personalmagazin 3/2019 - page 96

Die Hoch-Zeit der sogenannten „Generation Praktikum“ dürfte
wohl vorbei sein. Zumindest sind in den vergangenen Jahren
selten Erlebnisse zu schlechten Arbeitsbedingungen im Zusam-
menhang mit Praktika in der Öffentlichkeit diskutiert worden.
Die genauen Gründe für diese Entwicklung sind mehrschich-
tig. Es scheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass das seit 2015
geltende Mindestlohngesetz (MiloG) – zumindest auch – einen
Teil zu dieser Entwicklung beigetragen hat. Denn in § 22 enthält
dieses Gesetz eine Regelung zu Praktikanten. Danach sind diese
prinzipiell wie Arbeitnehmer, also in Höhe des gesetzlichen Min-
destlohns, zu vergüten. Jedoch lässt die Vorschrift insbesondere
drei Ausnahmen von der Mindestlohnpflicht zu:
• für Praktika, die in einer Ausbildungsverordnung verpflichtend
vorgesehen sind,
• für Praktika bis zu einer Dauer von drei Monaten „zur Orien-
tierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines
Studiums“ oder
• für Praktika bis zu einer Dauer von drei Monaten „begleitend
zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung“ – wenn nicht
zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Aus-
bildenden bestanden hat.
Unternehmen, die zum Beispiel Praktikanten bis zu drei Mo-
naten zur Orientierung für eine Berufsausbildung beschäftigen
wollen, müssen sich also zunächst die Frage stellen: Handelt es
sich tatsächlich um ein Praktikumsverhältnis und nicht um ein
(zumMindestlohn verpflichtendes) Arbeitsverhältnis. Und daran
anschließend: Wie ist die Drei-Monats-Grenze zu verstehen?
Kommt es auf die vorab geplante, auf die formal vereinbarte
oder auf die tatsächliche Dauer des Praktikums an? Und nicht
zuletzt: Ist der Mindestlohn vom ersten Tag an zu bezahlen,
wenn das Praktikum länger als ein Vierteljahr dauert, oder erst
nach Ablauf von drei Monaten und einem Tag?
Der konkrete Fall: Mindestlohn bei mehr als
drei Monaten Praktikum?
Wie immer bei solchen Fragen, bei denen der Gesetzeswortlaut
nicht eindeutig und eine Meinung unter Juristen nicht klar zu
erkennen ist, haben in letzter Konsequenz die Gerichte darüber
zu entscheiden. In einem aktuellen Fall vor dem Bundesarbeits-
gericht (BAG) ging es um ein Orientierungspraktikum, das – mit
Unterbrechungen – länger als drei Monate dauerte. Letztlich
stand die Frage im Raum: Ist dieses Praktikummit demMindest-
lohn – von damals 8,50 Euro – zu vergüten?
Die klagende Praktikantin beantwortete die Frage mit einem
Ja und verlangte 5.491 Euro. Schließlich diente das Praktikum
auf einem Reiterhof zur Orientierung für eine Berufsausbildung
zur Pferdewirtin und dauerte vom 6. Oktober bis zum 25. Januar
des Folgejahres – also eindeutig länger als drei Monate. Und gut
beschäftigt war sie zudem: mit Pferde putzen, satteln, füttern,
mit Unterstützung bei der Stallarbeit sowie damit, die Pferde zur
Weide und zurück zu bringen.
Knapp 5.500 Euro für ein – zumindest war dies vorab so ver-
einbart – unentgeltliches Praktikum? Damit war wiederum der
Betreiber des Reiterhofs nicht einverstanden. Zumal die Prakti-
kantin vom 3. bis 6. November arbeitsunfähig krank war. Zusätz-
lich verabschiedete sie sich – in Absprache mit dem Betreiber des
Reiterhofs – ab dem 20. Dezember über die Weihnachtsfeiertage
in einen längst geplanten und gebuchten Familienurlaub. Wäh-
rend des Urlaubs verständigten sich beide Seiten zudem darauf,
dass die Praktikantin nicht am 5. Januar, sondern erst wieder
am 12. Januar zurückkehren würde, um in der Zwischenzeit auf
anderen Pferdehöfen „Schnuppertage“ verbringen zu können.
Die Vorinstanzen: Arbeitsgericht und
Landesarbeitsgericht im Ergebnis uneinig
Das Arbeitsgericht Mönchengladbach (Urteil vom 13.10.2016, Az.
6 Ca 1390/16) gab der Klage der Praktikantin noch statt. Sie sei
als Arbeitnehmerin anzusehen, weil das Orientierungspraktikum
länger als drei Monate bestanden habe. Der § 22 MiloG als Aus-
nahme greife daher nicht. Dass das Praktikum zwischen dem 20.
Dezember und 12. Januar angeblich unterbrochen war, habe der
Reiterhof-Betreiber laut Arbeitsgericht nicht ausreichend darge-
legt und bewiesen. Die daran anschließende Rechtsfrage, ob die
vermeintlichen Unterbrechungen zu den drei Monaten zählen
oder nicht, konnte das Arbeitsgericht daher unbeantwortet las-
sen. Im Ergebnis hieß das: 8,50 Euro für acht Arbeitstage zu je
9,5 Stunden, also 5.491 Euro Praktikantenlohn.
Rund ein Jahr später revidierte das Landesarbeitsgericht
Düsseldorf diese Entscheidung und gab wiederum dem Reiter-
hof-Betreiber Recht (Urteil vom 25.10.2017, Az. 7 Sa 995/16). Das
Praktikum war laut LAG kein Arbeitsverhältnis, weshalb die
Drei
oder mehr?
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom
30.1.2019, Az. 5 AZR 556/17
Illustration: Lea Dohle
Dauert ein Orientierungspraktikum
länger als drei Monate, so ist der
Mindestlohn zu vergüten. Doch wie
lange sind eigentlich drei Monate?
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HR-Management
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