personalmagazin 3/2019 - page 93

Personalmagazin: Die Veränderung der Arbeitswelt scheint
auch eine stärkere Fokussierung auf die Fitness der Mitarbei-
ter mit sich zu bringen. Fitnessmitgliedschaften oder andere
Sportangebote gehören in vielen Betrieben inzwischen zum
Arbeitsalltag. Bringt New Work auch eine neue Haltung bei
der Corporate Health?
Niels Gundermann: Bei den Firmen, die sich New Work auf
die Fahne schreiben, ganz sicher. Dort lauten die Ziele, die mit
Gesundheitsangeboten verbunden sind oder erreicht werden
sollen, Wohlbefinden, Motivation, aber auch Wertschätzung
und Selbstwertgefühl. Das Thema Kultur steht immer mehr im
Mittelpunkt, Fitness und Spaß am Sport gehören dazu.
Das heißt, es liegt an der neuen Mitarbeitergeneration, die
sich einfachmehr an Gesundheit orientiert? Ist das der Trend?
Es hat auch mit Führung zu tun. Die New Worker haben das
verstanden. In diesem Bereich können traditionellere Unterneh-
men noch viel von ihnen lernen. Im Bereich der Gesundheits-
förderung wird das allerdings zunächst darauf hinauslaufen,
dass immer mehr Unternehmen, die hier investieren wollen, eine
Art „Legoland für Erwachsene“ bieten werden: Spaß, Obstkörbe,
Mitmachangebote werden als öffentlichkeitswirksame Aktionen
im Vordergrund stehen. Dabei spielt auch die Digitalisierung
eine große Rolle – es wird immer noch mehr digitale Gimmicks
geben. Und es wird auch mehr das „Selbst“ in den Vordergrund
rücken, begleitet von der Begeisterung, andere daran teilhaben
zu lassen und Erfolge mitzuteilen.
Sie sprechen damit Wearables und Challenges an – kör-
perliche Fitness wird ständig gemessen, verglichen und
optimiert. Eigentlich nicht schlecht für den Arbeitgeber,
schließlich gehen viele Fehlzeiten auf ungesunde Lebens-
weisen und zu wenig Bewegung zurück, oder?
Natürlich. Trotzdem würde ich sagen, dass New Work, wenn
wir die gegenwärtige Entwicklung mal unter diesem Label zusam-
menfassen wollen, Brandbeschleuniger und Löschmittel zugleich
ist. Das heißt, auf der einen Seite bewirken diese neuen Orga-
nisationsformen, die Hierarchien reduzieren und das „Wir“ in
den Mittelpunkt rücken, aber auch Sport und Spaß in den Fokus
nehmen, dass sich die Grundhaltung, damit auch die Gesundheit
und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter nachhaltig verbessert. Auf
der anderen Seite sorgt vieles, was mit New Work verbunden ist,
auch dafür, dass der Druck höher wird. Die Ansprüche an Selbst-
optimierung und die Involviertheit der Menschen steigen immer
weiter an. Das verstärkt auch Negativeffekte – wie beispielsweise
Dinge, die unter dem Label Burn-out gefasst werden.
Und ein weiteres Problem: Wir steuern durch diese Entwick-
lungen auf eine Art Gesundheitsprekariat in den Unternehmen
hin. Menschen, die weniger Interesse an Fitness haben, werden
von Unternehmen, die nur auf die oben beschriebenen Trends
setzen, immer weniger erreicht werden. In Anbetracht des Fach-
kräftemangels eine fatale Situation.
Wie kann man einer solchen Entwicklung vorbeugen?
Unternehmen müssten sich bereits jetzt dringend dem gene-
rellen Grundverständnis, wie wir in Zukunft langfristig leistungs-
fähig arbeiten können, widmen. Weg vom Thema reine Fitness
und hin zu den Themen der Unternehmenskultur. In die Kernbe-
reiche der Unternehmen, in Struktur und Strategie hineingehen
und das Thema Gesundheit und Leistungsfähigkeit viel stärker
damit verknüpfen. Wir müssen Motivation und Netzwerkkapital
in den Fokus nehmen. Dann können auch Menschen sehr, sehr
leistungsfähig sein, die vielleicht nach den medizinischen Kri-
terien der Gesundheit nicht an oberster Stelle stehen.
Gehört das dann noch zum Thema BGM?
Absolut. Gutes Gesundheitsmanagement kann frühzeitig zu-
künftige Arbeitswelten mitgestalten, in denen Menschen lang-
fristig leistungsfähig, gesund und mit Freude bei der Arbeit sein
können. Dabei ist es allerdings tatsächlich egal, ob das nun „Ge-
sundheitsmanagement“ oder „Performance Management“ oder
„Glückliche Mitarbeiter“ heißt. Wichtig ist, auch aus Verbands-
sicht, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern zu
fördern und sie dabei zu unterstützen. Und für dieses Ziel auch
bei strategischen Themen, Arbeitsstrukturen, Arbeitsabläufen,
Arbeitszeit und Ähnlichem mitzusprechen. Das verlangt aller-
dings ganz andere Qualifizierungen von den Menschen, die im
Gesundheitsmanagement im Einsatz sind: Oft erleben wir rein
sportwissenschaftliche oder medizinische Kompetenzen. Wer
Arbeitswelten gestalten will, braucht aber auch Wissen zur Or-
ganisationsentwicklung, Change- und Gestaltungskompetenzen.
Und davon sind wir leider noch sehr weit entfernt.
Haben Sie Hoffnung, dass Gesundheitsmanagement sich lang-
fristig als Teil der Organisationsentwicklung etablieren kann?
Das hängt auch ein Stück weit mit der Stärke und Schwäche
des Bereichs HR zusammen. Gesundheitsmanagement hängt
häufig am Tropf von HR – je stärker sich HR oder der junge
Performancebereich in Zukunft im Unternehmen durchsetzen
wird, desto stärker wird auch das Thema Gesundheit strukturell
eine Rolle spielen. Wobei ich davon ausgehe, dass HR Gesund-
heit nicht als Nebenschauplatz sieht, sondern tatsächlich in den
Mittelpunkt der Aktivitäten rückt.
Sportangebote sind schnell umgesetzt, strategisches BGM
nur schwer. Wie kommt HR hier auf den richtigen Weg?
Mit dem Präventionsgesetz ist uns ja eine Grundlage gegeben
worden, die das Thema Gesundheitsförderung auf die Organisa-
tionsebene hebt. Und als Verband versuchen wir Standards zu
etablieren, in denen die kulturellen Aspekte, Strategie und Struk-
tur zu den Handlungsfeldern eines BGM der Zukunft werden.
„Wir brauchen ganz
andere Qualifizierungen
im BGM, um bei
Strategie und Struktur
der Unternehmen
mitsprechen zu können.“
Unternehmensgesundheit
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