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6|2015
das Netzwerk „Anders altern“ leitet. Nach seinen
Worten scheiterte die angedachte Kooperation
mit einer Wohnungsbaugesellschaft oder einer
Genossenschaft daran, dass die Engagierten von
Anfang an ein ganzes Haus bewohnen wollten,
während die Wohnungsunternehmen allenfalls
schrittweise einzelne Wohnungen zur Verfügung
hätten stellen können.
Das war nicht die einzige Schwierigkeit, mit der
die Initiatoren zu kämpfen hatten. Ausgesprochen
langwierig gestaltete sich auch die Suche nach
einem geeigneten Objekt. Schließlich fand sich
ein in der 1930er Jahren errichtetes Gebäude in
der Niebuhrstraße 59/60, das zuletzt eine Kin-
dertagesstätte beherbergt hatte und imEigentum
des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf war. Wie
aber sollte das Vorhaben finanziert werden? Auch
hier war der Weg zur letztlich gefundenen Lösung
steinig. Möglichwurden Kauf und Sanierung näm-
lich erst, als die Stiftung Deutsche Klassenlotterie
Berlin 2,7Mio. € als Zuschuss zur Verfügung stell-
te. Das Fremdkapital kam von der Bank für Sozi-
alwirtschaft. Insgesamt beliefen sich die Kosten
für Kauf und Umbau auf rund 6 Mio. €.
Dabei ist der Lebensort Vielfalt kein reines Wohn-
projekt. Neben 24 Wohnungen von 34 bis 80 m
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Wohnfläche und einer Pflege-Wohngemeinschaft
befinden sich im Haus auch die Beratungs- und
Büroräume der Schwulenberatung und das Res-
taurant „wilde Oscar“ mit einem Veranstaltungs-
saal. Und auch beim Wohnteil handelt es sich
keineswegs um ein Altenheim für Schwule. Denn
die Initiatoren entschieden sich für eine gemisch-
te Bewohnerstruktur: 60% sind Schwule über 55
Jahre, 20% jüngere Schwule sowie 20% Prozent
andere Bewohner.
„Ohne Angst vor Diskriminierung“
„Das Wichtigste war uns, einen Ort zu schaffen,
wo sich ältere Schwule ohne Angst vor Diskri-
minierung zuhause fühlen können“, sagt Pulver.
Nach seinen Worten leben ganz unterschiedliche
Menschen imLebensort Vielfalt: Während der Mie-
tersprecher den ersten Christopher Street Day in
Berlinmitorganisierte, gehen andereMieter nicht
offensiv mit ihrer sexuellen Orientierung um. „Es
sind nicht nur die ‚Schwulenbewegten‘, die hier
einziehen“, betont Pulver. Und wie steht er zum
Vorwurf, hier würden sich Schwule ihr eigenes
Ghetto schaffen? Erstens stimme das nicht, weil
nicht nur Schwule im Haus wohnten und arbeite-
ten, antwortet er. „Und außerdem haben ältere
Schwule das Recht, zu bestimmen, mit wem sie
zusammenwohnen möchten.“
Das Interesse am Lebensort Vielfalt ist jeden-
falls riesig: Pulver zufolge stehen 288 Personen
auf der Warteliste, darunter zahlreiche Frauen.
Ausgewählt werden die neuen Mieter zunächst
nach ihrem Platz in der Warteliste und danach, in
welcher Bewohnerkategorie ein Platz frei gewor-
den ist. Dann stellen sich die Interessenten dem
Mieterplenumvor, das letztlich die Auswahl trifft.
Die Warmmiete inklusive aller Nebenkosten be-
trägt 11 €/m
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; bei den Dachgeschosswohnungen
sind es 12 €/m
2
. Dieser zusätzliche Euro dient der
Quersubventionierung von vier kleinen Wohnun-
gen, die auch für Arbeitslosengeld-II-Bezieher
Die „Villa anders“ in Köln-Ehrenfeld umfasst 35 Wohnungen, in denen hauptsächlich schwule Männer und lesbische Frauen leben
Quelle: GAG Immobilien AG
Die Befürchtung, in Pflegeheimen werde die sexuelle Orientierung nicht
akzeptiert, ist verbreitet: Fast die Häfte von 1.143 Befragten glaubt nicht an
eine diskriminierungsfreie Behandlung durch das Pflegepersonal