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            12|2015
          
        
        
          Der öffentliche Raum prägt die Identität einer
        
        
          Stadt. Er gibt ihr – auchwenn sie groß und unüber-
        
        
          schaubar erscheint – einenmenschlichenMaßstab.
        
        
          Öffentliche Räume werden vielseitig genutzt: für
        
        
          Märkte und Muße, Sport und Mobilität, Demonst-
        
        
          rationen, Feste und Darbietungen, Kommunikati-
        
        
          on, Kunst und Konsum. Von der Qualität öffentli-
        
        
          cher Räume profitiert die Öffentlichkeit einer Stadt
        
        
          unmittelbar – Flanieren und Einkaufen genauso
        
        
          wie alltägliche Wege und Begegnungen stehen im
        
        
          unmittelbaren Zusammenhang mit der Schönheit
        
        
          öffentlicher Straßen, Wege und Plätze. Öffentliche
        
        
          und öffentlich zugängliche Gassen, Straßen, Bou-
        
        
          levards, Promenaden, Passagen, Höfe, Anger und
        
        
          Plätze bilden in der Stadt ein vielfältiges, dichtes
        
        
          Netz. Das einzelne Element bekommt seinenWert
        
        
          durch seine stadträumliche Lage und Funktion im
        
        
          Netz, durch denGrad der Verknüpfungmit anderen
        
        
          Elementen. Durch seine Gestaltung vermittelt und
        
        
          fördert der öffentliche Raumein spezifisches Ver-
        
        
          halten. Für seine Gestaltung und die grundlegen-
        
        
          den Spielregeln seiner Nutzung ist in erster Linie
        
        
          die Kommunalpolitik verantwortlich. Oder muss
        
        
          es heißen, „war” sie verantwortlich?
        
        
          
            Privatisierung öffentlicher Räume
          
        
        
          Aufgrund klammer kommunaler Kassen entstehen
        
        
          zunehmend mehr „private” öffentliche Räume.
        
        
          Shoppingcenter und Malls haben es vorgemacht
        
        
          – großräumige Entwicklungen mit Aufenthalts-
        
        
          räumen und Freiflächen als Surrogat öffentlicher
        
        
          Räume. Bei aller Freude der Städte über den ver-
        
        
          meintlich kostengünstigen, privat geschaffenen
        
        
          öffentlichen Raum muss festgehalten werden:
        
        
          Diese Flächen unterliegen i. d. R. einer Hausord-
        
        
          nung und festgeschriebenen Öffnungszeiten. Sie
        
        
          sind letzlich privat und nicht öffentlich. Hier kommt
        
        
          es entscheidend auf dieAusgestaltung der Verträge
        
        
          mit den Trägern dieser Vorhaben an:WelcheMate-
        
        
          rialien findenVerwendung, wie sindÖffnungs- und
        
        
          Durchgangszeiten organisiert, wie wird das Haus-
        
        
          recht ausgeübt? Eigentümerstandortgemeinschaf-
        
        
          ten und Business Improvement Districts machen
        
        
          es nach, die Privatisierung öffentlichen Raums
        
        
          schreitet fort. Bei aller Entlastung der öffentlichen
        
        
          Haushalte durch dieses Instrument: Es bleibt ent-
        
        
          scheidend, dass dieUmgestaltung des öffentlichen
        
        
          Raums ein gesellschaftlich „inklusives“ Konzept
        
        
          verfolgt, niemanden von der Nutzung ausgrenzt
        
        
          und die Nutzerbelange der allgemeinen Öffent-
        
        
          lichkeit und nicht in erster Linie die merkantilen
        
        
          Belange der Anrainer berücksichtigt.
        
        
          Die Gesellschaft nimmt die Privatisierung öffent-
        
        
          licher Räume durchaus wahr und fordert ihre Zu-
        
        
          gänglichkeit undNutzungsoffenheit für jedermann
        
        
          ein. Neben angepassten Steuerungsoptionen führt
        
        
          derWeg daher auch über eine bessere Einbeziehung
        
        
          von Öffentlichkeit bzw. Nutzern des öffentlichen
        
        
          Raums. Viele zivilgesellschaftliche Akteure brin-
        
        
          gen sich in die Gestaltung und Entwicklung der
        
        
          öffentlichen Räume ein. Allerdings kann sich die
        
        
          Wirkung bürgerschaftlichen Engagements auch ins
        
        
          Gegenteil verkehren und ähnlich nachteilige Effek-
        
        
          te nach sich ziehenwie die Privatisierung. Die Inbe-
        
        
          sitznahme öffentlicher Flächen durch Abgrenzun-
        
        
          gen (Gated Communities), „exklusive“ Begrünung
        
        
          (GuerillaGardening) oder Zwischennutzungen, die
        
        
          nur einembegrenztenNutzerkreis zugänglich sind,
        
        
          sind ebensowenig imSinne einer offenenNutzung
        
        
          wie die zuvor angesprochene Privatisierung.
        
        
          
            Königsweg
          
        
        
          Es stellt sich die Frage: Gibt es einen „Königsweg“
        
        
          zwischen der Verantwortung für den öffentlichen
        
        
          Raum bei gleichzeitig unterfinanzierten Kommu-
        
        
          nalhaushalten und den merkantilen Interessen
        
        
          der Projektentwickler, Eigentümer und Gewerbe-
        
        
          mietern sowie dem Engagement und der Erwar-
        
        
          tungshaltung der Öffentlichkeit für ihr Quartier,
        
        
          ihr Stadteilzentrum oder ihre Stadtmitte? Diesen
        
        
          Königsweg, der sich in der Praxiswohl eher alsMit-
        
        
          telweg auftut, gibt es: Nur bedarf es hierfür einer
        
        
          verbesserten Steuerungswirkung der Städte.
        
        
          Wirtschaftlich starke Städte können aufgrund des
        
        
          Nachfragedrucks freie, nicht überdachte Passa-
        
        
          gen und Durchwegungen von Baublöcken ohne
        
        
          Öffnungszeiten durchsetzen. Dies muss künftig
        
        
          verstärkt auch für nachfrageschwächere Standor-
        
        
          temöglich sein. Projektentwicklungenmüssen ein
        
        
          maßgeschneidertes Konzept zur Einbeziehung der
        
        
          Öffentlichkeit liefern, umNutzungsanforderungen
        
        
          und -konkurrenzen identifizieren und beheben zu
        
        
          können. Insgesamt bedarf es einer intensiveren
        
        
          Kommunikation aller Beteiligten in der sog. Pla-
        
        
          nungsphaseNull, der Programmierung von Projek-
        
        
          ten, die Auswirkungen auf den öffentlichen Raum
        
        
          haben oder auf seine Qualität angewiesen sind.
        
        
          
            Diskursiver, partizipativer Prozess
          
        
        
          Hierbei gilt es auch, eine Verständigung darüber zu
        
        
          erreichen, wie dieÖffentlichkeit inPlanung undGe-
        
        
          staltung der öffentlichen Räume einbezogen wer-
        
        
          den soll: durch Information, Mitwirkung, Teilhabe
        
        
          oder eigeneGestaltungsvorschläge und -ideen, die
        
        
          Eingang in eine Entwurfs- undAusführungsplanung
        
        
          finden? Das erfordert eine Verständigung darüber,
        
        
          dass es keineswegs eine Korrelation zwischen der
        
        
          Gestaltungsqualität öffentlicher Räume und dem
        
        
          Grad der Einbeziehung der Öffentlichkeit gibt.
        
        
          Allerdings gibt es genauso wenig einen Automa-
        
        
          tismus, dass die gestalterische Qualität mit dem
        
        
          Grad der Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem
        
        
          Ergebnis einhergehen muss.
        
        
          DieAnforderung an Städte, Finanzierer undNutzer:
        
        
          Der öffentliche Raummuss in diskursiven, partizi-
        
        
          pativen Prozessen gestaltetwerden. Das Ziel sollte
        
        
          gleichermaßen der gestalterische Gewinn und die
        
        
          Nutzungsqualität für Anrainer und Öffentlichkeit
        
        
          sein. So können aus gemeinschaftlich gestalteten
        
        
          öffentlichen Räumen tatsächlich Chancen für die
        
        
          Weiterentwicklung der Stadt bzw. des Quartiers
        
        
          entstehen – für alle Beteiligten und Betroffenen,
        
        
          und ohne den öffentlichen Raum für eine merkan-
        
        
          tile Optimierung preisgeben zu müssen.
        
        
          
            Hilmar von Lojewski
          
        
        
          Beigeordneter
        
        
          Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen,
        
        
          Wohnen und Verkehr
        
        
          Deutscher Städtetag
        
        
          Berlin
        
        
          
            Quelle: Deutscher Städtetag, Foto: David Ausserhofer