Wirtschaft- und Weiterbildung 9/2018 - page 55

wirtschaft + weiterbildung
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meinsames Anliegen sei dagegen etwas,
was jedem am Herzen liege, was keiner
ohne die anderen verwirklichen könne.
Seine Botschaft fasste Hüther so zusam-
men: Solange sich Menschen zu Objekten
ihrer Ziele machten, sei die Entfaltung der
in diesen Menschen angelegten Potenzi-
ale unmöglich. Sobald aber Menschen
anfingen, sich als Subjekte zu begegnen,
sich wirklich aufeinander einzulassen,
sei die Entfaltung der in diesen Menschen
und den betreffenden Gemeinschaften
angelegten Potenziale so gut wie unver-
meidbar.
Potenzialentfaltung sei der normale Pro-
zess des Lebens und die Personalentwick-
lung habe als „Ermöglicher“ die Aufgabe,
die Blockaden, die während des Entfal-
tungsprozesses auftauchten, aus dem
Weg zu räumen. Konkret wurde Hüther
gefragt, wie das Bewerbungsverfahren
in der „neuen Potenzialentfaltungswelt“
aussehen solle. Der Hirnforscher forderte,
sich mehr Zeit zu nehmen und sich viel
mehr Bewerber persönlich anzuschauen.
Im Bewerbungsprozess gehe es derzeit
zu viel um Zeitersparnis und zu wenig
darum, der Persönlichkeit des Bewerbers
gerecht zu werden.
„Konzerne sind ein Auslaufmo-
dell. Sie werden sich zerlegen.“
Gefragt nach sinnvollen Tools, die man in
einem Change-Prozess einsetzen könne,
meinte Hüther: „Es kommt nicht so sehr
auf die Prozessbegleitung an, sondern auf
die Erzeugung der für den Change erfor-
derlichen Intentionalität.“ Übersetzt soll
das so viel heißen wie: „Wenn die Leute
nicht wollen, geht gar nichts.“ Und laut
Hüther gibt es kaum noch die Leute, die
wollen, weil die Motive für immer neue
Change-Prozesse fehlten. Gefragt, wie
denn das ideale Unternehmen der Zu-
kunft aussehen sollte, riet Hüther dazu,
jene Unternehmen genauer unter die
Lupe zu nehmen, die schon „New Work“
praktizierten. Er empfahl, sich den Film
„Die stille Revolution – der Kinofilm zum
Kulturwandel in der Arbeitswelt“ anzu-
schauen. Der Film zeige am Beispiel der
Hotelkette Upstalsboom, wie der Wan-
del hin zur Potenzialentfaltung gelingen
könne. Er beleuchte, wie das Thema
„Kulturwandel in der Arbeitswelt“ gesell-
schaftlich zu verankern sei und gebe dem
Zuschauer individuelle Impulse, etwas zu
verändern.
Was die Zukunft der DAX-Konzerne an-
geht, zeigte sich Hüther pessimistisch:
„Konzerne sind ein Auslaufmodell. Sie
werden sich in überschaubare Einheiten
zerlegen, die man dann besser führen
kann.“ Die Menschen holten sich ihre
Identität zurück, indem sie die Einheiten,
für die sie arbeiteten, kleiner machten. In
solch überschaubaren Einheiten gilt dann
auch: „Der Chef von morgen wird nicht
mehr von oben nach unten schauen. Er
wird aus der Position der Mitte heraus
sehen, was seine Mitarbeiter brauchen,
damit die sich entfalten können. Und
dann wird er ein Ermöglicher sein und
ein Ermöglicher ist ein Liebender.“
Martin Pichler
Fotos: Pichler
Gerald Hüther.
Der Hirn-
forscher forderte von den
rund 1.500 Kongressteil-
nehmern, sich mehr um die
Entfaltungsprozesse der
Beschäftigten zu kümmern.
Dialog.
Hüther nahm sich
nach seinem Vortrag viel
Zeit für intensive Dialoge
mit seinen Zuhörern.
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