Controller Magazin 6/2018 - page 84

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Irgendwann ist es in jedem Unternehmen so
weit: Die Welle kommt. Eine neue, spektakuläre
Idee erfasst praktisch alle Mitarbeiter, von der
Unternehmensleitung bis zum Auszubildenden.
Endlich wieder nach vorne, endlich wieder of-
fensiv voranschreiten lautet das Motto des küh-
nen, gewagten, risikoreichen Projekts. Und das
Controlling? Läuft mit, rechnet im stillen Käm-
merlein nach, oder steht beleidigt in der Ecke?
Die Welle kommt
Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit
gekommen ist, stellt der französische Dichter
Victor Hugo fest. Solche Ideen werden in Unter-
nehmen oft in schwierigen Zeiten geboren. Erst
sind einige Wenige überzeugt, dann greift die
Idee immer weiter um sich. Von der Unterneh-
mensspitze bis zum Auszubildenden sind alle
begeistert. Nun geht es voran, endlich, endlich
wieder, oftmals nach Zeiten der Stagnation oder
des Niedergangs, längst enteilte Konkurrenten
könnten eingeholt, aggressive Newcomer in ihre
Grenzen verwiesen werden, unabhängig davon
ob es sich um eine umfangreiche Sachinvestiti-
on oder die Übernahme eines Unternehmens
handelt. Kritik am Projekt wird als Nörgelei, ja
als Verrat gesehen. Selbst wer von dem Projekt
nicht überzeugt ist, wird sich zweimal überle-
gen, Schwachstellen zu thematisieren. Scheitert
das Projekt, war der Betroffene einer von vielen
Begeisterten. Wenn alle dafür waren, bis in die
Unternehmensleitung, hat man sich halt eben-
falls geirrt. Eine Sanktionierung des Betroffe-
nen, bspw. des Controllers, welcher eine allzu
optimistische Planung von Erlösen und Kosten,
technischen Parametern und Zeiträumen durch-
führte oder abnickte ist unwahrscheinlich, da
dann praktisch alle Entscheidungsträger das
Unternehmen verlassen müssten. Um den, der
der Begeisterung widerspricht wird es einsam,
im wortwörtlichen Sinne. Rasch als Nörgler und
Bremser identifiziert, stehen sehr viel mehr be-
geisterte Kollegen bereit, die Aufgabe zu über-
nehmen. Aber selbst die Genugtuung, im Nach-
hinein Recht behalten zu haben, ist wenig ver-
heißungsvoll, werden die anderen Beteiligten
doch schon bei der Ansicht des „wahren Pro-
pheten“ an ihre eigenen Fehler erinnert. Wer
mag sollte einmal auf die Künstlerkarrieren in
der jungen Bundesrepublik schauen und dieje-
nigen, welche Widerstand gegen das Dritte
Reich leisteten, mit den Künstlern vergleichen,
die in der Masse mitschwammen.
Wer sein Vorgehen also mit Bedacht auswählt,
handelt vergleichbar nach dem Motto der
Werktätigen des Sozialismus. Dort sagte man:
„Wir tun so als ob wir arbeiten und ihr tut so als
ob ihr uns bezahlt“. In der hier dargestellten Si-
tuation könnte das Motto des Controllings lau-
ten: Wir tun so als ob wir rechnen und ihr tut
so, als ob euch das Ergebnis interessiert.
Das Controlling entscheidet nicht. Frühere
Konzepte gehen von einer Lotsenfunktion aus.
Was aber wenn der Kapitän, sprich die Unter-
nehmensleitung, schlicht mit voller Fahrt durch
die Untiefe fahren möchte und die Warnungen
des Lotsen einfach ignoriert? Auch mit der Si-
cherung der Realität ist es in einer solchen Si-
tuation nicht weit her. Schmerzlich wird ein
Controller spätestens jetzt erfahren, dass „Re-
alität“ keine quantitative Größe, sondern offen
für Interpretation und Bewertung ist.
Ein entsprechendes Großprojekt ist immer mit
erheblichen Chancen und Risiken verbunden.
Bestände diese Konstellation nicht, wäre die
Entscheidung längst gefallen und ohne Wider-
stände umgesetzt worden. Dabei handelt es
sich um große Investitionen, häufig an neuen
Standorten, um den Kauf anderer Unternehmen
bzw. den Verkauf einzelner Unternehmensteile.
Schlicht die dargestellte Entwicklung achselzu-
ckend zur Kenntnis und das zu liefern, was er-
wartet wird, wird jedoch nicht dem eigenen
Anspruch des Controllings gerecht.
Vor dem Einzelfall
Um das Bild von der Welle aufrecht zu halten:
der Schutz des Ufers kann nur von langer Hand
durchgeführt werden, rollt die Welle einmal an,
ist es dazu zu spät.
Die perfekte Welle
Wie man als Controller am besten auf ihr surft
von Susanne Schneider
Die perfekte Welle
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