messen und kongresse
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wirtschaft + weiterbildung
09_2018
Innovationen in der Hierarchie aufzu-
steigen. Wie es zur VUCA-Welt kam, ist
für Hüther vor diesem Hintergrund sehr
klar: „Wenn wir 10.000 Jahre auf der Welt
einen Motor laufen haben, der immer
wieder Innovationen belohnt, dann hat
das zur Folge, dass die Welt immer kom-
plexer wird.“ Und jetzt seien wir in einer
komplexen Welt angekommen, in der
hierarchische Strukturen nicht mehr als
strukturierendes Prinzip taugten. „Eine
hierarchische Ordnung ist nicht flexibel
genug für eine sich immer schneller än-
dernde Welt“, so Hüther. „Deshalb müs-
sen die Hierarchien weg – da können wir
machen, was wir wollen!“
„Ich muss sie alleine lassen
mit dieser Frage.“
Als Ersatz für die Hierarchie brauche man
etwas anderes, das auch „strukturierend“
wirke. Hüther forderte, man brauche jetzt
„ein Anliegen“. Man müsse etwas haben,
wofür es sich zu leben lohnt – als Einzel-
ner und gemeinsam mit anderen. „Man
braucht jetzt einen inneren Kompass, der
einem beim Menschsein hilft und der
auch hilft, das Zusammenleben zu gestal-
ten.“ Wenn man dann diesen Kompass
hätte, seien hierarchische Ordnungsstruk-
turen überflüssig. Während sich im Pub-
likum langsam Ratlosigkeit breitmachte,
fuhr der Göttinger Hirnforscher fort: „Wie
heißen diese inneren Ordnungsstrukturen
nun, die wir Menschen entwickeln müs-
sen, damit wir endlich die in uns angeleg-
ten Potenziale gemeinsam entfalten kön-
nen?“ Nach einer Pause fügte er hinzu:
„Da muss ich sie einfach alleine lassen
mit dieser Frage. Die kann nur jeder für
sich beantworten.“
Immerhin verriet Hüther seinen ganz
persönlichen inneren Kompass: „Ich ver-
suche, mir meine Würde zu bewahren!“.
Wenn man sich seiner eigenen Würde
bewusst sei, bietet man sich nicht mehr
anderen als Objekt an und man mache
andere nicht zum Objekt. Würdevolle
Menschen erlebten sich aus sich selbst
heraus als wertvoll und bedeutsam. Sie
brauchten weder andere, die sie und ihre
Besitztümer bewunderten, noch brauch-
ten sie Macht, Einfluss, Reichtum oder
irgendwelche Statussymbole, Stellungen
oder Positionen, um sich als wertvoll und
bedeutsam zu erleben.
Gegen Ende seines Vortrags wollte Hüther
seinen Zuhörern noch einen Denkanstoß
mit auf den Weg geben: „Ich habe beob-
achtet, dass immer dann, wenn ein Team
oder eine Gemeinschaft in der Lage ist,
ein gemeinsames Anliegen zu formulie-
ren, sie damit aufhören, sich gegenseitig
zu Objekten zu machen. Das hängt wohl
damit zusammen, dass man das gemein-
same Anliegen nur erreichen kann, wenn
die anderen dabeibleiben.“ Hüther sprach
absichtlich von einem „Anliegen“ und
nicht von einem „Ziel“, denn wer „nur“
ein Ziel verfolge, neige zum gegenseitigen
Ausnutzen und trenne sich auch wieder
schnell, wenn es erreicht sei. „Zielorien-
tierte Gemeinschaftsprozesse sind ziem-
lich blöd“, so Hüther, der im Übrigen
auch das Wort Vision in diesem Zusam-
menhang ablehnte. „Der Begriff Vision ist
zu schwammig und zu beliebig auszule-
gen, sodass eine Vision auch keine Ord-
nung im System herstellen kann.“ Ein ge-
Jeder Mensch, der zur Welt kommt,
bringt nach Überzeugung des Neurobio-
logen Gerald Hüther zwei grundlegende
Bedürfnisse mit – einerseits den Wunsch
nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe
und andererseits ein Streben nach auto-
nomem Handeln. Weder das eine noch
das andere Grundbedürfnis werden im
heutigen Arbeitsleben befriedigt. Den
Menschen werde in der Regel nicht das
Gefühl gegeben, das sie dazugehörten
und sie bekämen auch keine Autonomie,
um sich als Gestalter von irgendwas zu
erleben. „Der Mensch wird zum Objekt
von Maßnahmen, von Erwartungen, von
Zielvorgaben, von Bewertungen und von
Anordnungen gemacht“, klagte Hüther in
seiner Keynote „Wie entfalten wir erfolg-
reich Potenziale?“ auf dem „Personalma-
nagementkongress 2018“, der vom Bun-
desverband der Personalmanager (BPM)
in Berlin veranstaltet wurde. Der BPM gilt
mit über 4.000 Mitgliedern als die füh-
rende berufsständische Vereinigung für
Personalmanager in Deutschland.
In der Frühgeschichte der Menschheit
habe es durchaus Sinn gemacht, andere
zum Objekt seiner Interessen zu machen,
denn um eine größere Gruppe von Stein-
zeitmenschen zusammenzuhalten, war
eine hierarchische Organisationsform
nötig. Und Hierarchie bedeute nun ein-
mal, dass die Unteren zu den Objekten
der Oberen würden. „Denen da unten
wurde gesagt, was sie zu tun haben und
so haben wir ja auch einigermaßen gut
überlebt“, referierte Hüther. Seit rund
10.000 Jahren sei nun aber der „Neben-
effekt“ zu beobachten, dass die Unteren
sich anstrengten, durch Leistung und
„Die Hierarchien werden
verschwinden“
BPM-KONGRESS.
Der „Personalmanagementkongress 2018“ des Bundesverbands der
Personalmanager (BPM) im Juli in Berlin behauptete sich in diesem Jahr als größtes
Branchentreffen für HR-Fachleute. Viele interaktive Workshops zeigten, dass Personaler
die digitale Transformation in ihren Unternehmen aktiv gestalten wollen. Höhepunkt war
der Auftritt des Hirnforschers Gerald Hüther, der ein Ende der Hierarchien voraussagte.