Der Verwalter-Brief 7-8/2016 - page 10

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Deckert kompakt
kann. Würde etwa die Mehrheit beschließen,
eine Berufung zurückzunehmen, so könnten
durchaus einzelne Eigentümer, die den ange-
fochtenen Beschluss verteidigen möchten, die
Berufung fortsetzen. Sie wären an einen Mehr-
heitsbeschluss, der den Verwalter anweist, eine
Berufung zurückzunehmen, nicht gebunden.
Ebenso ist auch kein Eigentümer an den hier
gefassten Mehrheitsbeschluss, die Berufung
weiter zu führen in dem Sinne gebunden, als
dass er nicht die für ihn eingelegte Berufung
zurücknehmen könnte. Eine Beschlusskompe-
tenz ist mit alledem nicht zu vereinbaren.
Das bedeutet für Sie:
1. Noch anstehende Problemfragen für
ordnungsgemäßes Verwalterhandeln
Das Urteil betrifft nicht nur eine Auslegungspro-
blematik der Gesetzesformulierung, sondern
ist auch für den Verwalter als dem gesetzli-
chen Vertreter der Gemeinschaft und auch der
einzelnen Eigentümer von erheblicher prakti-
scher Bedeutung. Es geht um die noch nicht
abschließend geklärten Fragen, durch wen
und auf welche verwalterseits organisatorisch
vorbereitend korrekte Weise gegen ein Urteil,
das einer Anfechtungsklage in erster Instanz
stattgegeben hat, Berufung einzulegen ist.
2. Verwalterpflichten in erster Instanz
einer Beschlussanfechtung
Was Berechtigungen (und damit auch Ver-
pflichtungen) des Verwalters im Beschluss-
anfechtungsverfahren erster Instanz betrifft,
entspricht es heute h. M., dass er zunächst als
Zustellungsvertreter für die beklagten Eigentü-
mer zu fungieren hat, auch wenn hier Schrift-
stücke entgegen dem gesetzlichem Wortlaut
in § 27 Abs. 2 Nr. 1 WEG im Anfechtungsver-
fahren gerade nicht an „alle Wohnungseigen-
tümer gerichtet“ sind, vielmehr nur an die
beklagten „übrigen Eigentümer“. Nachfolgend
hat der Verwalter die beklagten Eigentümer
kurzfristig in geeigneter Weise von der Anhän-
gigkeit eines Anfechtungsstreits zu unterrich-
ten. Sehr rasch wird er auch vom Amtsgericht
unter 14-tägiger Ausschlussfrist zur Erklärung
aufgefordert, ob sich die Beklagten im Verfah-
ren verteidigen wollen. Schon vor dieser oft
schwierigen Entscheidung sollte der Verwalter
anwaltlichen Rat einholen.
Da zunächst ein Mehrheitsbeschluss vorliegt,
den der Verwalter trotz Anfechtung grundsätz-
lich auszuführen hat, wird er dem Gericht im
Zweifel zunächst in eigener Ermessensent-
scheidung fristgemäß Verteidigungsbereit-
schaft anzeigen, was auch dem mutmaßlichen
Willen der Eigentümermehrheit entsprechen
dürfte. Gleichzeitig hat er nach h. M. auch
das Recht, für alle beklagten Eigentümer in
deren Vertretung einen Rechtsanwalt zu be-
auftragen; dies wird aus Gründen gebotener
Fristwahrung und zur Abwendung sonstiger
Rechtsnachteile, wenn auch nur für eine Be-
klagtenmehrheit, aus § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG
abgeleitet, zumal dort ausdrücklich auch auf
Anfechtungsverfahren verwiesen wird. Weite-
re Berechtigungen ergeben sich auch aus § 27
Abs. 2 Nr. 4 WEG. Wird z. B. eine Anfechtung
vorwiegend oder ausschließlich mit formellen,
unzweifelhaft begründeten Beschlussfehlern
begründet, kann eine Verwalterempfehlung
schon zu Beginn des Verfahrens in die Richtung
gehen, eine weitere Eigentümerversammlung
einzuberufen, um die Formfehler durch korrek-
te Zweitbeschlüsse zu heilen. Dann kann sich
das Anfechtungsverfahren vielleicht rasch und
noch kostengünstig erledigen.
3. Entscheidung über Berufungseinlegung
Wird dem Verwalter/beauftragten Rechts-
anwalt das klägerisch obsiegende Urteil des
Amtsgerichts zugestellt, kommt es zwangs-
läufig zur Frage, ob es akzeptiert werden soll
oder zunächst Berufung für alle oder einzel-
ne Beklagte einzulegen ist. In größeren Ge-
meinschaften ist es sehr beschwerlich, diese
Entscheidung innerhalb der einmonatigen
Berufungsfrist im Interesse der beklagten Ei-
gentümer verbindlich abzuklären, zumal die
Erfolgsaussicht einer Berufung auch anwaltlich
überprüft werden sollte.
Über diese Frage in einer Eigentümerversamm-
lung eine alle Beteiligte bindende neuerliche
Mehrheitsentscheidung herbeizuführen, ist auch
aus meiner Sicht (entgegen so bisher mancher
Praxisgepflogenheiten) strikt abzulehnen. Inso-
weit besteht nach derzeitiger Rechtslage keine
Beschlusskompetenz der Gesamtgemeinschaft,
so dass ein solcher positiver wie auch negativer
Beschluss von Anfang an als nichtig anzusehen
ist – so wie dies das AG Charlottenburg völlig zu
Recht entschieden hat.
Solange der Gesetzgeber Beschlussanfech-
tungsverfahren nur als Auseinandersetzungen
der einzelnen Eigentümer wertet und nicht
ebenfalls als Verbands- bzw. Gemeinschafts-
angelegenheit behandelt, kann die Beru-
fungsfrage von den beklagten Eigentümern
erster Instanz m. E. nur individuell entschieden
werden. Völlig zu Recht wurde damit auch in
Charlottenburg entschieden, dass sich inso-
weit auch aus § 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG keinerlei
ungeschriebene Beschlusskompetenz der Ge-
meinschaft ergäbe, auch nicht für Weisungs-
entscheidungen an den Verwalter.
Allerdings führt das Amtsgericht zu § 27 Abs.
2 Nr. 2 WEG in Anlehnung auch an bisherige
BGH-Rechtsprechung zusätzlich aus, dass die
dort geregelte Vertretungsmacht des Verwal-
ters auch hinsichtlich der beklagten Eigentümer
weit auszulegen und umfassend zu verstehen
ist. Der Verwalter sei der „geborene Verteidi-
ger des Mehrheitswillens“, so dass auch die
Frage der Berufungseinlegung grundsätzlich
seinem pflichtgemäßen Ermessen überlassen
bleibe, wenn auch mit der Einschränkung,
Weisungen einzelner beklagter Eigentümer
nach entsprechender Information und Abfrage
berücksichtigen zu müssen. Zu fragen ist also
nach dem Willen der Beklagten auf Fortset-
zung des Verfahrens durch alle oder auch nur
durch einzelne Beklagte erster Instanz. Dieses
Ergebnis individueller Vollmachts-Abrufe ist si-
cher der richtige Lösungsweg, führt allerdings
zu weiteren, oft schwierigen Ermessensent-
scheidungen des Verwalters mit allen auch
damit verbundenen Haftungsrisiken.
4. Verhaltensempfehlungen an Verwalter
Meine Empfehlungen an Verwalter lauten in
der Berufungsentscheidungsfrage und deren
Organisation:
a) Dem zur Neutralität verpflichteten Verwal-
ter als „geborenem Verteidiger“ der Beklagten
sicher unstreitig in erster Instanz so weitge-
hend auch in allen eventuellen Folgeinstanzen
Entscheidungskompetenzen zuzuweisen, er-
achte ich nicht für überzeugend, zumal seine
Entscheidung nicht alle Eigentümer in einem
solchen Anfechtungsverfahren betrifft und für
ihn sogar bei objektiv fehlerhafter Entschei-
dung zu Haftungsrisiken führen kann. So ex-
tensiv kann und muss m. E. § 27 Abs. 2 Nr. 2
WEG auch nicht ausgelegt werden!
b) Von einem Urteil erster Instanz hat vielmehr
jeder Verwalter unverzüglich alle beklagten
Eigentümer mindestens rundschriftlich unter
Hinweis auf die einmonatige Berufungsfrist
bzw. über das Ende dieser Frist zu informieren.
c) Schon in einem solchen Rundschreiben
kann und sollte der Verwalter insbesondere
in größeren Gemeinschaften beklagte Eigen-
tümer rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsfrist
zur Einzelweisung und Erklärung auffordern
(eventuell auch durch Fiktionserklärung als
„Ja“ zur Berufungseinlegung mangels ableh-
nender fristgemäßer Antwort). Dabei kann er
auch seine – allerdings rechtlich unverbind-
liche – Rechtsauffassung in Würdigung des
Amtsgerichtsurteils bekannt geben, vielleicht
auch schon die eingeholte Empfehlung des
bisher in erster Instanz beauftragten Rechts-
anwalts. Zu fragen ist, ob beklagte Eigentümer
über Einzelvollmacht die Fortsetzung des Ver-
fahrens wünschen und zwar entweder durch
den bisher verwalterseits beauftragten Rechts-
anwalt erster Instanz oder über neuerliche,
eigene Rechtsanwaltsbeauftragung oder ob
einzelne Beklagte das Urteil des Amtsgerichts
akzeptieren und damit in zweiter Instanz (Be-
rufungsführung durch andere Beklagte) nur als
weitere Beteiligte ohne etwaige Kostenfolgen
in dieser Instanz behandelt werden wollen.
d) Der Verwalter sollte beklagten Eigentümern
auch klar vor Augen führen, dass sich kein
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