personalmagazin 1/2016 - page 75

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Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Das Interview führte
Katharina Schmitt.
sodass die Leiharbeitnehmer nach 18
Monaten ausgetauscht werden können.
Stimmen Sie dieser Kritik zu?
Bauer:
Nein. Es ist gut so, dass wenigs-
tens insoweit der Entwurf nicht über die
Vorgaben des Koalitionsvertrags hin-
ausgeht. Würde die Forderung des DGB
erfüllt, käme es zu zusätzlicher Rechts-
unsicherheit, weil schon fraglich ist, was
unter dem Begriff des Arbeitsplatzes zu
verstehen ist. Arbeitsplätze verändern
sich fortlaufend mehr oder weniger. Im
Übrigen kommt der Leiharbeit ebenso
wie den sachgrundlosen Befristungen
nach dem Teilzeit- und Befristungsge-
setz eine gewisse Ventilfunktion vor
dem Hintergrund des strengen deut-
schen allgemeinen Kündigungsschut-
zes zu. Ein gewisses Maß an Flexibilität
beim Personaleinsatz muss den Unter-
nehmen gewährleistet werden.
personalmagazin:
Frau Nahles will auch
Leiharbeiter als Streikbrecher verbieten.
Bauer:
Das schießt weit über das Ziel hin-
aus. Ein Arbeitgeber, dessen Betrieb von
streikwilligen Arbeitnehmern bestreikt
wird, könnte zwar versuchen, seine
Produktion mit arbeitswilligen Beschäf-
tigten der Stammbelegschaft aufrecht-
zuerhalten, müsste dagegen aber Leih-
arbeitnehmern den Zugang zum Betrieb
verweigern. Eine solche Regelung lässt
sich kaum mit Artikel 9 Absatz 3 des
Grundgesetzes vereinbaren. Die Folge
wäre weiter, dass der Verleiher auf den
Personalkosten sitzen bliebe. Kommt es
zu der vorgesehenen Regelung, würde es
mich nicht wundern, wenn danach der
DGB an den Gesetzgeber mit der weiteren
Zumutung herantritt, bei jedem rechtmä-
ßigen Arbeitskampf auch den Einsatz
arbeitswilliger Stammarbeitnehmer zu
verbieten. Dann könnte sich kein Arbeit-
gebermehr gegenArbeitskämpfewehren.
personalmagazin
: Zur Abgrenzung miss-
bräuchlicher Dienst- und Werkverträge zu
Arbeitsverträgen enthält der Entwurf den
neuen § 611a BGB. Wie sehen Sie den
darin vorgeschlagenen Kriterienkatalog?
Bauer:
Maßgeblich zur Abgrenzung soll
unter anderem sein, ob jemand frei seine
Arbeitszeit gestalten oder den Arbeitsort
bestimmen kann, oder auch, ob er „die
geschuldete Leistung überwiegend in
Räumen eines anderen“ erbringt. Diese
Maßstäbe sind praxisfern und entspre-
chen nicht der modernen Spezialisierung
von Unternehmen. Eine große Zahl von
Dienst- und Werkverträgen, die heute un-
streitig und rechtlich zulässig von selbst-
ständigen Unternehmen, zum Beispiel in
der IT-Branche, im Bewachungsgewerbe,
von Logistik- und Ingenieurunternehmen
durchgeführt werden, würden dadurch
problematisiert. Es käme zu neuen Hür-
den für die arbeitsteilige Wirtschaft.
Auch sollte allgemein bekannt sein, dass
sich Deutschland – wie viele andere In-
dustrienationen – auf dem Weg in die di-
gitale Arbeitswelt befindet. Die Rahmen-
bedingungen für diese digitale Arbeit
der Zukunft, die sogenannte Arbeit 4.0,
würden durch die beabsichtigten Neure-
gelungen massiv beeinträchtigt. Ich bin
zuversichtlich, dass die Bundeskanzlerin
als erklärte Hüterin des Koalitionsvertra-
ges wenigstens diesen Teil des Reformpa-
kets stoppen wird.
personalmagazin:
Der DGB fordert für die
Vergabe von Werkverträgen echte Mitbe-
stimmungsrechte des Betriebsrats.
Bauer:
Solche echten Mitbestimmungs-
rechte sieht der Entwurf Gott sei Dank
nicht vor. Vorgesehen ist vielmehr nur
eine Konkretisierung schon bestehen-
der Mitbestimmungsrechte nach § 80
BetrVG. Der Gesetzgeber ist dringend
aufgerufen, dem Druck der Gewerkschaf-
ten nach echten Mitbestimmungsrechten
nicht nachzugeben. Käme der Gesetzge-
ber auf den Gedanken, die Vergabe von
Dienst- und Werkverträgen an die Zu-
stimmung des Betriebsrats zu knüpfen,
wäre dies verfassungswidrig. Jedem Un-
ternehmen steht es nach Artikel 12 und
14 des Grundgesetzes frei, seinen Betrieb
nach seinen Vorstellungen zu struktu-
rieren und zu bestimmen, was es produ-
zieren oder vertreiben will. Das gilt aber
auch für die von der IG Metall immer wie-
der angeführten Wertschöpfungsketten.
Wenn ein Metall-Unternehmen sich aus
welchen Gründen auch immer dafür ent-
scheidet, bestimmte Dinge nicht selber
herzustellen, sondern sich zuliefern zu
lassen, ist das sein ureigenes Recht. Die
Fremdvergabe solcher Leistungen kann
und darf kein Thema der Betriebsratszu-
stimmung sein.
personalmagazin:
Ein Letztes: Ministerin
Nahles spricht von „ordentlichen“ und
„unordentlichen“ Werkverträgen. Können
Sie das nachvollziehen?
Bauer:
Nein. Frau Nahles geht insoweit
den Gewerkschaften auf den Leim. Wie
schon gesagt, will insbesondere die IG
Metall verstärkten Einfluss bei den
Unternehmen der Wertschöpfungs-
ketten haben. Alles was dem zuwider
läuft, wird völlig zu Unrecht als „Miss-
brauch“ von Werkverträgen gegeißelt.
Von Missbrauch kann allenfalls dann
gesprochen werden, wenn Arbeitneh-
mer eines Werkvertragsunternehmens
nachhaltig in die Arbeitsorganisation
des Auftraggebers eingegliedert werden
und die Arbeit nach den Weisungen des
dortigen Führungspersonals erbracht
werden muss. Um solche Missbräuche
zu verhindern, bedarf es jedoch keiner
neuen Regelungen. Das vorhandene In-
strumentarium reicht völlig.
„Die Rahmenbedingun-
gen für die digitale Ar-
beitswelt würden durch
die beabsichtigten Neu-
regelungen mit ihren
praxisfernen Kriterien
massiv beeinträchtigt.“
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