personalmagazin 1/2016 - page 65

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verpflichtung bei der Vergabe von Werk-
oder Dienstleistungen. Letztlich läuft es
auf die Frage hinaus, ob Unternehmen
bei jeder Auftragsvergabe für die Min-
destlohnverpflichtungen des beauftrag-
ten Unternehmens einstehen müssen
oder nur dann, wenn es sich um die Auf-
tragsweitergabe eines eigenen Auftrags
handelt, darüber schweigt sich das Min-
destlohngesetz jedoch aus.
Mit einer Klarstellung könnte die
Ministerin hier einen Auslegungsstreit
vermeiden. Nahles sieht jedoch keinen
Handlungsbedarf für eine Gesetzesän-
derung, sodass die Auslegungsfrage
letztlich erst vom Bundesarbeitsgericht
endgültig entschieden werden dürfte.
Kritik aus der Fachwelt
Wenn unstreitige Unzulänglichkeiten
eines Gesetzes hemdsärmelig durch die
Rechtsmeinung einer Ministerin vom
Tisch gewischt werden, ist das aus rechts-
staatlicher Sicht bedenklich. Das kriti-
sierte etwa der Professor für Arbeitsrecht
an der Universität Bonn, Gregor Thüsing,
in einer juristischen Fachzeitschrift am
Beispiel der Ehrenamtsproblematik.
Die Erklärung der Ministerin zur ar-
beitsrechtlichen Einordnung von Ama-
teurfußballspielern hatte diese nämlich
mit der Feststellung garniert, dass so
„Rechtssicherheit für die Vereine“ ge-
schaffen wurde. Ein Grund für Thüsing,
auf mehr Rechtsstaatlichkeit zu pochen.
„Das Vorgehen ist der unkeusche Ver-
such, ein Gesetz nach Erlass zu korri-
gieren, vorbei am Erfordernis einer
Gesetzesänderung“, bewertete Thüsing
das Vorgehen von Andrea Nahles. Die
(rhetorische) Frage nach dem Rechtscha-
rakter einer Minister-Erklärung beant-
wortete der Professor süffisant mit der
Erkenntnis: „Worte der Ministerin sind
eben keine Rechtsquelle.“
dringend per Gesetzesänderung klären.
Erst als Sportvereine rebellierten, mel-
dete sich Andrea Nahles zu Wort. Statt
den Weg einer Gesetzesänderung zu be-
schreiten, erteilte sie dem Amateursport
die ministerielle Absolution, man wolle
diesen nicht mit Mindestlohnvorschrif-
ten behindern. Allerdings nur, soweit
der Amateursportler alleine über einen
Minijob abgerechnet würde. Man müsse
im Einzelfall „nur“ bei gemischten Tätig-
keiten unterscheiden, welche Leistungen
Bestandteil eines Arbeitsverhältnisses
und welche ehrenamtlich sind.
Dass die Arbeitsministerin damit wie-
der bei der eigentlichen Schwierigkeit
– nämlich der fehlenden Begriffserklä-
rung im Gesetz selbst – war, bemerkte
sie zwar, schob das Problem aber ele-
gant aus ihrem Verantwortungsbereich
in Richtung Justizministerium ab. Dieses
müsse erst mal eine Definition der eh-
renamtlichen Tätigkeit in das Bürgerli-
che Gesetzbuch vornehmen.
Kritik 3: Die Drittunternehmerhaftung
Ebenfalls von Beginn an klärungsbe-
dürftig war die vorgesehene Haftungs-
THOMAS MUSCHIOL
ist Rechtsanwalt
mit Schwerpunkt im Arbeits- und Sozialver-
sicherungsrecht.
„Die Wor-
te einer
Ministerin
sind eben
keine Rechtsquelle.“
Prof. Dr. Gregor Thüsing, Universität Bonn
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