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05/17 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Jobfamilien zu identifizieren und seine
Entwicklung fortzuschreiben: Wie viele
Mitarbeiter haben wir heute in welchen
Bereichen und wie entwickeln sie sich
in den nächsten Jahren – eine lineare
Fortschreibung. Diese Zahlen bilden die
Grundlagen für die Ermittlung der Ab-
weichungen zwischen künftigem Bedarf
und künftigem Bestand und somit für
die in Baustein 4 folgende Gap-Analyse.
In diesem Baustein ist ausschließlich
die Personalabteilung involviert. In der
Regel liegt der Ist-Zustand bereits vor,
sodass die Fortschreibung erarbeitet
werden muss. Die Zahl der anstehenden
Verrentungen lässt sich verhältnismäßig
einfach erheben, während die Fluktuation
und weitere Austrittsgründe weniger si-
cher vorauszusehen sind. Dafür kann und
muss man sich auf Erfahrungswerte der
vergangenen drei Jahre stützen, bereinigt
um Sondereffekte wie Krisenjahre. Für die
Zwecke der agilen strategischen Personal-
planung ist es vollkommen ausreichend,
hier mit Richtwerten zu arbeiten. Zu ach-
ten ist auf eine saubere Definition der Pa-
rameter: So liegt das Renteneintrittsalter
in der Produktion in der Praxis häufig
deutlich unter dem gesetzlichen, anders
als beispielsweise in der Entwicklung.
Baustein 4: Gap-Analyse und Report
Was in Baustein 1 bereits im Groben
mit der Bedarfsermittlung geleistet wur-
de, wird in Baustein 4 im Detail aufge-
zeichnet. Es ist die Zusammenführung
von Personalbedarf und -bestand, aus
der ein Delta entsteht. So wird entlang
der Kompetenzcluster (Jobfamilien),
Lokationen oder Unternehmensberei-
che Transparenz zu Über- und Unter-
deckungen geliefert. Dafür werden die
Daten aus der Bestandsanalyse und de-
ren Fortschreibung sowie die Daten aus
der Bedarfsanalyse zusammengeführt.
Daraus entwickeln wir eine sogenann-
te „Heatmap“: Sie signalisiert nach der
Ampel-Logik die Bereiche mit Hand-
lungsbedarf. Rot bedeutet eine Über
deckung (zu viele Mitarbeiter) oder eine
Unterdeckung (zu wenig Mitarbeiter).
Während im ersten Workshop vorran-
gig die Bedarfstreiber und die betroffenen
Jobfamilien identifiziert und im zweiten
Workshop das jeweilige Ausmaß erarbei-
tet werden, geht es im dritten Workshop
um die Verdichtung dieser Szenarien, die
dann zu dieser Heatmap führt.
Baustein 5: Maßnahmenportfolio
Das Ziel von Baustein 5: Ein Maßnah-
menportfolio entwickeln, um die aus der
Gap-Analyse erwachsenen Über- oder
Unterdeckungen zu schließen. Hier liegt
die Initiative eindeutig bei der Personal-
abteilung. Die Geschäftsbereiche agie-
ren ausschließlich als „Sounding Board“
für deren Vorschläge. Diese Art der Ein-
bindung der Geschäftsbereiche ist aller-
dings dringend zu empfehlen, damit der
Prozess auch weiterhin als gemeinsa-
mes Projekt wahrgenommen wird.
In der Regel adressiert ein Maßnah-
menset unterschiedliche Situationen,
so sind in einem Kompetenzcluster
Überdeckungen in den nächsten Jahren
durch Transfers, zum Beispiel in Form
von Querqualifizierung, zu leisten, in
einem anderen Bereich und eventuell
über mehrere Kompetenzcluster hinweg
Unterdeckungen durch neue Rekrutie-
rungswege zu schließen oder „Buy or
Borrow“-Szenarien durchzuspielen.
Baustein 6: Verankerung
Nun folgt noch Baustein 6: Wo sich Pro-
zesse aus der agilen strategischen Per-
sonalplanung in Pilotprojekten bewährt
haben, werden sie in die Regelplanung
integriert, um auch für weitere Projekte
und Geschäftsbereiche angewendet wer-
den zu können.
Zu Beginn dieses Bausteins ist zu klä-
ren, wo der Schwerpunkt des Einsatzes
liegt: Werden primär Ad-hoc-Planungen
gebraucht? Oder ist es wichtiger, dass die
Daten in die jährlichen Planungsprozesse
des Unternehmens einfließen können?
Anhand dieser Einordnung ist zu klä-
ren, wer der Prozessinhaber für diesen
Schritt sein sollte: klassischerweise HR
oder der Bereich der strategischen Pla-
nung. Wichtig: Dem Geschäftsbereich
gegenüber bleibt die Personalabteilung
Ansprech- und Sparringspartner.
Mehr Mut zur Lücke
Insgesamt hat die agile strategische Per-
sonalplanung viele Vorteile: HR ist nah
am Geschäft und kann Vorurteile gegen-
über der Personalabteilung aus den Fach-
bereichen abbauen. Auch ist der Prozess
schneller und der Aufwand reduziert.
Doch es gibt natürlich auch Hindernis-
se, die überwunden werden müssen: Ein
Hindernis ist – so absurd es klingen mag
– die Einfachheit des Vorgehens. Es wi-
derstrebt gerade der Freude an der detail-
lierten Planung bis ins Letzte. Manchem
Vorstand bereitet es ein ungutes Gefühl,
nicht jederzeit auf die Zahlen einer voll-
umfänglichen Planung zurückgreifen zu
können. Keine Frage, agile strategische
Personalplanung erfordert Mut zur Lü-
cke. Es gilt, ein klares Bekenntnis abzu-
legen, dass die Zahlen, die generiert wer-
den, Trendaussagen sind. Sie haben eine
Halbwertzeit von vielleicht zwei bis drei
Jahren. Dann sieht in vielen Branchen die
Welt wieder anders aus. Aber dann gibt
es diesen sehr schlanken Planungsansatz
für eine erneute Planung – und innerhalb
von zwei Wochen gibt es Daten dazu. Das
hat früher ein Viertel- oder halbes Jahr
gedauert. Der Mut zur Lücke ist also un-
erlässlich, um die nötige Geschwindigkeit
zu erlangen.
BENEDIKT VON KETTLER
ist Managing Partner der
strategischen HR-Beratung
Human.
Unter dem Titel
„Strategische Perso-
nalplanung“ hat Autor
Benedikt von Kettler
ein Praxishandbuch
herausgegeben, in dem
die agile strategische
Personalplanung ausführlich und anhand
von Praxisbeispielen erläutert wird.
Benedikt von Kettler: „Strategische Personal
planung“, 2017, Schäffer-Poeschel, 49,95 Euro
BUCHTIPP