DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 12/2015 - page 13

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bestätigt werden, dass die Gärten insbesondere
für Menschen einen Mehrwert an Lebensqualität
bieten, die häufig von Ausgrenzung, Isolation, Be-
nachteiligung und generell schwierigen Lebens-
perspektiven betroffen sind.
Gemeinschaftsgärten werden von einer Gemein-
schaft gestaltet und in Eigenverantwortung
betrieben. In sozial benachteiligten Quartieren
leisten sie als Orte der nachbarschaftlichen Be-
gegnung und der Integration einen wichtigen so-
zialen Beitrag. Abgeleitet aus den Fallstudien sind
die Gärten zwar umzäunte, aber dennoch offene
Freiräume. Sie gehen Kooperationenmit Bildungs-
einrichtungen ein, neben der Möglichkeit zu gärt-
nern stellen sie andere Angebote (z. B. Beratung,
Fortbildungen) zur Verfügung und sprechen mit
ihren Aktivitäten auch andere Bewohner in der
Nachbarschaft an (z. B. Veranstaltungen mit Kin-
dern und Jugendlichen, Feste). Dadurch haben die
Gärten einen Ausstrahlungseffekt in das Quartier
und werden auch als „Draußen-Stadtteilzentren“
bezeichnet.
Gemeinschaftsgärten können das städtische
Gefüge sinnvoll ergänzen und darüber hinaus
aufwerten – vor allem wenn auf einer einst ver-
müllten Brachfläche ein Garten entsteht. In der
Ästhetik der Gärten drückt sich häufig die Ex-
perimentierfreude der Gartengemeinschaft aus,
die zum einen oft im Sinne einer nachhaltigen
Ressourcenverwendung agiert und zum anderen
nur eingeschränkte finanzielle Mittel zur Verfü-
gung hat. In zwei der sieben Fallstudien wurden
die Gärten Ziel von Vandalismus. Mit Spenden
und ehrenamtlichem Engagement konnten die
Schäden behoben werden. Ein spezielles Prob-
lem einiger Gärten ist jedoch ihr eigener Erfolg.
Durch die Aufwertung ihrer Umgebung laufen sie
Gefahr, höherwertigen Nutzungsmöglichkeiten
weichen zu müssen.
Hinter dem Sammelbegriff Gemeinschaftsgärten
verbergen sich zahlreiche Formen und Ausprä-
gungen, die jedoch einiges gemeinsamhaben: die
gemeinschaftliche gärtnerische Bewirtschaftung
einer Fläche, das freiwillige, amGemeinwohl ori-
entierte Engagement und die prinzipielle Offen-
heit und Zugänglichkeit der Gartenflächen.
In den Medien ist das Thema seit einigen Jahren
sehr präsent. Wie viele Gemeinschaftsgärten oder
Urban-Gardening-Projekte es in Deutschland gibt
undwie sie verteilt sind, ist jedoch nicht bekannt,
da keine umfassenden Bestandsaufnahmen exis-
tieren. 2013 wurde die Zahl auf etwa 500 ge-
schätzt. Aus Studien und Internetportalen geht
hervor, dass es sich vornehmlich um ein städ-
tisches Phänomen handelt. Die Gärten sind vor
allem in dicht besiedelten Räumen zu finden, wo
nur wenige private Gärten gibt und wo Grün- und
Freiflächen ein knappes Gut sind. Insbesondere in
sozial benachteiligten Quartieren besteht häufig
einMangel an attraktiven und zugänglichen Grün-
flächen, daher können die Gärten dort insgesamt
zur Verbesserung der Lebens- und Wohnqualität
beitragen.
In der Studie „Gemeinschaftsgärten im Quar-
tier“ wurde daher die Bedeutung der Gärten
insbesondere für sozial benachteiligte Quartie-
re untersucht. Die Studie wurde im Auftrag des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und des Bun-
desinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung
(BBSR) zwischen 2012 und 2015 von dem Büro
„stadtforschen.de“ durchgeführt. Es standen vor
allem sozial-integrative Aspekte imFokus. Zudem
wurde analysiert, wie Gemeinschaftsgärten funk-
tionieren – wie sie entstehen, wie sie organisiert
sind und wie sie unterstützt werden können.
Dabei wurden sieben Fallstudien erstellt und eine
Fachwerkstatt mit Experten aus Verwaltung, Pra-
xis und Forschung durchgeführt, bei der die kon-
kreten Erfahrungen aus der Innen- und Außensicht
reflektiert wurden.
Gemeinschaftsgärten im Quartier
Gemeinschaftsgärten sind vor allem in Wohn-
gebieten, aber auch in gemischt und gewerblich
genutzten Bereichen zu finden. Ob in Innen-
höfen, zwischen Zeilen- und Reihenbauten, in
Großwohnsiedlungen – sie prägen mittlerweile
das Wohnumfeld in vielen Quartieren. Die Mehr-
heit der Gärten sind Zwischennutzungen mit be-
schränkter zeitlicher Perspektive. Für die Garten-
gemeinschaften ist dies zum Teil problematisch,
weil sie keine Planungssicherheit haben und weil
ein Garten natürlich Zeit braucht, umzuwachsen.
Die Nutzungen sind selten baurechtlich gesichert.
Grundlage sind häufig Nutzungsvereinbarungen
oder privatrechtliche Verträgemit den jeweiligen
Flächeneigentümern.
Die Gemeinschaftsgärten sind unterschiedlich or-
ganisiert. Während einige Gärten als lose Initiative
starten und langfristig als solche agieren, grün-
den andere einen Verein oder begeben sich in die
Trägerschaft eines existierenden Vereins. In den
untersuchten Fallstudien ging die Gründungsiniti-
ative zumeist von Menschen aus, die selber gerne
gärtnern. In anderen Fällen erkannten Gruppen
in den Brachen Möglichkeiten, ihr Lebensumfeld
mit anderen zu gestalten, undmotivierten andere
zum Mitmachen.
Modelle und Mehrwert
Das Spektrum der Akteure, die zur Entstehung
und zum Betrieb der Gärten beitragen, ist viel-
fältig. Neben den Gründern bzw. Initiatoren und
der Gartengemeinschaft der aktiv Gärtnernden
spielen die Flächeneigentümer, kommunale Ver-
treter sowie verschiedene Kooperationspartner
eine wichtige Rolle. Häufig bildet sich die Garten-
gemeinschaft aus Bewohnern des unmittelbaren
Umfelds. Die Gruppen der Gärtner sind abhängig
vomWohnumfeld unterschiedlich zusammenge-
setzt. In den untersuchten Fallstudien waren in
einigen Gärten vor allem Migranten aktiv, in an-
deren Studenten, Freiberufler, Arbeitslose oder
Rentner. Die Gärten regen zur Kommunikation
an. Es kommen Menschen zusammen, die sich an-
sonsten wahrscheinlich nicht begegnet wären.
Wie auch in anderen Studien untersucht, konnte
Juliane Wagner
Projektleiterin
Referat I 4 – Städtebauförderung,
Soziale Stadtentwicklung
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR), Bonn
Was gemeinsam gepflanzt wird,
wird ggf. auch gemeinsam
verkocht – Bewohnergarten in
München
Quelle: Büro stadtforschen.de
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