CONTROLLER Magazin 1/2017 - page 9

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Entwicklung einen umfassenden Denk- und
Kommunikationsprozess über die Zukunft, der
sich über Monate hinzieht und viele Verant-
wortliche einer Organisation einbindet. Dies
stärkt sicherlich das strategische Denken und
die Kraft der gemeinsamen Ausrichtung, doch
auch hier kann man den Aufwand sicher
übertreiben.
Biel:
Wie kann man trotz dieser Vielfalt, Unter-
schiedlichkeit und Komplexität eine Aussage
zum Aufwand treffen?
Horváth/Greiner:
Wir sehen es so: Der Auf-
wand für die Erstellung der Balanced Score-
card – sie kommt nun mal mit einem Preis-
schild –
muss mit dem Bedarf an strate-
gischer Ausrichtung kalibriert werden
.
Wenn eine grundsätzliche Überarbeitung der
Strategie ansteht, sollte auch umfassend in die
Erstellung und Nutzung der BSC investiert wer-
den. Da sollte man nicht sparen. Wenn die
strategische Ausrichtung dagegen klar ist und
lediglich die Steuerung optimiert werden soll,
so kann man sich auf die bessere Strukturie-
rung und Nutzbarmachung des Bestehenden
fokussieren. Dies ist dann natürlich weniger
aufwendig. Notabene: Aufwendig wird es,
wenn die BSC in IT-Systeme gegossen wird.
Aber dies gilt ja nicht nur für die BSC, sondern
für jegliche Integration von Steuerungssyste-
men in entsprechende IT-Tools. In unserer di-
gitalen Zeit kommt man daran aber kaum
noch vorbei.
Biel:
Nun kann man ein betriebswirtschaft-
liches Konzept unter dem Aspekt „betriebs-
wirtschaftlich richtig, theoretisch gut“ beur-
teilen. Aber eben auch nach der Frage der
Brauchbarkeit und Tauglichkeit für die Unter-
nehmenspraxis, also unter den Aspekten der
Akzeptanz, Verständlichkeit und der prakti-
schen Anwendbarkeit. Bei den wertorientie-
ren Kennzahlen sehen wir z. B., dass sich
nicht immer die „betriebswirtschaftlich bes-
ten Kennzahlen“ halten lassen (siehe auch In-
terview „Unternehmenssteuerung mit Kenn-
zahlen – eine „Dauerbaustelle?“ im CM
6/16). Wie ordnen Sie bitte die BSC bezüglich
der Dimensionen „Theoretisch richtig und
praktisch geeignet“ ein?
lich operationalisiertes Zielsystem ist eine ge-
meinsame Ausrichtung schwer vorstellbar.
Biel:
Möchten Sie wegen der Bedeutung dieser
Aussage die Vorteile der BSC noch einmal her-
vorheben?
Horváth/Greiner:
Vor diesem Hintergrund sind
die Vorteile
·
eine Strukturierung der Strategie und
·
eine Operationalisierung der Strategie.
Auf dieser Grundlage können
strategische
Steuerungssysteme
kalibriert und die Umset-
zung gesteuert werden.
Biel:
Noch einmal zu empirischen Nachweisen …
Horváth/Greiner:
Empirische Studien zur Nut-
zung der Balanced Scorecard gibt es viele. Da
die
tatsächlichen Erscheinungsformen und
Bezeichnungen der Balanced Scorecard
aber so vielfältig sind
, ist die Auslegung die-
ser Studien schwierig. Für uns gibt es aber ei-
nen wesentlichen empirischen Beweis für die
Bedeutung des Ansatzes auch 25 Jahre nach
seiner Entwicklung: dass das Interesse weiter
ungebrochen ist – siehe auch dieses Interview.
Biel:
Und welcher Einmalaufwand, welcher lau-
fende Aufwand und welche organisatorischen
und mentalen Umstellungen stehen diesem
Nutzen gegenüber?
Horváth/Greiner:
Wenn man die Balanced
Scorecard als Ansatz der integrierten Strate-
giearbeit sieht – was wir machen – dann ist der
Aufwand eingebettet in den Gesamtauf-
wand der Strategieentwicklung und -steu-
erung
. Führungskräfte nehmen sich für diese
strategische Aufgabe unterschiedlich viel
Zeit. Entsprechend gibt es nicht „den“ Auf-
wand für die Balanced Scorecard.
Biel:
Was beobachten Sie hierzu in der Unter-
nehmenspraxis?
Horváth/Greiner:
Wir kennen Führungskräf-
te, die ihre Balanced Scorecard an einem
Vormittag runterschreiben – sich dann aber
wundern, warum diese von den Kollegen nicht
akzeptiert wird und warum bei kritischer Ana-
lyse so viele Schwachstellen sichtbar werden.
Andere machen aus der Balanced-Scorecard-
kation von Vision, Mission, Grundprinzipien und
Werten, die strategische Planung, die Ausge-
staltung des Geschäftsmodells, die Auslegung
der Anreizsysteme, umfassendere Berichte,
Auslegung von Führungsagenden, usw.
Biel:
Die anfängliche BSC-Euphorie ist ver-
flogen. Theorie und Praxis sind in der BSC-
Realität angekommen. Sie haben einen guten
Überblick als Wissenschaftler, Berater etc. Wo
ist die BSC nach 25 Jahren angekommen?
Horváth/Greiner:
Viele „Fans“ der Balanced
Scorecard – auch wir – haben die Balanced
Scorecard anfangs zu sehr zur „eierlegenden
Wollmilchsau“ gemacht, das wird ihr nicht ge-
recht. Nüchtern betrachtet, ist die Balanced
Scorecard zunächst ein
Strukturierungsrah-
men
für strategische Ziele, Kennzahlen, Ziel-
werte und zugeordnete strategische Projekte
– verbunden mit einem von verschiedenen
Autoren und Praktikern sehr unterschiedlich
ausgelegten Regelwerk, wie diese Felder zu
befüllen und zu nutzen sind.
Biel:
Dies klingt nach „Systemzwang“?
Horváth/Greiner:
Ja, es ist genau dieser
„Zwang“ zur Festlegung von wesentlichen,
langfristigen, multidimensionalen Zielen, Kenn-
zahlen und Projekten, der den Ansatz weiterhin
so wertvoll macht. Ohne diese Komponenten
ist eine ausgewogene, fokussiert strategische
Steuerung unseres Erachtens nicht zweckmä-
ßig realisierbar. Insofern
steht die Balanced
Scorecard, richtig eingesetzt, im Mittel-
punkt eines strategischen Management-
und Steuerungssystems
, ohne gleich die
„Hoheit“ aller Komponenten eines solchen
Systems an sich reißen zu wollen.
Biel:
Lässt sich dieser Nutzen, über den wir
hier diskutieren, auch empirisch belegen?
Horváth/Greiner:
Kaplan/Norton haben den
Kernnutzen der Balanced Scorecard schon früh
erkannt und formuliert:
From Strategy into
Action.
Das bleibt der wesentliche Nutzen des
Ansatzes: dass er die Umsetzungskraft von Un-
ternehmen stärkt. Ziele und dazugehörige Pro-
jekte sind der wesentliche Baustein, damit klar
wird, an was in welcher Intensität gearbeitet
werden soll. Ohne ein abgestimmtes, verständ-
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