zahlt 6 € und liegt damit
2 € unter dem Hamburger Mietspiegel. Deshalb betrachte ich es als unsere
Aufgabe, mit Augenmaß zu argumentieren.
Wir sind uns alle einig, dass wir mehr
Wohnungen bauen müssen und dass diese
Wohnungen preiswert und bezahlbar sein
müssen. Nun befasse ich mich schon fast
30 Jahre mit dem Thema Baukostensteue-
rung, und am Ende meiner Laufbahn stelle
ich fest, dass es zwar sehr viel Wissen über
kostengünstiges Bauen gibt, aber nur eine
minimale Anwendung dieses Wissens.
Dabei stehen wir zurzeit vor zwei unter-
schiedlichen Aufgaben. Wir sollen einerseits provisorische Übergangswoh-
nungen für Flüchtlinge schaffen und andererseits dauerhafte Wohnungen
in hoher städtebaulicher und architektonischer Qualität. Diese Felder muss
man politisch und technisch sorgfältig trennen. Dabei sind unsere woh-
nungswirtschaftlichen Grundsätze beizubehalten und wir dürfen nicht das,
was wir in der Vergangenheit gelernt haben, über Bord werfen. Politiker
sind zwar zufrieden, wenn wir schnell viele Wohnungen bauen. Aber ich
sehe die große Gefahr darin, dass wir angesichts der Zahlen den Anspruch
aus den Augen verlieren, Wohnungen in hoher Qualität zu bauen.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen haben wir in München ein
Modellprojekt mit dem Ziel entwickelt, die Baukosten (KG 300 und 400)
auf 1.400 €/m
2
brutto zu begrenzen. Normalerweise kostet der öffentlich
geförderte Wohnungsbau in München 1.700 bis 1.800 €/m
2
. Wir wollen
im frei finanzierten Bereich eine Miete von 9,99 €/m
2
erreichen. Das sollte
wirtschaftlich möglich sei, dafür haben wir alle Register gezogen. Es ist uns
gelungen, indem wir alle Kompetenzen – nicht nur die technischen, son-
dern auch die kaufmännischen – versammelt und mit geeigneten Architek-
ten verbunden haben. Erreicht haben wir das z. B. dadurch, dass wir u. a.
in beiden Häusern dieses Projekts jeweils nur einen Lift eingebaut haben.
Dadurch sind nur 64 der 80 Wohnungen mit dem Lift erschlossen, was
erhebliche Kosten spart. Bei unserem großen Bestand an barrierefreien
Wohnungen halten wir das für vertretbar.
Ein anderes Beispiel für die Kostensenkung: Wir haben ein neues System
für die Elektronanschlüsse entwickelt, bei dem sich die Zähler nicht im
Keller befinden, sondern in der jeweiligen Wohnung. Allerdings schreiben
die Stadtwerke vor, dass sämtliche Zähler im Keller sein müssen. Wir sind
immer noch im Kampf mit den Stadtwerken, aber irgendwie wird das gelin-
gen. Außerdem bauen wir keine Tiefgarage. Für die Stellplatzverteilung
haben wir stattdessen gemeinsammit dem Planungsreferat eine sehr intel-
ligente Lösung gefunden, bei der sich die Genehmigungsbehörde richtig
bewegt hat. Dadurch haben wir einen Stellplatzschlüssel von nur 0,2 pro
Wohnung direkt an den Nachbargebäuden nachweisen können. Die rest-
lichen Stellplätze werden in umliegenden Tiefgaragen unseres Quartiers
untergebracht, die wir für teures Geld bereits gebaut hatten. Zusätzlich
gibt es ein Mobilitätskonzept u. a. mit Carsharing.
Diese Beispiele zeigen, dass wir guten Wohnungsbau realisieren können,
wenn wir uns alle am richtigen Ziel orientieren. Die Wohnungsunternehmen,
die Architekten/Ingenieure, die Handwerker, die Städtebauer, die Stadt als
unsere Gesellschafterin – alle müssen gemeinsam Kompromisse machen.
Wenn nur einer der Beteiligten ausschert, dann funktioniert es nicht.
Hans-Otto Kraus, Geschäftsführer, GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH, München
Ein Modellprojekt für kostengünstiges Bauen
Uwe Eichner, Vorstandsvorsitzender, GAG Immobilien AG, Köln
Wir brauchen einen Wohnungsbaukoordinator
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