Der Verwalter-Brief 10/2015 - page 10

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Deckert kompakt
sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend.
Von Bedeutung sein können etwa die örtlichen
Verhältnisse, die Zusammensetzung der Ge-
meinschaft, die Anzahl der Hunde und deren
Verhalten sowie das Freizeitverhalten der Ei-
gentümer. Auch kann die grundsätzliche Angst
einzelner Eigentümer vor Belästigung durch
Hunde Anlass für einen Leinenzwang sein.
Das heißt aber nicht, dass nur eine solche
Regelung ordnungsgemäßem Gebrauch ent-
spricht. Die Mehrheit der Eigentümer kann
auch dem Interesse der Hundehalter, die Hun-
de beim Spielen nicht anzuleinen, den Vor-
rang einräumen. Etwaige Beeinträchtigungen
müssen aber für die anderen Miteigentümer
zumutbar sein. Die WEG kann eine Regelung
auch zunächst erproben und je nach gewon-
nener Erfahrung wieder ändern.
Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, dass
das Absehen von einem generellen Leinen-
zwang die Miteigentümer unzumutbar beein-
trächtigt. In der Anlage befindet sich nur ein
kleiner Hund und es hat bislang keine Zwi-
schenfälle gegeben. Sollte sich hieran etwas
ändern, können die Eigentümer die Erlaubnis
widerrufen.
Das bedeutet für Sie:
1. Nutzung von Sondereigentum
und Mitgebrauch am
Gemeinschaftseigentum häufig
streitbefangen
In umstrittenen Hausordnungsfragen hält sich
der BGH in jüngster Zeit mit generalisierenden
eindeutigen Gebots- oder Verbotsaussagen zu
Recht zurück. Gerichte wollen und sollten hier
auch nicht in objektiv vertretbare und vernünf-
tige, mehrheitlich getroffene Ermessensent-
scheidungen ohne Not eingreifen.
Vor einer abschließenden Entscheidung sollten
insbesondere die Instanzgerichte stets schlich-
tend und kompromissbetonend auf die Streit-
parteien einwirken. Zuletzt ging es hier häufig
um abwägende Streitklärung etwa der Rechte
und Pflichten von Rauchern und Nichtrauchern,
Grillfreunden und -gegnern, von Musikliebha-
bern im Gegensatz zu ruhebeanspruchenden
Bewohnern sowie unterschiedliche Verhal-
tensweisen von jüngeren Familien mit Kindern
und ruhefordernden Senioren.
Wohnungseigentumsrechtlich stehen hier all-
gemeine richterliche Hinweise zu gebotenen
Rücksichtnahmepflichten nach § 14 WEG im
Vordergrund. Vorrangig sind allerdings stets
zunächst vor endgültigen Entscheidungen ei-
ner Gemeinschaft auch etwa bestehende öf-
fentlich-rechtliche Nutzungseinschränkungen
mitzubeurteilen, ebenso auch in bestimmter
Weise festgelegte konkrete Zweckbestim-
mungs- bzw. Nutzungsvereinbarungen in der
Gemeinschaftsordnung.
Was bestimmte Gebrauchsregelungen im
Sinne von § 15 WEG betrifft, hat der Gesetz-
geber in dieser Bestimmung bewusst diver-
se unbestimmte Rechtsbegriffe abstrakten
Inhalts gewählt und damit die notwendige
Einzelfall-Auslegung der Begriffe eines „ord-
nungsgemäßen Gebrauchs von Sonder- und
Gemeinschaftseigentum“,
„Interessen der
Eigentümergesamtheit“ und „billigem Ermes-
sen“ im Streitfall den Gerichten überantwor-
tet. Argumente pro und contra müssen hier
sorgfältig abgewogen werden.
2. Zu einigen Begründungspassagen
dieser BGH-Einzelfallentscheidung
In durchaus nachvollziehbarer Weise hielt
vorliegend der BGH die Entscheidung der Ei-
gentümer für rechtens. Eine im Rahmen der
Interessenabwägung getroffene Begründungs-
passage stört allerdings: Der BGH führt aus,
dass „der Umstand auf gemeinschaftlicher
Rasenfläche spielender Hunde nicht zu einem
faktischen Ausschluss des Mitgebrauchs durch
ängstliche bzw. sich in Hundenähe nicht wohl-
fühlender Bewohner führe und auch solche
Eigentümer die Rasenflächen jedenfalls in Zei-
ten nutzen könnten, in denen sich dort keine
Hunde aufhielten“.
Ohne Frage gibt es zahlreiche Personen, die vor
Hunden, selbst bei einem freundschaftlichen
Anspringen, berechtigtermaßen Angst haben.
Von Risiken für Hundehaar-Allergiker einmal
ganz abgesehen. Sollen hier etwa auf einem
gemeinschaftlichen Spielplatz laufende Kinder
weniger Rechte als Hunde besitzen? Müssen
hier vielleicht Personen stehenbleiben, wobei
erfahrungsgemäß Hunde solche Ängste spü-
ren und sich – je nach Erziehung – dann auch
besonders aggressiv verhalten können? Inso-
weit erscheint mir jedenfalls eine Anleinpflicht
mit steter Nähe des Tierhalters für diesen eher
zumutbar als nutzungseinschränkend gebo-
tenes Verhalten anderer Nutzer des Gemein-
schaftseigentums. Wie können denn mögliche
Belästigungen anders unterbunden werden
als durch Leinenzwang? Ein objektiv-abstrakt
bestehendes Gefahrenrisiko zu aggressivem
Verhalten vielleicht undressierter Hunde kann
nicht wegdiskutiert werden, zumal sich gleich-
zeitig herumlaufende Kinder und freilaufende
Hunde nicht vertragen.
Auch wenn das Landesgesetz nicht ausdrück-
lich einen Leinenzwang auf gemeinschaft-
lichen Flächen anordnet, sollte diese Ein-
schränkung auch in extensiver, sinngemäßer
Gesetzesauslegung in diese Gebotsregelung
hineininterpretiert werden können. Nach
der Intention der Regelung dürften gemein-
schaftliche Grundstücksflächen nicht bewusst
ausgeklammert, sondern eher redaktionell
vergessen worden sein. Auch auf allgemeinen
öffentlichen Jogging- und Radwegen hat sich
zwischenzeitlich bei Hundehaltern zu Recht die
Erkenntnis durchgesetzt, Hunde anzuleinen.
Entsprechende Einschränkungen sollten des-
halb erst recht auf begrenzter gemeinschaft-
licher Grundstücksfläche dem Rücksichtnah-
megebot entsprechen und eine gegenteilige
Beschlussfassung erst gar nicht rechtfertigen.
Die Mehrzahl der auch vom BGH zitierten
früheren Entscheidungen geht deshalb auch
in die Richtung, eine Anleinpflicht (vielleicht
sogar Maulkorbzwang für bestimmte Hunde)
nicht nur im Haus, sondern auch auf dem ge-
meinschaftlichen Grundstück zu gebieten.
Kurz nach der BGH-Entscheidung hat über-
dies das LG Frankfurt/Main entschieden, dass
eine Hausordnung auch einen Leinenzwang
für Hunde und sogar Katzen enthalten kön-
ne. Auch bei Katzen gewährleiste der Leinen-
zwang eine sichere optische Überwachung.
Ein solcher Leinenzwang sei auch nicht einem
Hunde- oder Katzenverbot gleichzustellen,
da insbesondere Katzen immer noch in der
Wohnung gehalten werden könnten. Die Ein-
schränkung der Bewegungsfreiheit von Tieren
diene dem störungsfreien Zusammenleben.
Haustierhaltung gehöre auch nicht generell
zum wesentlichen Inhalt der Nutzung von
Wohnungseigentum, die Einschränkung be-
deute auch keinen Eingriff in Kernrechte der
Sondereigentümer. Der Anleinzwang stellt
nach der Frankfurter Entscheidung vielmehr si-
cher, dass ein Tier bestimmte Bereiche – etwa
den Spielplatz oder fremde Terrassen – nicht
betritt oder verunreinigt und sich im Übrigen
das Tier in Begleitung einer Person befindet,
die jederzeit auf es einwirken und Störungen
unterbinden kann. Ein Anleinzwang wäre für
diese Tierhalter auch durchaus zumutbar. Sei
beschlossen worden, dass Katzen und Hunde
nicht „frei herumlaufen dürften“, bedeutet
dies nach der Frankfurter Entscheidung auch
einen Leinenzwang.
3. Sorgfältig zu überdenkende
Vereinbarungs- und
Beschlussregelungen
Haustierhaltung ist auch im Wohnungsei-
gentum generell zulässig, soweit keine Ver-
einbarungen oder Gesetzesbestimmungen
entgegenstehen. Angemessen nutzungsein-
schränkende Beschlüsse sollten hier eher
zulässig und zumutbar sein, als zu liberale
Entscheidungen zugunsten solcher Haustier-
haltungen. Mangels gesetzlicher oder speziell
vereinbarter Vorgaben sind Sie als Verwalter
in streitigen Fällen zu klarer Antrags- und Be-
schlussformulierung aufgerufen. Zu bedenken
sind hier stets mögliche Beschränkungen nach
Zahl, Art, Größe, Erziehung sowie objektiv
erkennbarer Gefährlichkeit gehaltener Tiere,
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