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06_2015
wirtschaft + weiterbildung
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es richtig betreiben möchte, darf BGM
keine Einmalgeschichte sein, sondern
ein durchgehender Prozess mit ständiger
Evaluierung und Controlling. Das erfor-
dert in der Tat auch personelle Ressour-
cen, die in vielen Unternehmen gar nicht
so verfügbar sind – es müssen ja auch be-
stimmte Qualifikationen vorhanden sein.
Was beobachten Sie, welchen
Stellenwert hat BGM momentan in den
Unternehmen?
Ternès:
Das ist sehr unterschiedlich. Es
gibt Unternehmen, in denen es einen
wirklich hohen Stellenwert hat und auch
so gelebt wird. Dann sehe ich Unterneh-
men, in denen BGM ein bisschen einen
Green-Washing-Effekt hat, also eher als
Marketing betrachtet wird. Es gibt aber
auch Firmen, in denen überhaupt keine
Sensibilität für BGM vorhanden ist, nach
dem Motto „Klappt doch alles, sind genü-
gend Mitarbeiter da, Umsatz passt, wozu
brauchen wir jetzt noch ein BGM?“
Ist es für den Mittelstand vielleicht
schwieriger umzusetzen als für die
Konzerne – allein schon wegen der
erforderlichen Ressourcen?
Ternès:
Ja, das ist richtig. Vor allem weil
Konzerne sich an verbindlichen Richtli-
nien orientieren, die ausgegeben werden,
auch zum BGM, während der Mittelstand
oft eher eine „Hands-on-Mentalität“ hat
und meint, er kriegt das schon irgendwie
hin. Man ist ja freundlich zueinander und
hatte noch nie Probleme. Da ist die Be-
deutung von BGM häufig noch gar nicht
so angekommen.
In einer übersichtlichen Mannschaft
kann der Zusammenhalt ja tatsächlich
stärker sein. Ein Familienbetrieb hat
durchaus seine Vorteile …
Ternès:
In jedem Fall. Ich würde auch
sagen, dass es im Mittelstand häufiger
Strukturen gibt, die verhindern, dass be-
stimmte Probleme auftreten. Etwa dass
sich Mitarbeiter nur wie ein Rädchen
vorkommen, sich nicht ernstgenommen
fühlen, keinen Sinn in der eigenen Arbeit
sehen. Im Mittelstand ist es natürlich viel
eher gegeben, dass man durch die über-
sichtlichen Prozesse den eigenen Arbeits-
anteil viel besser wahrnimmt, ob das nun
im Front Desk oder als Hausmeister ist.
Da sieht man oft weit mehr Effekte, be-
kommt Feedback und mehr Bestätigung
für die eigene Leistung.
Sie haben vorhin erwähnt, dass manche
Unternehmen BGM als Aushängeschild
benutzen. Wie merkt ein Bewerber, dass
es nur darum geht?
Ternès:
Für einen Bewerber ist das na-
türlich nicht einfach. In der Stellenaus-
schreibung sieht er nur die Etiketten fa-
milienfreundlich und wohlklingende Zer-
tifizierungen. Richtig kennenlernen kann
er das erst, wenn er als Mitarbeiter ein
bisschen von den Prozessen und von der
Atmosphäre im Unternehmen mitbekom-
men hat.
Wird der Stellenwert des BGM in Zukunft
weiter zunehmen?
Ternès:
Ja, deutlich. Allein durch den de-
mografischen Wandel sind die Vorzeichen
so gestellt, dass die Bedeutung steigen
muss. Aber wir wissen ja, Unternehmen
denken häufig kurzfristig im Zeitrahmen
von einem Jahr, da ist das dann noch
nicht im Blick, jedenfalls nicht in der Re-
levanz. Doch je mehr das Thema in den
Fokus rückt, über den Fachkräftemangel
und durch erhöhte Krankenstände, umso
mehr wird gesehen „wir müssen da aktiv
werden“. Diese Erkenntnis allein aber
reicht nicht. BGM funktioniert ja nicht
so, dass ich mir etwas kaufe, einrichte
und dann läuft alles super. Da muss auch
etwas in den Köpfen der Entscheider pas-
sieren. Ich kenne Unternehmen, die BGM
eingeführt haben, die Krankheitsrate ging
schon kurz darauf zurück und alle waren
begeistert. Dann stieg die Rate aber wie-
der an und es hieß, ach, funktioniert doch
nicht. In solchen Fällen muss genau da-
nach geschaut werden, welche Faktoren
beteiligt sind. Wenn man ein Bild eindi-
mensional sieht, kann man schnell die
falschen Schlüsse ziehen. In diesem Fall
war die Jahreszeit Sommer und da ist
die Krankheitsrate eben niedriger als im
Winter mit Grippewellen. Hier sind Ins-
trumentarien im Bereich der Evaluierung
„Übersäuerung durch Stress kann Gicht, Arthrose,
Hörsturz, Tinnitus oder einen Bandscheibenvorfall
psychosomatisch hervorrufen.“
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