Der Verwalter-Brief 4/2015 - page 10

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Deckert kompakt
Der angegriffene Beschluss ist nicht der-
art offenkundig rechtswidrig, dass es keiner
Überprüfung durch ein Hauptsacheverfahren
bedürfte. Zwischen den Parteien ist seit Lan-
gem und in vielfacher Hinsicht streitig, wel-
che Maßnahmen fachgerecht und erforderlich
sind, um eine „DIN-gerechte“ Abdichtung zu
erzielen. Auch weitere Fragen bedürfen einer
umfassenden Prüfung durch ein Hauptsache-
verfahren.
Auch ist es den Klägern nicht unzumutbar, den
Ausgang des Hauptsacheprozesses abzuwar-
ten. Durch die Ausführung der beschlossenen
Sanierungsarbeiten entstehen keine irrever-
siblen Schäden am Gebäude. Soweit die Klä-
ger wirtschaftliche Gesichtspunkte anführen,
begründen diese nicht die Gefahr irreversibler
Schäden, denn wirtschaftliche Einbußen kön-
nen auch nach der Sanierung kompensiert
werden.
Da zudem unstreitig dringender Handlungsbe-
darf besteht, überwiegt vorliegend das Voll-
ziehungsinteresse.
Das bedeutet für Sie:
1. Problematik bei in Diskussion
befindlichen Sanierungsvarianten
Im Eigentümerkreis kann es in Sanierungs-
fragen sowohl im technischen Detail als auch
zum Umfang sowie den Kostenfragen zu un-
terschiedlichen Auffassungen kommen. Sanie-
rungsalternativen können und sollten durch-
aus schon im Zuge bzw. vor notwendigen
Gemeinschaftsbeschlüssen diskutiert werden.
Hat sich allerdings die Mehrheit zu einer be-
stimmten, vielleicht auch durch einen Gutach-
ter empfohlenen Variante entschieden, kann
vor unüberlegten Beschlussanfechtungen nur
gewarnt werden. Solche Verfahren können in
technischen Details oft nur über ein gericht-
liches Obergutachten geklärt werden. Das ist
meist mit hohen Kosten und Zeitverzögerun-
gen verbunden.
2. Einstweilige Verfügung nur im
Ausnahmefall
Jeder Verwalter ist verpflichtet, Beschlüsse
der Eigentümer ohne schuldhaftes Zögern
auszuführen. Das gilt auch für Sanierungsbe-
schlüsse einschließlich etwaiger Sonderumla-
ge-Beschlussfassung. Im Anfechtungsfall muss
er als Vertreter der beklagten Eigentümer die
Verteidigung des Mehrheitsbeschlusses durch
Anwaltsauftrag veranlassen.
Die Pflicht zur Beschlussdurchführung gilt
grundsätzlich auch dann, wenn die über-
stimmte Minderheit eine Beschlussanfech-
tung angedroht oder gar bereits rechtshängig
gemacht hat. Wenn der Anfechtungskläger
nun überdies gleichzeitig oder im Verlauf des
Hauptsacheprozesses parallel zur Anfechtung
eine einstweilige Verfügung auf Aussetzung
der Beschlussdurchführung beantragt, beweist
das besprochene Entscheidungsergebnis aus
Hamburg völlig zu Recht, dass eine solche, die
Hauptsache im Wesentlichen bereits vorweg-
nehmende Schnellentscheidung des Gerichts
die seltene Ausnahme ist. Voraussetzungen
für einen solchen einstweiligen Rechtsschutz
sind das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs
und insbesondere auch eines glaubhaft zu
machenden Verfügungsgrundes nach den Ver-
fahrensgrundsätzen der ZPO. Insoweit sind in
einem einstweiligen Verfügungsverfahren die
Interessen beider Streitparteien abzuwägen.
Nur wenn auf Klägerseite irreversible Schäden
im Falle eines sofortigen Beschlussvollzuges
zu erwarten sind oder die Beschlussfassung
ganz offenkundig rechtswidrig erscheint, kann
ausnahmsweise ein solches Eilverfahren Erfolg
versprechen.
Stehen nach dem Vortrag des Anfechtungs-
klägers evidente Formfehler einer Beschluss-
fassung im Vordergrund der Anfechtung und
kann bzw. muss der Verwalter aus objektiver
Sicht eine solche Rechtswidrigkeit auch bestä-
tigen, sollte er unverzüglich eine neuerliche
Beschlussfassung in außerordentlicher Ver-
sammlung zwecks Heilung des Formfehlers
veranlassen, um wenigstens im Erstverfahren
vielleicht zu einer (Teil-) Erledigung der Haupt-
sache zu gelangen.
Erhebt der Anfechtungskläger zugleich mate-
riell-rechtliche Angriffe gegen den Beschluss,
führt eine förmlich korrekte Beschlusswieder-
holung zur Aussetzung des ersten Verfahrens
und ggf. neuerlicher Anfechtung des Wieder-
holungsbeschlusses.
Bestätigte Formfehler des Verwalters bei einer
Beschlussfassung können diesen allerdings bei
unterstelltem grobem Verschulden in eine ei-
gene Verfahrenskostenhaftung nach § 49 Abs.
2 WEG führen. Erkennbar nichtige Beschlüsse
bzw. insoweit zur Abstimmung gestellte An-
träge sollte jeder Verwalter ohnehin vermei-
den.
3. Der Verwalter zwischen den Fronten
Dass ein Verwalter – wie von einer Minder-
meinung vertreten – bei einer umstrittenen
Beschlussfassung stets vor Ausführungsbe-
ginn die Bestandskraft des Beschlusses ab-
zuwarten oder gar im Falle einer Anfechtung
die Beschlussdurchführung zurückzustellen
hätte, kann nicht ernsthaft gefordert wer-
den. Allerdings kann die Gemeinschaft dem
Verwalter durchaus bei ernsthaft angedrohter
Anfechtung im Beschluss oder in neuerlicher
Beschlussfassung die Weisung erteilen, den
Vollzug des Beschlusses einstweilen oder für
bestimmte Zeit zurückzustellen. Auch eine
solche Entscheidung zumindest in aufschieb-
baren Fällen liegt im Handlungsermessen der
Gemeinschaft.
Im vorliegenden Fall bestand allerdings drin-
gender Handlungsbedarf und es waren auch
keine irreversiblen Schäden und Risiken für
das Gebäude und die klagenden Eigentümer
erkennbar. Allein die Beschlussanfechtung
im Hauptsacheverfahren (hier: in der Beru-
fung) wird zeigen, ob der Sanierungsbeschluss
Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung
entsprach.
Wenn die Anfechtung Erfolg hat, kommen Se-
kundäransprüche gegen die restlichen Eigen-
tümer in Betracht, wie dies das Landgericht
angedeutet hat. Aus meiner Sicht bestehen
in diesem Fall aber keine Ansprüche auf voll-
ständige Rückgängigmachung einer bereits
vorgenommenen Teilausführung, andererseits
jedoch auf Kostenfreistellung oder Gutschrift-
erteilung, um etwaige wirtschaftliche Einbu-
ßen obsiegender Kläger zu kompensieren.
4. Vollzugsinteresse in der Regel
vorrangig
Größeres Gewicht dürfte im Regelfall tatsäch-
lich das Interesse am Vollzug einer gemein-
schaftlichen Beschlussentscheidung gegenüber
einem Beschluss-Aussetzungsinteresse eines
einzelnen Eigentümers besitzen. Mir ist ein
ähnlicher Fall bekannt, den das LG München
I vor nicht allzu langer Zeit entschieden hat.
Dort kam es in einer Gemeinschaft in einem
Streit über Baumängelgewährleistung nach
langen Verhandlungen mit dem Bauträger
zu einem objektiv vertretbaren Zahlungs-Ab-
geltungsvergleich, der auch mehrheitlich ge-
nehmigt wurde. Im Genehmigungsbeschluss
wurde gleichzeitig der Verwalter beauftragt,
diesen Vergleich mit seiner Unterschrift zu
bestätigen, um den Hauptsachestreit zu been-
den. Auch in diesem Fall wies das LG München
I einen einstweiligen Verfügungsantrag auf
Verbot einer Unterschriftsleistung des Verwal-
ters zurück und bestätigte auch nachfolgend
im Hauptsacheverfahren die Rechtsgültigkeit
der Verfahrensbeendigung durch den Ver-
gleichsannahmebeschluss.
5. Exkurs: Allgemeine Verwalter- und
Eigentümerpflichten bei dringend
gebotener Sanierung
Die Entscheidung des LG Hamburg gibt Anlass,
auch einen Blick darauf zu werfen, wie Ver-
walter und Eigentümer im Falle dringender Sa-
nierungsbedürftigkeit am besten verfahren.
Sind dem Verwalter durch Eigenkontrollen
oder Hinweise aus dem Eigentümerkreis Sa-
nierungsnotwendigkeiten bekannt geworden,
hat er zunächst konkrete Feststellungen und
Untersuchungen vorzunehmen, um sich ei-
genverantwortlich ein Bild von möglichen
Schäden, etwa drohenden Folgeschäden und
vielleicht auch Verursachungen/Verantwort-
lichkeiten zu machen. Diese Verwalterpflich-
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