Der Verwalter-Brief 4/2015 - page 9

Deckert kompakt
Die Eigentumswohnung
Entscheidung des Monats:
WEG-Rechtsprechung kompakt
Einstweilige Verfügung gegen
Beschlussdurchführung?
Entscheidung
des Monats
Einstweilige Verfügung gegen
Beschlussdurchführung?
Auch fehlerhafte Eigentümerbeschlüsse
sind grundsätzlich wirksam und durch-
zuführen, solange sie nicht für ungültig
erklärt worden sind. Nur in Ausnahme-
fällen kann die Durchführung eines Be-
schlusses per einstweiliger Verfügung
gestoppt werden.
(LG Hamburg, Urteil v. 1.9.2014, 318 O
156/14)
Der Fall:
Die Eigentümer einer Wohnung verlangen,
die Durchführung eines angefochtenen Be-
schlusses per einstweiliger Verfügung zu
untersagen.
In einer Eigentümerversammlung hatten
die Wohnungseigentümer mehrheitlich be-
schlossen, Sanierungsarbeiten an der Ge-
bäudeabdichtung ausführen zu lassen, be-
ginnend mit der Überprüfung der Drainage.
Vorausgegangen war ein jahrelanger Streit
über die richtigen Abdichtungsmaßnahmen
im Bereich einer Wohnung.
Deren Eigentümer haben den Sanierungsbe-
schluss angefochten. Es fehle an der umfas-
senden Gesamtplanung eines fachgerechten
Abdichtungskonzepts. Auch entspreche die
Planung nicht den Regeln der Technik und
sei unvollständig und fehlerhaft.
Die Kläger beantragen, die Vollziehung des
Beschlusses per einstweiliger Verfügung au-
ßer Kraft zu setzen, bis endgültig über die
Anfechtungsklage entschieden ist.
Das Problem:
Das LG Hamburg hatte zu entscheiden, ob
und unter welchen Voraussetzungen die
Durchführung eines Eigentümerbeschlusses
per einstweiliger Verfügung verhindert wer-
den kann.
So hat das LG Hamburg entschieden:
Der Antrag hat keinen Erfolg, denn es fehlt
jedenfalls ein Verfügungsgrund. Es ist nicht
zu befürchten, dass ohne Erlass einer einst-
weiligen Verfügung („Baustopp“) durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes
Rechte der Kläger vereitelt werden oder de-
ren Durchsetzung wesentlich erschwert wird.
Ob ein Verfügungsgrund vorliegt, ist durch
eine umfassende Abwägung der schutz-
würdigen Interessen beider Seiten zu beur-
teilen. Ausgangspunkt ist dabei, dass auch
fehlerhafte Beschlüsse einer Eigentümer-
versammlung bis zu ihrer Ungültigkeits-
erklärung durch ein Gericht grundsätzlich
wirksam und vollziehbar sind. Dem Vollzie-
hungsinteresse wird danach grundsätzlich
größeres Gewicht beigemessen als dem
Aussetzungsinteresse.
Die Vollziehung eines Beschlusses für die
Zeit eines schwebenden Anfechtungsver-
fahrens kann daher nur dann per einstwei-
liger Verfügung ausgesetzt werden, wenn
glaubhaft gemacht wird, dass im konkreten
Einzelfall ausnahmsweise die Interessen der
anfechtenden Eigentümer überwiegen. Das
kann der Fall sein, wenn ihnen ein weite-
res Zuwarten wegen drohender irreversib-
ler Schäden nicht mehr zugemutet werden
kann oder wenn die Rechtswidrigkeit des
Beschlusses derart offenkundig ist, dass es
hierfür nicht erst der umfassenden Prüfung
durch ein Hauptsacheverfahren bedarf. Dar-
an fehlt es hier.
Liebe Leserin, lieber Leser,
in einem vom LG Hamburg entschiedenen
Fall wollten die Kläger die Vollziehung eines
umstrittenen Sanierungsbeschlusses per einst-
weiliger Verfügung verhindern. Sie befürchte-
ten, dass noch vor Entscheidung im Anfech-
tungsverfahren die von ihnen infrage gestellte
Sanierung in Angriff genommen wird. Meines
Erachtens völlig zu Recht hat das Gericht den
Antrag abgelehnt. Eine solche, die Hauptsache
im Wesentlichen bereits vorwegnehmende
Schnellentscheidung kann nur eine seltene
Ausnahme sein. Grundsätzlich ist dem Voll-
ziehungsinteresse ein größeres Gewicht bei-
zumessen als dem Aussetzungsinteresse. Die
Voraussetzungen für eine Ausnahme, nämlich
die Sorge irreversibler Schäden für den Fall
eines sofortigen Beschlussvollzuges oder ganz
offenkundige Rechtswidrigkeit des Beschlusses,
lagen nicht vor. Der Mindermeinung, die bei
einer umstrittenen Beschlussfassung fordert,
vor Ausführungsbeginn stets die Bestandskraft
des Beschlusses abzuwarten oder gar im Falle
einer Anfechtung die Beschlussführung durch-
zuführen, kann ich nicht folgen.
Herzlichst
Ihr
Dr. Wolf-Dietrich Deckert
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