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4|2015
errichten: „Für die Bilanz eines Wohnungsunter-
nehmens mit der zu erwartenden langen Standzeit
eines solchen Gebäudes und für eine Genossen-
schaft, die ja nicht auf Weisung einer Kommune
handelt, ist es nicht empfehlenswert.“ Man könne
sich hingegen sehr gut vorstellen, im Namen und
für Rechnung eines Kreises oder einer Kommune
eine Gemeinschaftsunterkunft zu errichten.
Einzelne Wohnungsunternehmen stellen Zuwan-
derern bereits Wohnungen aus ihrem Bestand
zur Verfügung. So bietet die wankendorfer den
kommunalen Verwaltungen an, jede zehnte frei-
werdende Wohnung an eine Flüchtlingsfamilie zu
geben, wenn dieWohnungsteilmärkte ausgelastet
seien. In der Praxis scheitere das jedoch daran,
dass Genossenschaften und Kommunen nicht syn-
chron arbeiteten. Die Genossenschaft vermarktet
eine frei werdendeWohnung sofort nach Eingang
der Kündigung wieder, also drei Monate vor Ende
des Mietverhältnisses. Die Kommune rechnet aber
in Zweiwochen-Rhythmen. Sie bekommt Asylbe-
werberfamilien erst mit einem Vorlauf von zwei
Wochen zugewiesen, kann also eine freiwerdende
Genossenschaftswohnung nur dann in Anspruch
nehmen, wenn genau zu diesem Zeitpunkt eine
Wohnung gekündigt wurde.
Die Lübecker Grundstücks-Gesellschaft „Trave“
mbH vermietete z. B. ein zuvor leerstehendes
Wohnhaus nach moderater Investition (in Höhe
von 200.000 €) an Träger der Flüchtlingsbetreu-
ung in Lübeck. Das Projekt ist auch betriebswirt-
schaftlich sinnvoll, da 12 Wohnungen langfristig
vermietet sind. Mit dem Modell „Probewohnen“
wird der Übergang aus der Gemeinschaftsunter-
kunft ermöglicht. Seit 2013 bis Herbst 2014 stellt
sie 46 Wohnungen dafür bereit. Die Wohnungen
sind über das ganze Stadtgebiet verteilt. Die Er-
„Zuwanderung hat viele Gesichter.
Integration als Herausforderung und
Chance“,
Broschüre VNW, Hamburg 2014.
10. Bericht der Beauftragten der Bun-
desregierung für Migration, Flüchtlinge
und Integration über die Lage der Aus-
länderinnen und Ausländer in Deutsch-
land (Oktober 2014).
Forderungskatalog der mitteldeut-
schen Immobilienverbände zum Thema
Flüchtlinge.
„Refugees welcome. Gemeinsam Will-
kommenskultur gestalten.“
Amadeu-
Antonio-Stiftung gemeinsam mit Pro Asyl.
INFORMATIONEN
fahrungen mit dem Modell seien sehr positiv, so
Trave-Geschäftsführer Dr. Matthias Rasch auf der
VNW-Tagung.
Nur Unterbringung reicht nicht
Doch alleinmit der Bereitstellung vonWohnungen
ist es nicht getan. Wichtig sind eine gute Nachbar-
schaft und Angebote, die die Integration begüns-
tigen. Denn Zuwanderer, insbesondere traumati-
sierte, sind anders als die „gewöhnlichen“ Mieter.
Überlässt man sie sich selbst, besteht die Gefahr,
dass sie vereinsamen oder nur Kontakt zu Landsleu-
ten suchen. Hinzu kommt die Unterschiedlichkeit
der neuen Nachbarn durch deren jeweilige Her-
kunftsländer und -kulturen. Die wankendorfer er-
läutern auf ihrerWebsite z. B. deutlich ihreHaltung
und werben für Verständnis und Toleranz.
Daraus resultieren Aufgaben, die das klassische
Sozialmanagement, das vieleWohnungsunterneh-
men vorhalten, an seine Grenzen bringen kann.
Hier setzt die Integrationsförderung vor Ort durch
auf das Wohnumfeld bezogene Projekte an. Dr.
Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge (BAMF), verweist auf
dieMigrantenorganisationen, die eine zunehmend
wichtige Rolle spielten. Um ihre Partizipation an
der Integrationsarbeit zu unterstützen, fördert das
Bundesamt erstmals Modellprojekte zum Struk-
turaufbau von bundesweit arbeitenden Migran-
tenorganisationen.
Teilhabe
Ein anderes Merkmal ist die Teilhabe. „Wir müssen
Menschenmit Zuwanderungsgeschichte die Chance
auf Teilhabe in allen Lebensbereichen geben und ihre
Fähigkeiten, Qualifikationen und Potenziale aner-
kennen“, fordert Aydan Özoğuz, Staatsministerin
bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bun-
desregierung für Migration, Flüchtlinge und Integra-
tion. „Unverzichtbar für das verständnisvolle Klima
in unserer Gesellschaft und den humanen Umgang
mit Flüchtlingen sind die vielenNachbarschaftsiniti-
ativen, die sich in den letztenMonaten und Jahren in
der direkten Umgebung von Flüchtlingsunterkünf-
ten gegründet haben“, so steht es im 10. Bericht
der Beauftragten der Bundesregierung für Migra-
tion, Flüchtlinge und Integration über die Lage der
Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. „Sie
helfen denMenschen direkt vor Ort, schaffen Begeg-
nungen und helfen dabei, Flüchtlinge in die Nach-
barschaft zu integrieren. Gewerkschaften, Kirchen,
Wohlfahrtsverbände undNGOs leisten hier ebenfalls
unverzichtbare Dienste.“ Sich hier zu vernetzen, ist
auch für Wohnungsunternehmen sinnvoll.
Nur eines geht nicht mehr: die Entwicklung ig-
norieren. In Nürnberg, einer Stadt, die über 40
Jahre Erfahrung beim Thema Integration und in
der interkulturellen Arbeit hat, ist seit 2002 Inte-
grationspolitik unter Oberbürgermeister Dr. Ulrich
Maly „Chefsache“. Integration und interkulturelle
Öffnung zählen zu den wichtigsten Aufgaben der
Stadt Nürnberg. Ziel ist die chancengleiche Teilha-
be aller Bürgerinnen und Bürger am öffentlichen
Leben, an allen Leistungen und Angeboten. Fast
40 % haben einen Migrationshintergrund. Be-
fragt, wie der Oberbürgermeister die Nürnberger
Stadtgesellschaft im Jahr 2050 sieht, wünscht
er: „Menschenmit Migrationshintergrundwerden
hoffentlich in allen gesellschaftlichen Positionen
zu finden sein – sogar in der freiwilligen Feuerwehr
und in den Faschingsgesellschaften.“
Containerunterkunft in Meckelfeld – Foto aus dem Dokumentarfilm „Willkommen auf Deutsch“,
der am Beispiel zweier Gemeinden im Landkreis Harburg Konflikte beschreibt, die bei der Unterbringung
und Betreuung von Asylbewerbern auftreten können
Quelle: www.willkommen-auf-deutsch.de, Foto: Boris Mahlau © Pier53