wirtschaft und weiterbildung 4/2017 - page 15

wirtschaft + weiterbildung
04_2017
15
Sie sich ängstlich, dann versuchen Sie die Umwelt zu kon­
trollieren, die Reaktion des anderen vorhersehbar zu machen.
Sie werden dann Ihre Umwelt mit einem Netz an Sicherungs­
aktivitäten überziehen, an Policies, an Reporting-Systemen.
So haben schon manche anderen das Betrügen beigebracht,
weil sie fürchteten, betrogen zu werden. Die Bereitschaft und
Fähigkeit, Vertrauen zu geben und zu nehmen, gründet also
letztlich in individuellem „Selbst“-Vertrauen. Und das ist in
Unternehmen eine Frage der Personalauswahl, nicht der Per­
sonalentwicklung.
Das heißt, die Bereitschaft und Fähigkeit, zu vertrauen,
können Führungskräfte nicht lernen?
Sprenger:
Doch, das können Führungskräfte lernen, wenn sie
wollen. Aber Personalentwicklung verwechselt ja notorisch
Lernen mit Anpassen. Und Anpassen funktioniert eben nicht,
ohne dass wir den therapeutischen Limes überschreiten. Des­
halb ist Personalauswahl und Personaleinsatz mit Blick auf
Vertrauen wichtiger.
Wie können Unternehmen herausfinden, wo sie in Sachen
Vertrauenskultur gerade stehen?
Sprenger:
Den Vertrauenspegel in einem Unternehmen kann
man gut an dem Wuchern der Bürokratie ablesen. Wenn jedes
Gestaltungsproblem mit einer Richtlinie erschlagen wird. Wenn
bei den E-Mails die Adressenliste im CC explodiert.
Was raten Sie Führungskräften konkret?
Sprenger:
Kontrollsysteme zurückfahren. Regularien abschaf­
fen. Zugangsbeschränkungen lockern. Auf zusätzliche Infor­
mationen verzichten. Das muss kein „Entweder-Oder“ sein, es
kann den Ermessensspielraum ein wenig vergrößern, Art und
Menge der anvertrauten Aufgaben verändern. Wichtig ist: Das
eigene Risikoangebot wird von Ihrer Umwelt sehr genau beo­
bachtet. Es sind Signale des Vertrauens. Wollen Sie Vertrauen
aufbauen, dann räumen Sie jemandem aktiv die Gelegenheit
zur Verletzung ein und sind zugleich zuversichtlich, dass das
Gegenüber diese Gelegenheit nicht nutzt.
Verfolgen Sie eigentlich einen systemischen Ansatz?
Sprenger:
Niemand fängt von vorne an. Immer schon ist etwas
da, in das man hineintritt, an das man anknüpft. Wir kön­
nen auch sagen: Es ist ein überindividuelles System, das den
Rahmen für das Handeln jeder Führungskraft bildet. Ich ar­
beite deshalb mit einer Mischkultur. Persönliche Stärkung und
Struktursteuerung sollen Hand in Hand gehen und in der Tat
lässt sich keins von beiden je ganz zum Verschwinden bringen.
Ich will aus dem großen Entweder-oder zwischen Individuum
und Institution ein Sowohl-als-auch machen. Das Individuum
ist dabei das initiative Element, also insofern der Treiber der
Veränderung. Die Organisation ist das tragende Element: Sie
muss die Initiative aufgreifen und weiterentwickeln.
Interview: Stefanie Hornung
Buchtipp zur Keynote.
Reinhard K.
Sprenger: „Vertrauen führt. Worauf es
im Unternehmen wirklich ankommt.“
Campus Verlag, Frankfurt am Main
2002, 192 Seiten, 24,90 Euro. Für
Sprenger ist Vertrauen ein sehr „harter“
Erfolgsfaktor im Geschäftsleben.
1...,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14 16,17,18,19,20,21,22,23,24,25,...68
Powered by FlippingBook