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4.2019
Bauen in Deutschland wird wegen des Rechtsrahmens zur nervenaufreibenden Geduldsprobe.
Jedes Bundesland beharrt auf seiner eigenen Bauordnung, aufgebläht durch die steigende Zahl
an Normen. Dabei könnte – mit Blick auf Tempo und Kosten – weniger mehr sein.
spielsweise kritisieren Sozial- und Behin
dertenverbände, dass es künftig definierte
Standards für Barrierefreiheit gibt, die für
Ein- und Zweifamilienhäuser als Emp
fehlung wirken und für größere Gebäude
verpflichtend. Die Verbände fordern eine
feste Quote.
Beim Thema Brandschutz verweist
Balkow von der Bundesingenieurkammer
auf die Bedeutung desMehraugenprinzips
bei Prüfsachverständigen. An solch be
währten Prinzipien dürfe nicht gerüttelt
werden. Der Leiter der Abteilung Bauen
undWohnen im schleswig-holsteinischen
Innenministerium, Arne Kleinhans, hin
gegen hält landesspezifische Ausprä
gungen der Brandschutzvorschriften für
sinnvoll. Stadtstaaten hätten wegen der
flächendeckenden Berufsfeuerwehr ne
ben den freiwilligen Feuerwehren andere
Voraussetzungen als Flächenstaaten. In
Baden-Württemberg schließlich hat die
grün-schwarze Regierung in der Novelle
ihrer Landesbauordnung einen eigenen
Akzent gesetzt und Fahrradstellplätze
vorgeschrieben – für die einen ein zu
kunftsweisender Schritt, für die anderen
ein Musterbeispiel von Regulierungswut.
Und in jedemFall Anlass für vielerlei Dis
kussionen und Verzögerungen im politi
schen Ablauf.
Pikanterweise argumentieren so
wohl Befürworter als auch Gegner eines
starken, reglementierenden Staates mit
dem Ziel des Abspeckens: Verfechter ei
ner Musterbauordnung ohne viele Vor
gaben prognostizieren, damit würde der
Baukostenanstieg eingedämmt – wie etwa
der Immobilienökonom vom Institut der
deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Mi
chael Voigtländer. Kleinhans weist indes
darauf hin, dass die Gesetze an den Be
hördenaufbau des jeweiligen Landes an
gepasst sein müssten: „Da ist es sinnvoll,
dass es Unterschiede gibt.“
lierungen angleichen, ohne dass Standards
gefährdet würden.“ Ein Schlüssel zur Lö
sung wäre auch eine Typengenehmigung –
bestimmte Gebäude-„Muster“ oder Teile
davonwären dann bundesweit zugelassen.
Trotz aller Vorteile:
Im Detail wird erbittert
um Standards gerungen
In der Diskussion zeigt sich gleich
wohl: So laut der Ruf nachweniger Regeln,
Kosten und Zeitaufwand ist, so erbittert
wird im Detail um einzelne Standards ge
stritten. Teils stecken dahinter politische
Überzeugungen, teils die Angst vor dem
Verlust von Qualitäts- oder Sicherheits
standards – und immer auch die Frage:
Wie viel Staat soll sein? In NRW bei
schleswig-holsteinischen FDP-Fraktion,
Christopher Vogt, kündigte eine Über
arbeitung der Stellplatzpflicht an. Zudem
soll Holz als Baumaterial stärker gefördert
werden, genauso wie das Erweitern von
Wohnraum erleichtert werden soll. Bei
spielsweise könnte die Vorgabe entfallen,
bei Dachausbau immer auch einNachrüs
ten des Aufzugs einplanen zu müssen.
Entscheidend für überregional täti
ge Unternehmen würde sich vor allem
ein stärkeres Angleichen der einzelnen
Rechtstexte an die Musterbauordnung
auswirken. „Die Musterbauordnung ist
eigentlich eine ideale Blaupause“, sagt
der stellvertretende Geschäftsführer der
Bundesingenieurkammer, Markus Bal
kow. „Dabei könnte man in sicherheits
relevanten Bereichen wie Standsicherheit
und Brandschutz Vorgaben und Formu
Foto: Alex Ander/shutterstock.com
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Kristina Pezzei, Berlin