fachliteratur
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wirtschaft + weiterbildung
09_2018
Als junger Organisationspsychologe wurde Schein
im Jahr 1966 von der damals sehr bedeutenden
US-Computerfirma Digital Equipment Corporation
(DEC) engagiert. Er sollte Vorschläge machen, wie
die Kommunikation zwischen den Topmanagern zu
verbessern sei. Schein blieb als Berater bis zum Jahr
1992. Im Jahr 1998 war DEC so gut wie bankrott und
wurde in letzter Sekunde von einem Konkurrenten
aufgekauft. Schein erarbeitete seine Erlebnisse bei
DEC in Form einer brillanten Analyse. Hier kann
jeder im Detail nachlesen, wie eine statische Unter-
nehmenskultur, die sich jedem Changeprozess wi-
dersetzt, direkt in die Pleite führt. Kurz gesagt: Die
einzelnen „Fürstentümer“ innerhalb der DEC-Or-
ganisation waren seit Jahrzehnten so autonom und
letztlich selbstherrlich geworden, dass alle Verände-
rungen abgelehnt wurden, die für das wirtschaftliche
Überleben des Ganzen nötig gewesen wären.
Schein hat als Schüler von zum Beispiel Douglas
McGregor so grundlegende Konzepte wie Organi-
sationskultur, Prozessberatung und Karriere-Anker
„erfunden“. Er gilt zu Recht als Mitbegründer der
Organisationsentwicklung. Seine Konzepte hat er
in jahrzehntelanger Arbeit durch die Beobachtung
namhafter Kundensysteme entwickelt – nicht nur
mit Digital Equipment (das Konzept der Organisati-
onskultur und Prozessberatung), sondern auch mit
Ciba-Geigy (das Konzept des Karriereankers) und mit
dem Stadtstaat Singapur (das Konzept des Unterneh-
mertums in Organisationen). Alle drei Beispiele wer-
den in seinem aktuellen Buch „Organisationskultur“
ausführlich beschrieben und dienen als Hintergrund
für wichtige und vor allem für zeitlose theoretische
Ableitungen.
Um das Thema „Unternehmenskultur“ gut nachvoll-
ziehbar zu machen, liefert Schein klare Definitionen
und ausgesprochen nützliche Werkzeuge, um eine
Kultur zu analysieren. Jeder Ansatz und jedes Tool
wird bis in die Details ausgefaltet und gut begrün-
det. Das gilt zum Beispiel auch für die „Kulturdyna-
miken“ von Wachstum, Reife und Verfall eines Un-
ternehmens. Außerdem liefert Schein ein Modell, um
nötige Kulturveränderungen voranzutreiben. Was
nicht weiter verwundern dürfte: Er plädiert für einen
„lernenden“ Change Leader. Und so landet das Buch
zum Schluss bei der Kultur des „lernenden Unter-
nehmens“ und der Rolle des Chefs als einen vorbild-
lich „Lernenden“.
Edgar H. Schein
ist Professor Emeritus an der MIT
Sloan School of Management. Er
gilt als einer der weltweit renom-
miertesten Experten auf dem
Gebiet der Organisationskultur und als einer der Mitbe-
gründer der Organisationspsychologie und der Organi-
sationsentwicklung. Neben diesem Buch zählen weiter
Bücher wie „Humble Consulting“, „Humble Inquiry“
und „Helping“ zu seinen populärsten und gleichzeitig
anspruchsvollsten Werken.
AUTOR
Wachstum, Reife, Verfall
STANDARDWERK ZUR UNTERNEHMENSKULTUR
Edgar H. Schein und Peter Schein:
Organisationskultur und Leadership,
5. Auflage, Verlag Franz Vahlen, München 2018,
303 Seiten, 39,80 Euro
Foto: MIT