wirtschaft + weiterbildung
04_2017
21
Hass im Internet beeinflusst Meinungsbildung
Die Medienwächter zeigen sich alarmiert. Die Zahlen der
Forsa-Studie (aus dem Sommer 2016) sind erschreckend.
In einer repräsentativen Online-Befragung haben zwei Drit-
tel der Teilnehmer bestätigt, Hasskommentare im Internet
gesehen zu haben, jeder Vierte sogar häufig.
Vor allem junge Menschen (14 bis 24 Jahre) nehmen
Hassbotschaften wahr. Laut der Forsa-Umfrage ist es in
dieser Altersgruppe jeder Zweite. Die Definition von „Hate
Speech“ in der Forsa-Befragung lautete: „Die Hassrede
richtet sich gegen bestimmte Personen oder Personengrup-
pen und beinhaltet Äußerungen von Hass, Gewaltandro-
hungen oder auch die Anstiftung zu Gewalt. Hate Speech
kann sich gegen Personen richten aufgrund von ethnischer
Zugehörigkeit, nationaler Herkunft, sexueller Orientierung,
Geschlecht, religiöser Zugehörigkeit, Alter, Behinderung
oder Krankheit.“
Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen meldet
Hasskommentare und appelliert an Nutzer, dem Beispiel
zu folgen. „Keine Toleranz der Intoleranz!“, so LfM-Presse-
sprecher Peter Widlok. Er wünscht sich von den Plattform-
Betreibern, dass sie transparent und begründet reagieren.
„Sie sollten die Löschung kenntlich machen und begrün-
den, warum gerade dieser Kommentar gelöscht wurde.“
Unsichtbarkeit des Opfers erleichtert Brutalität
Die Aurorin Ingrid Brodnig zitiert in ihrem Buch „Hass im
Netz“ (Christian Brandstätter Verlag, wien 2016) eine
Studie, worauf die Enthemmung im Internet auf folgende
Umstände zurückzuführen ist:
·
Anonymität:
Man fürchtet keine Reaktionen.
·
Unsichtbarkeit:
Es fehlen die nonverbalen Signale des
Opfers und das erleichtert die Brutalität (selbst wenn man
unter echtem Namen auftritt).
·
Asynchronität:
Es gibt kein unmittelbares Feedback auf
die eigene Handlung (emotionale Fahrerflucht möglich).
·
Dissoziative Vorstellung:
Der Täter glaubt, online werde
alles grundsätzlich nicht so ernst genommen wie bei einer
persönlichen Auseinandersetzung.
·
Fehlende Autorität:
Es gibt keinen Moderator und damit
auch keine Ordnungsrufe.
Im Ratgeber „Geh sterben – Umgang mit Hate Speech und
Kommentaren im Internet“, der von der Amadeu Antonio
Stiftung in Berlin herausgegeben wurde, haben unter-
Digitale Debatten.
Immer mehr Menschen bilden sich ihre Meinung im Internet und werden dabei
von extremen Ansichten radikaler Randgruppen beeinflusst. Einer Forsa-Studie im Auftrag der
Landesmedienanstalt NRW (LfM) zufolge ist der Hass insbesondere in den sozialen Medien so
verbreitet, dass er mittlerweile ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt.
Anonymität.
Sie erleichtert
verbale Ent-
gleisungen und
gewalttätige
Fantasien.
schiedliche Experten eine Reihe von möglichen Reaktionen
auf aggressive Verbalattacken in Internet-Foren zusam-
mengefasst:
1. Ignorieren
Vorteil: Die Störer bekommen keine Aufmerksamkeit. Die
Debatte versiegt. Nachteil: Aggressive Gruppen haben die
Oberhand. Diskriminierungen werden ungefiltert verbreitet.
2. Moderieren
Vorteil: Die Debatte bleibt ausgewogen. Diskriminierte wer-
den ermutigt, im Forum zu bleiben und für ihre Sache zu
streiten. Nachteil: Der Moderator muss für seine aufwen-
dige Arbeit bezahlt werden. Es gilt: Eine Debatte wird ver-
zerrt dargestellt, wenn Hass kommentarlos gelöscht wird.
Alle sollten wissen, wer ausfällig wurde und warum der
Hasskommentar gelöscht wurde.
3. Diskutieren
Vorteil: Jeder weiß von Anfang an, dass ein Leiter die Dis-
kussionen beeinflusst und dass ein ernsthafter Austausch
von Pro und Kontra gewollt ist. Nachteil: Diskussionen sind
noch aufwendiger und teurer als Moderationen, da mehr
Zeit investiert werden muss (problematische Aussagen the-
matisieren, zusätzliche Quellen anbieten).
4. Ironisieren
Vorteil: Man kann sich als schlagfertig profilieren und
Hassbotschaften als Absurdität entlarven. Moderator kann
mit Ironie Dampf ablassen. Außerdem lassen sich Dis-
kussionen mit humoristischen Elementen erstaunlich gut
lenken. Nachteil: Die Fronten verhärten sich. Trolle fühlen
sich gekränkt und verstärken insbesondere sadistische
Attacken.
Martin Pichler