Immobilienwirtschaft 4/2019 - page 8

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POLITIK, WIRTSCHAFT & PERSONAL
I
LANDESBAUORDNUNGEN
Auf Entschlackungskur
D
ie ersten Länder scheinen die Pro­
bleme durch das Normenwirrwarr
erkannt zu haben und haben ein
Entschlacken ihrer Bauordnungen ge
plant oder eingeleitet. „Das neue Gesetz
lichtet den Bürokratiedschungel, kappt
unnötige Baukostensteigerungen und
schafft Raum für barrierefreies Wohnen“,
heißt es etwa aus Nordrhein-Westfalen.
Dort hat der Landtag im vergangenen
Jahr ein Baurechtsmodernisierungsgesetz
beschlossen, das seit Anfang 2019 gilt. In
Baden-Württemberg läuft ein ähnliches
Verfahren. Ziel des Gesetzentwurfs sei es,
das Bauen günstiger zu machen und da­
mit die Schaffung von neuemWohnraum
zu fördern, erklärt eine Sprecherin des
Landeswohnungsbauministeriums. Die
novellierte Landesbauordnung solle noch
im Frühjahr in den Landtag eingebracht
werden. Schließlich haben die Nachbar­
länder Hamburg und Schleswig-Holstein
angekündigt, ihre Landesbauordnung
stärker als bislang zu vereinheitlichen.
Da Baurecht Ländersache
ist, gelten überall andere
Regelungen und Normen
Da Baurecht in die Kompetenz der
Länder fällt, unterscheiden sich Vorgaben
wie Abstandsregelungen, Brandschutz,
Raumhöhen, Stellplatzzahl oder für Be­
lange der Barrierefreiheit bislang teils
erheblich. Überregional tätigen Unter­
nehmen erschwert dies die Arbeit unge­
mein – eigentlich könnten sie sichVorteile
erwirtschaften durch höhere Stückzahlen
und synchronisierte Prozesse.
Eine weitere Dimension erhält das
Problem durch die stetig steigende Zahl
an Normen, was die Bürokratie zusätzlich
aufbläht. Um fast 20 Prozent sind die Vor­
schriften in den vergangenen zehn Jahren
im Baubereich angestiegen, wie die Bun­
Als Ansatzpunkt bieten sich zunächst die
Prozesse an – Baugenehmigungsverfahren
können an vielen Stellen vereinfacht, di­
gitalisiert und dadurch verkürzt werden.
So will die baden-württembergische Lan­
desregierung für kleinere Wohngebäude
künftig nur noch das vereinfachte Bau­
genehmigungsverfahren zur Verfügung
stellen. Ein Bauantrag könnte per E-Mail
gestellt werden. In Nordrhein-Westfalen
soll bei kleineren Gebäuden gar keine
Baugenehmigung mehr nötig sein.
Ein Beispiel für mögliches Entschla­
cken sind darüber hinaus Stellplatzverord­
nungen; sie werden häufig als zu starr und
nicht mehr zum veränderten Mobilitäts­
verhalten passend erachtet. Nordrhein-
Westfalen lässt nun seine Kommunen
im Regelfall selbst über die Vorgaben
entscheiden. Auch der Fraktionschef der
desregierung unlängst auf eine Anfrage
der Grünen-Fraktion im Bundestag er­
klärte. In von Bauwesen, Wasserwesen,
Heiz- und Raumlufttechnik sowie deren
Sicherheit seien die Normen auf derzeit
etwa 3.750 angewachsen, hieß es. Darun­
ter fallen nationale Vorschriften genauso
wie europäische und internationale, die
in das deutsche Regelwerk übernommen
wurden. Aus dem Dokument geht auch
hervor, dass die Baukosten in dieser Zeit­
spanne deutlich zulegten. Dass es einen
Zusammenhang geben könnte, streitet die
Bundesregierung gar nicht ab. Zugleich
kündigt sie eine Folgekostenabschätzung
für neue Baunormen an.
Die von der Bundesregierung einst
eingesetzte Baukostensenkungskommis­
sion hatte schon in ihrem Abschluss­
bericht vor vier Jahren ein Angleichen
von Rechtsregelungen gefordert. Denn
die übergreifende Musterbauordnung als
Leitschnur gibt es längst – einzig, sie gilt
nicht verbindlich. Im Einzelnen wiesen
die Landesbauordnungen „Besonder­
heiten und Abweichungen von dem ge­
meinsamen Regelungsmuster“ auf, erklärt
das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR) in einer Studie
und erinnert an den Abschlussbericht der
Baukostensenkungskommission, in dem
es heißt: „Umeine größere Verbindlichkeit
zu schaffen, ist hinsichtlich der Muster­
bauordnung die Mustertreue der Länder
erforderlich, da sich die derzeitige Auswei­
tung in den einzelnen Ländern nachteilig
auswirkt.“
Planer, Architekten und Projektent­
wickler hoffen nun, dass der Druck auf die
Wohnungsmärkte in Ballungsräumen Be­
wegung in die Diskussionen bringt. „We­
niger Vorschriften könnten den Bau von
Wohnungen beschleunigen und zugleich
die Kosten senken“, sagt der Direktor des
Verbands norddeutscher Wohnungs
unternehmen (VNW), Andreas Breitner.
„Damit wäre allen gedient.“
20
%
Laut Bundesregierung ist die Zahl
der Normen in den vergangenen
zehn Jahren im Baubereich um
fast 20 Prozent angestiegen.
Für Bauwesen, Wasserwesen,
Heiz- und Raumlufttechnik sowie
deren Sicherheit gibt es inzwi-
schen etwa 3.750 Normen.
Wenn das Fenster für einen
bestimmten Gebäudetyp zehn
Zentimeter höher oder niedriger
sein muss, je nachdem, hinter
welcher Landesgrenze dieser steht,
entfallen für überregional tätige
Unternehmen jegliche wirtschaft-
lichen Vorteile.
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