Der Verwalter-Brief 7-8/2019 - page 11

3. Notwendiges Quorum
Die im Fall zu betrachtende Gemeinschafts-
ordnung sieht vor, dass ein Beschluss, der
aufgrund der allgemeinen Öffnungsklausel
gefasst wird, einer „Mehrheit von 75 % aller
Miteigentumsanteile“ bedarf. Diese Formulie-
rung lässt offen, ob es um die Mehrheit der
Miteigentumsanteile der in der Versammlung
anwesenden oder vertretenen Eigentümer
geht oder ob der Verwalter bei der Berech-
nung des notwendigen Quorums auf alle Woh-
nungseigentümer schauen muss. In vergleich-
baren Fällen blickte der BGH wiederholt auf
alle Wohnungseigentümer. Daran sollten sich
Verwalter halten.
4. Schwebend unwirksame Beschlüsse
Nach zurzeit herrschender Meinung gibt es
neben nichtigen auch „schwebend“ unwirksa-
me Beschlüsse. Dieser Schwebezustand wird
zum einen für den Fall befürwortet, dass ein
unentziehbares und „mehrheitsfestes“ (durch
Beschluss nicht entziehbares), aber verzicht-
bares Individualrecht verletzt wird. Zum ande-
ren werden schwebende Beschlüsse für den
Fall erwogen, dass es an einer Entstehungsvo-
raussetzung für einen Beschluss fehlt, z. B. an
der Verkündung.
In der jetzt vorliegenden Entscheidung deutet
der BGH ohne Klärung an, mit diesem Den-
ken jedenfalls für den Bereich „verzichtbare
Individualrechte“ brechen zu wollen. Er weist
insoweit darauf hin, § 23 Abs. 4 WEG sehe
schwebend unwirksame Beschlüsse nicht vor.
Ferner gebe es – ebenso wie bei unter einer
Bedingung gestellten Beschlüssen – Bedenken
im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit.
Sieht man es so, könnte der entsprechende
Beschluss nur entweder nichtig oder aber an-
fechtbar sein. Für den Verwalter erhöht diese
Wendung seine Informationspflichten. Denn er
muss den Wohnungseigentümern sagen und
die Information in der Niederschrift festhalten,
dass – fehlt die Zustimmung eines betroffenen
Wohnungseigentümers – der Beschluss nich-
tig sein könnte. Ferner muss der Verwalter für
sich entscheiden, ob er sich an den Beschluss
gebunden fühlt.
5. Verhaltensempfehlungen an Verwalter
!
Weiterführende Informationen:
Öffnungsklausel
950807
Vereinbarte Öffnungsklauseln: Kritische Be-
schlüsse nach der aktuellen BGH-Rechtspre-
chung
8507846
11
Deckert/Elzer kompakt
Jeder Verwalter muss wissen, dass nicht
jeder Beschlussgegenstand seine Grund-
lage in einer allgemeinen Öffnungsklau-
sel findet. Für eine spezielle Öffnungs-
klausel dürfte nichts anderes gelten.
Denn auch diese räumt nur eine Be-
schlusskompetenz ein, ändert aber am
materiellen Prüfungsprogramm, so wie
es der BGH versteht, nichts.
Jeder Verwalter sollte sich mit den Be-
schlussgegenständen vertraut machen,
die nach Ansicht des BGH nur beschlossen
werden können, wenn die vom Beschluss-
gegenstand betroffenen Wohnungseigen-
tümer dem Beschluss zustimmen.
Jeder Verwalter sollte einen negativen
Beschluss verkünden, wenn die von ei-
ner Öffnungsklausel vorgesehene Mehr-
heit nicht erreicht ist.
Jeder Verwalter muss bei einem auf
einer Öffnungsklausel beruhenden Be-
schluss, dem nicht alle davon betroffe-
nen Wohnungseigentümer zustimmen,
für möglich erachten, dass dieser nichtig
ist. Im Einzelfall ist – am besten im Vor-
feld einer Versammlung – anwaltliche
Hilfe zu suchen.
WEG-Rechtsprechung
kompakt
Rederechtsbeschränkung: Kein
Ausschluss des Rechts, Fragen stellen zu
dürfen
(LG Frankfurt/Main, Urteil v. 7.6.2018,
2-13 S 88/17)
Eine Beschränkung des Rederechts von Ei-
gentümern auf der Versammlung muss unter
Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
so schonend wie möglich erfolgen.
!
Weiterführende Informationen:
Eigentümerversammlung: Durchführung der
Versammlung
2659769
Geschäftsordnungsbeschluss
2083317
Freikirchliche Nutzung einer
Teileigentumseinheit kann zulässig sein
(LG Berlin, Beschluss v. 22.5.2018, 55 T 15/18)
Bei typisierender Betrachtungsweise führt die
Nutzung einer Teileigentumseinheit als Freikir-
che nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchti-
gung der übrigen Eigentümer.
!
Weiterführende Informationen:
Nutzungsarten der Wohnung
636933
Nutzungsbeschränkungen
636934
Zwangshypothek kann nur für den im
Titel bezeichneten Gläubiger eingetragen
werden
(OLG München, Beschluss v. 28.6.2018,
34 Wx 138/18)
Als Berechtigter einer Zwangshypothek kann
nur die Person eingetragen werden, die durch
Vollstreckungstitel bzw. -klausel als Inhaber der
titulierten Forderung ausgewiesen ist. Ein auf
die „übrigen Eigentümer der WEG“ lautender
Titel erlaubt nicht die Eintragung der „WEG“ als
Berechtigte einer Zwangshypothek.
!
Weiterführende Informationen:
Zwangsvollstreckung (WEG)
637657
Im aktuellen Fall das Recht, das Son-
dereigentum auch nur für einen kurzen
Zeitraum an Feriengäste oder Handwer-
ker zu vermieten sowie das Recht, dass
das Sondereigentum als Wohnungs- oder
Teileigentum gewidmet bleibt.
Es steht zu vermuten, dass für das Recht,
das gemeinschaftliche Eigentum mitge-
brauchen zu können, nichts anderes gilt.
Auf einer Öffnungsklausel beruhende
Beschlüsse, die ein Sondernutzungsrecht
begründen wollen, dürften deshalb nach
der jetzt bekannt gewordenen Recht-
sprechung nichtig sein, wenn nicht alle
Wohnungseigentümer zustimmen.
Es ist streitig, was gilt, wenn ein auf einer
allgemeinen Öffnungsklausel beruhender
Beschluss die dort vereinbarte Mehrheit
verpasst. Nach einigen Stimmen – etwa
von mir – ist von Nichtigkeit auszugehen,
nach anderen, wohl die Mehrheit bildenden
Ansichten ist der Beschluss zwar nicht ord-
nungsmäßig, aber nur anfechtbar. Der BGH
hat sich bislang bewusst nicht positioniert.
Verkündet ein Verwalter fußend auf letzte-
rer Meinung einen solchen positiven „Zit-
terbeschluss“, ist allerdings wohl unstrei-
tig, dass er seine Pflichten verletzt und bei
einer Anfechtungsklage nach § 49 Abs. 2
WEG die Kosten zu tragen hat. Man kann
daher nicht dazu raten, einen Beschluss zu
verkünden, wenn die erforderliche Mehr-
heit verpasst ist.
HINWEIS:
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